Dezentrale Zuständigkeit, weisungsfreie selbstverantwortliche Tätigkeit und bürgernahe Betreuung waren das Ergebnis. Die Betreuung war so bürgernah (so nah an den Betroffenen), dass man im Regelfall die echten und ehrlichen Probleme seiner Leute (unserer Bürger) kannte, wie auch – was es natürlich auch gibt – seine „Pappenheimer“.
In der Vorphase der Umsetzung von Hartz IV wurde das Konzept einer Regionalisierung (durch Agenturen) entschieden, das häufig über Kreisgrenzen – von Stadt- und Gemeindegrenzen ganz zu schweigen – hinausgeht. Das führte zum Verlust der Bürgernähe und des Personenbezuges.
Wenn heute beispielsweise beklagt oder kritisiert wird, dass Anspruchsberechtigungen nicht ausreichend geprüft werden: In einer Gemeinde oder Stadt, wenn es nicht gerade eine Großstadt ist, weiß man oder hat man die Chance, in Erfahrung zu bringen, ob ein Anspruchsberechtigter zur Arbeit geht, ohne das gemeldet zu haben; bei einem Jobcenter muss man dafür Hausbesuche und weitere Kontrolldienste einrichten.
Schon in der Vorphase des Inkrafttretens von Hartz IV wurde entschieden, Leistungs-gewährung und Vermittlung (Fallmanagement) grundsätzlich zu trennen. Das führt dazu, dass die Einheit des Handelns, des Beratens und der Hilfestellung verloren ging. Vor allem geht die unmittelbare Anreizmöglichkeit verloren, denn über den Leistungsanspruch einerseits und das ausreichende Bemühen, Arbeit anzunehmen, andererseits entscheiden heute unterschiedliche Personen und zu sehr unterschiedlichen Zeitpunkten. Wo gibt es heute noch das Modell, sich am Tage nach der Antragstellung beim gemeindlichen/ städtischen Bauhof zur Arbeit zu melden.
Die frühere Sozialhilfeverwaltung der Städte und Gemeinden war von einem bundeseinheitlichen Leistungsgesetz (BSHG) mit weitgehend einheitlichen Richtlinien und Vorgaben für die Leistungsgewährung bestimmt. Nicht anders ist es beim SGB II auch.
Der Vollzug und die Sicherstellung der Sozialhilfe waren bei der Hilfe zum Lebensunterhalt in die dezentrale Einzelverantwortung der Städte und Gemeinden gestellt. Das ging bis zur unmittelbaren Verantwortung für die Betroffenen, die schließlich Bürger und Wähler in einer Kommune sind und waren. Das ist beim Vollzug von Hartz IV völlig anders. Ein System, das den Vollzug zentral regeln, steuern und kontrollieren will, kann nicht so flexibel und leistungsfähig sein und auch nicht so auf den Bürger bezogen reagieren. Es muss zwangsläufig Probleme haben, wie sie bei Hartz IV derzeit bestehen. Zu den Nachteilen eines solchen zentral geregelten und gelenkten Systems gehört auch die Idee, alle Beteiligten auf das gleiche Datenverarbeitungssystem/-programm mit Zentralrechner zu verpflichten. Was wäre denn passiert, wenn jede Stelle vor Ort – sei es Jobcenter, sei es Kreis, sei es Gemeinde oder Stadt – sich ein eigenes Datenverarbeitungsverfahren im Wettbewerb der Anbieter von (früher) Sozialhilfeverfahren hätte beschaffen müssen und sich die Bundesagentur auf die periodische Abfrage statistischer Daten beschränkt hätte? Jedenfalls „Architekturprobleme“, die nach zwei Jahren zur völligen Neukonzeption des Datenverarbeitungsverfahrens führen, hätte es bei den Städten und Gemeinden nicht gegeben.
Zielvereinbarung, verstärktes Controlling, Stabsstellen beim Leiter des Jobcenters sind ebenso wie Benchmarking- und Kennzahlensysteme „als Anreiz für Wettbewerb“ der Versuch, Managementsysteme der Industrie auf einen Dienstleistungsbetrieb, der als „Produkt“ Arbeitsplätze beschaffen (vermitteln) und die Verteilung von Sozialleistungen organisieren soll, zu übertragen. Das kann und wird nicht funktionieren.
Es geht doch einerseits um die personengerechte Aufnahme von Fähigkeiten, Bedürfnissen, Problemen und Stärken, verbunden mit der Verteilung von Geld, und andererseits um die Schaffung von Arbeitsplätzen. Was sollen denn da verstärktes Controlling oder weitere Stabsstellen bringen? Was die Jobcenter und die Mitarbeiter in den Jobcentern an größeren Erfolgen hindert, ist doch nicht zu wenig Controlling und Aufsicht, sondern die Fülle zentraler Handlungsdirektiven, die Fülle von Geschäftsanweisungen, Handlungsempfehlungen, Arbeitshilfen, Monitoring, Reportings mit Terminvorgaben, die mit den örtlichen Prioritäten nichts zu tun haben, und nicht zuletzt der Grad des Datenverarbeitungspflegeaufwands eines Systems, das grundlegend neu konzipiert werden muss, allerdings erst in der zweiten Hälfte des Jahres 2007 zur Verfügung steht.
Was fehlt, ist dagegen Freiheit der selbstverantwortlichen (und auch hinterher zu verantwortenden!) Handlung, Flexibilität, Gestaltungsmöglichkeit vor Ort.
Im Ergebnis:
Wo es dezentrale Lösungen, Vollzug vor Ort geben müsste, gibt es zentral gesteuerte und gelenkte Behördenstrukturen.
Wo es eigenverantwortliches Handeln geben müsste, gibt es einen Wust von Vorgaben, Weisungen und Erwartungen, eine halbherzig gestaltete Budgetierung mit einem ausufernden Controlling und immer mehr Aufsicht.
Wo es bürgernahe Leistungsverwaltung geben müsste, gibt es von den Bürgern und ihren Problemen relativ weit entfernte bürokratische Behörden und Behördengänge.
So wird das nichts.
GStB-Kommentar aus Gemeinde und Stadt 06/2006
Reimer Steenbock
Geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Gemeinde- und Städtebundes