Aber auch im deutschen Bildungssystem könnte es am ausreichenden Untergrund und am Fundament mangeln. Jedenfalls gab die gleichnamige Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) der Leistungsfähigkeit des deutschen Bildungssystems denkbar schlechte Noten. Die Schülerleistungen in Deutschland lagen im internationalen Vergleich deutlich unter dem Durchschnitt.
Bei der Lesekompetenz - das ist nicht nur lesen können, sondern verstehen, einordnen und sachgerechtes Nutzen eines Textes - ist der Anteil schwacher und schwächster Leser in Deutschland mit 20 v.H. (jeder 5.!) des Altersjahrgangs (= Ende der Pflichtschulzeit) „ungewöhnlich groß, ebenso der Anteil der Schüler, die über die Kompetenzstufe I nicht hinauskommen. 42 v.H. der Fünfzehnjährigen geben an, dass sie überhaupt nicht zum Vergnügen lesen, ein Wert, der von keinem anderen Land übertroffen wird." „Der Anteil der Schüler, deren mathematische Fähigkeiten über das Rechnen auf Grundschulniveau nicht hinausreichen und daher der Risikogruppe zuzuordnen sind, ist in Deutschland mit 25 Prozent ungewöhnlich hoch.... " „Offensichtlich gelingt es in Deutschland nicht so wie in anderen Ländern, die schwachen Schülerinnen und Schüler zu fördern. Auf der anderen Seite gibt es aber auch keine Hinweise auf: einen überdurchschnittlich großen Anteil von Schülerinnen und Schülern in-Deutschland, die Leistungen auf Spitzenniveau erbringen. Im Unterschied zum Vereinigten Königreich etwa gibt es in Deutschland keine ausgeprägte Elite."
„Für Kinder aus Zuwandererfamilien ist die Sprachkompetenz die entscheidende Hürde in ihrer Bildungskarriere." Genug der Zitate, möge ein jeder selbst lesen (mit Kompetenz, s.o.), um sein Problembewusstsein zu schärfen und seine Meinung zu bilden.
Wenn die Ergebnisse der PISA-Studie zutreffen, dann haben wir ein gesamtgesellschaftliches Problem. Dann muss es Ursachenforschung geben und dann müssen wir Vieles verändern.
Jüngst fand eine erste Kindergartenrunde im Ministerium statt, bei der es um PISA und die Folgen/Konsequenzen ging. Von Fremdsprachenunterricht im Kindergarten bis zu mehr Bewegungstherapie kamen dabei alle bisher schon bestehenden, aber mangels Geld nicht verwirklichten Standarderhöhungen zur Überwindung der bestehenden Probleme zur Sprache. Das ist so nicht hilfreich.
Die „öffentlichen" Betreuungsnotwendigkeiten für Kinder wurden und werden immer noch größer. Die Zahl der Alleinerziehenden wächst ebenso wie die der Doppelverdiener, die eine Betreuung für ihre Kinder suchen. Soziale Kompetenz soll den Kindern im Vorschulalter dabei immer mehr in einer kommunalen oder kirchlichen oder freien Einrichtung beigebracht werden. Früher habe ich einmal gelernt, dass es so etwas wie eine „Grundkompetenz" für den Eintritt in den Kindergarten gab - sauber, trocken und prinzipiell in der Lage, sich selbst anzuziehen. Welche Vorgabe gibt der Kindergarten den Eltern heute für die Aufnahme?
Wenn es diesen Kompetenznachweis nicht mehr gibt, wenn man nicht „Nein" sagen kann oder darf zum Eintritt in den Kindergarten, wenn wir auch das noch in öffentlicher Verantwortung übernehmen, wozu müssen sich Eltern denn eigentlich bemühen oder anstrengen? Sind wir nicht so weit, dass die soziale Einbettung von Kindern in unsere Gesellschaft immer mehr in Gruppenarbeit von der öffentlichen Hand und damit von den Kommunen - natürlich mit intensiver tätiger Unterstützung und Hilfe von kirchlichen und gemeinnützigen Organisationen besorgt, organisiert und bezahlt werden muss? Ist das eine gute Grundlage für den Aufbau individueller Kompetenz im Schulleben? Also im Ergebnis: Müssen wir nicht bei den Eltern anfangen etwas zu tun?
Natürlich wird man zur Veränderung der Erziehungs- und Bildungsergebnisse auch über Lehrpläne, Lehrinhalte - ich empfehle den Artikel von ReichRanicki in einem der letzten Spiegel über empfehlenswerte Literatur in Schulen -, Lehrmethoden, Unterrichtszeiten und vieles andere Mehr reden müssen. Aber auch Städte und Gemeinden müssen sich mit der Bewältigung und den Auswirkungen der PISA-Studie beschäftigen, denn hier geht es um die Auswirkungen auf und für und in den Gemeinden und Städten.
Von kommunalen Schulträgern wird heute erwartet, dass sie mehr und mehr einen Wettbewerb unter ihren Schulen dulden oder sogar fördern. Schulbezirke gibt es - Zuordnung von Schülern zu einer bestimmten Schule - für die Regionale Schule oder die Ganztagsschule ohnehin nicht. Schon jetzt lassen wir den Eltern und Schülern dabei und auch bei den anderen Schulen die Wahl unter verschiedenen Schulen auch gleicher Stufe. Damit entsteht Wettbewerb. Das Schulkollegium und der Schulträger versuchen gemeinsam - mehr oder weniger - eine Schule so einzurichten und zu führen, dass sie attraktiv und angenommen ist. Die in Zukunft drohende sinkende Schülerzahl tut ein Übriges, dass sich solche Effekte zur Sicherung des eigenen Standorts eher noch verstärken.
Wettbewerb setzt aber Qualitätsunterschiede voraus, denn ohne sie ist alles gleich. Eltern und Schüler sollen im Vergleich eine bestimmte Schule oder eine bestimmte Form von Bildung besser finden und beurteilen. Für diesen Wettbewerb unter Schulen müssen Lehrer und Schulträger zusammenwirken und zusammenarbeiten. Denn Qualitätsansprüche betreffen die Lehrer, ihren pädagogischen Anspruch, die Lehrinhalte und -ziele, aber sie betreffen auch die Schulträger, denn sie sind für Ausstattung, Standort, Rahmenbedingungen verantwortlich. Das spricht übrigens - nur am Rande zu erwähnen - für einen deutlich stärkeren kommunalen Einfluss bei der Bestellung des Schulleiters.
Aber Qualitätsansprüche treffen insbesondere auch die Schüler und Eltern: Das Streben zur höheren Schule - möglichst Gymnasium -, um den höheren Schulabschluss - möglichst Abitur - zu erreichen, ist verständlich. In wohlgemeintem Kinderinteresse gibt es die weitgehend ungefilterte Wahlfreiheit der weiterführenden Schule. Irgendwann stellen wir aber fest, dass das zu einer Nivellierung der höheren Schulen, doch wohl auch ihres Niveaus, und zu immer größeren Schwierigkeiten für den Bestand der Hauptschule führt. Wie heißt es in der PISA-Studie? Das Bildungssystem in Deutschland führt nicht zu einer Eliteausbildung, sondern zu unterdurchschnittlichem Standard im internationalem Vergleich. Wie wäre es denn mit dem Wettbewerb unter Schülern mit Förderung der Schüler nach Leistungsfähigkeit und -vermögen? Wie wäre es denn mit der Wiedereinführung von Aufnahmevoraussetzungen für weiterführende Schulen?
Jedenfalls, die kommunalen Schulträger wollen Freiheit der Schulwahl, Wettbewerb unter Schulen, Optimierung und verbesserte Bildungschancen für ihre Bürgerkinder. Dafür muss man aber auch den Nachweis verlangen können, dass die investierten Bildungsausgaben richtig investiert sind. Erziehung und Bildung sollen nicht allein als Gruppenerlebnis empfangen werden, sondern individuell und bezogen auf den einzelnen Menschen. Das aber setzt dessen Bereitschaft zur Leistung und zum Nachweis von Leistung oder Leistungsfähigkeit voraus.
GStB-Kommentar aus Gemeinde und Stadt 05/2002
Reimer Steenbock
Geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Gemeinde- und Städtebundes