Missbrauch stoppen


Von 400 Vor-Ort-Kontrolleuren der Bundesagentur zur Überprüfung der Lebensumstände von Arbeitslosengeld-II-Empfängern war die Rede, ebenso von „intensiverem Abgleich der Daten der Bundesagentur mit den Finanzämtern, um verborgenes Vermögen aufzuspüren“. 280.000 Langzeitarbeitslose beziehen danach zu Unrecht Leistungen.

Es ist kaum anzunehmen, dass sich die Lagebeurteilung des neu zuständigen Ministers für Arbeit groß ändern wird. Denn unbestreitbar ist die Erhöhung der im Bundeshaushalt eingeplanten 14,6 Milliarden Euro für 2005 auf – ausdrücklich anerkannte – 26 Milliarden Euro. Andere sprechen von 29 oder gar 31,5 Milliarden Euro. Bei einer sagen wir ruhig Verdoppelung dessen, was man ausgeben wollte, fragt sich jeder, ob denn das alles Missbrauch ist? Mehrkosten von unbestritten 11,4 Milliarden Euro, verteilt auf 280.000 Missbrauchende? Liegt das Problem nicht etwas tiefer?

Liegt das Grundproblem nicht in dem falschen Ansatz der Leistungsansprüche? Wurden nicht ausdrücklich und absichtlich Unterhaltsansprüche zurückgedrängt, ja ihre Geltendmachung als Voraussetzung für Hartz-IV-Leistungen teilweise ausgeschlossen? Wurden nicht Haushaltsgemeinschaften anders als früher in der Sozialhilfe nicht mehr im engen Verbund – als auch finanzielle Gemeinsamkeit – gesehen? Und sollte das nicht so sein?

Es wurde – wir erinnern uns doch gut – über das Sparbuch der Kinder und für die Kinder diskutiert (und das mit Recht). Aber hat die alltägliche normale Unterhaltsverpflichtung unter Familienangehörigen oder von in einem Haushalt Lebenden bisher wirklich eine Rolle gespielt?

Also: Wir müssen etwas tun auch gegen Missbrauch, den es mit Sicherheit gibt. Nur das, was mit Missbrauch heute gemeint ist, ist vielfach Ausnutzung der rechtlich gegebenen – zum Teil ausdrücklich gewollten – Regelungen. Die Revision von Hartz IV fängt bei den Leistungsansprüchen im Gesetz an und nicht bei 400 Kontrolleuren.

Bevor man zu Kontrolleuren und „Anrufaktionen“ kommt – und ich sehe das jetzt einmal nur unter dem Blickwinkel einer effizienten und den Betroffenen nahen Verwaltung –, sollte man sich erinnern, dass es Verwaltungen gab und gibt, die die Probleme ihrer Menschen viel besser kennen als jede Bundesagentur in Nürnberg, Regionalagentur in Saarbrücken oder Arbeitsgemeinschaft auf Kreisebene oder für einen größeren Bezirk. Die Hilfe zum Lebensunterhalt wurde bis 31. Dezember 2004 in Rheinland-Pfalz von den kreisangehörigen Städten, Gemeinden und Verbandsgemeinden erledigt, und zwar effizient, bürgernah und orientiert an den Problemen des Einzelfalls.

Jeder Bürgermeister hatte ein Interesse daran, dass die Ausgaben nicht ausuferten und dass die Beträge auf die berechtigten Ansprüche der Bürger begrenzt wurden, denn schließlich gab es eine Selbstbeteiligung. Arbeit statt Sozialhilfe war ein Motto des täglichen Geschäfts – und mit guten Erfolgen. Familien- und Haushaltszusammengehörigkeit, ihre Beurteilung und die Auswirkung auf das Gegensteuern bei Fehlentwicklungen oder Fehlerklärungen gehörten zu den Aufgaben der städtischen und gemeindlichen Verwaltungen. Und nicht zu vergessen: Man kannte auch seine Pappenheimer.

Was ist davon geblieben? Ein paar Abteilungsleiter und Sachbearbeiter aus den Kommunalverwaltungen bei den Arbeitsgemeinschaften, die sich mit den Kollegen aus der Bundesagentur redlich bemühen, die gegen Datenverarbeitungsprobleme kämpfen – immer noch -, die viele Statistiken machen müssen (ohne weiteren Kommentar), die sich aber auch fragen, warum sie denn gegen „Missbrauch“ nichts tun können (oder sollen?), warum es denn „Abzocke“ gibt, und ob man genau diese Worte denn gegenüber dem Schulabgänger, der sein Elternhaus nur verlässt, um in der eigenen Wohnung auch selbst Leistungsempfänger zu werden, gebraucht?

Inzwischen ist auch klar, dass das System der Behörden, mit dem wir Hartz IV umsetzen, nicht effizient, wirtschaftlich und bürgernah ist! Nicht nur einige gesetzliche Bestimmungen über den Leistungsbezug sind falsch, sondern auch das Organisationskonzept. Die Strukturen sind zu bürokratisch, mit zu vielen Vorgaben der Zentrale ausgestattet und haben keine ausreichende Bürgernähe und Kenntnis der Personen und ihrer Probleme, um wirklich am Mann oder an der Frau effiziente Hilfe leisten zu können. Leistungsgewährung ohne detaillierte Prüfung von Hilfsbedürftigkeit und alternativen Eigenhilfsmöglichkeiten ist die bisherige Devise, und das wird sich ohne grundlegende Organisationsveränderung und Änderung der gesetzlichen Anspruchsgrundlagen nicht ändern lassen.

Die Leistungsgewährung gehört – wie früher bei der Hilfe zum Lebensunterhalt – in das Sozialamt der Stadt, Gemeinde oder Verbandsgemeinde. Sie gehört auch nicht auf die Kreisebene. Auch der Kreis ist noch viel zu weit weg, um wirklich möglichst nah an den Betroffenen zu agieren.

Für das Fallmanagement – die Arbeitsplatzbeschaffung und –vermittlung - müssen es schlagkräftige Organisationseinheiten – auf der Kreisebene und darüber hinaus – sein, die intensiv mit den leistungsgewährenden Stellen zusammmen arbeiten.

Und damit ist dann auch die Finanzierung angesprochen. Der frühere Bundeswirtschaftsminister, um ihn nochmals zu zitieren, ist der Meinung, dass die Kommunen eine viel zu hohe Entlastung aus dem gesamten Hartz-IV-Paket erhalten haben. Gerade die ausufernden Ausgaben für die Arbeitslosengeld-II-Empfänger nimmt das Ministerium als Indiz dafür, dass die Kommunen stärker als geplant entlastet worden seien. Schließlich seien viel mehr von den früheren Sozialhilfeempfängern als arbeitsfähig eingestuft worden als erwartet und damit nicht unter die Grundsicherung gefallen.

Ist das nicht nur ein Zeichen für die vorher schon stattgefundene Verschiebung der Arbeitslosen in die Sozialhilfe? In Rheinland-Pfalz jedenfalls haben die Kommunen nicht zu viel Geld erhalten – ganz im Gegenteil. Die Kommunen in Rheinland-Pfalz gehören zu denjenigen, die eigentlich zu wenig entlastet worden sind – etwa im Verhältnis zu den Stadtstaaten. Und von den zusätzlichen Mitteln, die zum Ausbau der Kinderbetreuung vorgesehen waren – ausgegeben sind sie schon -, hat auch noch keiner etwas so richtig gesehen.


GStB-Kommentar aus Gemeinde und Stadt 11/2005 

Reimer Steenbock
Geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Gemeinde- und Städtebundes