In regelmäßiger Wiederkehr: Die Europäische Union und FFH


Das Landesnaturschutzgesetz ist gerade – keine sechs Monate vor der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs – neu gefasst worden.

Beide Gesetze waren in der Vorbereitung, wie wir uns gut erinnern, nicht unumstritten. Ein Kernpunkt der Auseinandersetzungen in Bezug auf die FFH-Richtlinie war die Frage, ob die Richtlinie unmittelbar anwendbar sei, was bejaht wurde. Insbesondere war aber die Frage, welche Einschränkungen die Grundstückseigentümer hinsichtlich der land- und forstwirtschaftlichen Nutzung - von anderen Nutzungen ganz zu schweigen - und die Gemeinden als Planungsträger hinnehmen mussten. Beruhigend hieß es immer wieder, mit negativen Auswirkungen sei nicht zu rechnen, die normale land- und forstwirtschaftliche Nutzung sei kaum eingeschränkt, auch die Planungshoheit der Gemeinden und Städte sei kaum tangiert. Schwerpunktmäßig gehe es um die Schaffung der Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Fördermitteln der Europäischen Union, auf die man in Deutschland oder Rheinland-Pfalz verzichten müsse, wenn es keine ordnungsgemäße Ausweisung von FFH-Gebieten gebe.

Von den „Schattenlisten“, die es angeblich und dann doch nicht und dann doch gab, wollen wir gar nicht reden. Und auch von der Aktion mit den erforderlichen Nachträgen soll nicht die Rede sein.

Inzwischen gibt es ein erstes Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 10. Januar 2006, das - wenn auch in verklausulierter europäischer Juristensprache - eine schallende Ohrfeige für die Bundesrepublik Deutschland und alle am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten - besonders die „Abwiegler“ (es wird schon alles nicht so schlimm) - ist.

Der Europäische Gerichtshof stellt fest, dass das Bundesnaturschutzgesetz von 2002 mit der FFH-Richtlinie nicht vereinbar ist. Damit sind der Bundes- und wahrscheinlich auch der Landesgesetzgeber gefordert, die gesetzlichen Grundlagen umgehend zu ändern. Aber mehr als das: Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist - egal ob eine Änderung von Gesetzen in Deutschland erfolgt ist oder nicht - anzuwenden und das heißt, dass die FFH-Richtlinie als unmittelbar anwendbares Recht zu beachten ist. Das ist zwar grundsätzlich nicht neu, aber das gilt jetzt ohne die Ausnahmeregelungen, die man versucht hat, in Deutschland in Gesetzen zu treffen.

Ganz konkret: Der Projektbegriff im Bundesnaturschutzgesetz ist zu eng gezogen, da er nicht gewährleistet, dass entsprechend der FFH-Richtlinie die Möglichkeit einer erheblichen Beeinträchtigung von Natura 2000-Gebieten ausgeschlossen ist. Anders herum ausgedrückt: Bei gemeindlichen Maßnahmen muss die Verträglichkeitsprüfung allein danach erfolgen, ob ein Vorhaben mit der Gefahr verbunden ist, das betroffene Gebiet erheblich zu beeinträchtigen.

Legt man die Projektdefinition des Bundesnaturschutzgesetzes zu Grunde, wären nur Eingriffe in Natur und Landschaft im Sinne des § 18 Bundesnaturschutzgesetz sowie genehmigungsbedürftige Anlagen nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz und erlaubnis- oder bewilligungsbedürftige Gewässernutzungen erfasst. Dagegen müssten nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs gerade auch die nicht genehmigungsbedürftigen Anlagen sowie die nicht erlaubnis- und bewilligungsbedürftigen Gewässernutzungen erfasst werden, weil auch sie die FFH-Gebiete erheblich beeinträchtigen können. Größer kann die Diskrepanz zwischen dem, was im Bundes- und nachfolgend im Landesrecht geregelt ist, und dem, was eine europäische Richtlinie vorgeschrieben hat, nicht sein.

Damit kommt eine völlig neue Variante in diese Diskussion, weil damit die Zahl und der Umfang der Fälle, in denen eine FFH-Verträglichkeitsprüfung erforderlich ist (und natürlich Auswirkungen haben kann), sich erheblich ausweitet. Prinzipiell ist zukünftig für alle Eingriffe und sonstigen Tätigkeiten, die für Schutzgebiete potenziell schädlich sein können, und das sind auch solche außerhalb der Schutzgebiete, eine FFH-Verträglichkeitsprüfung erforderlich.

Im Ergebnis sind wir genau bei dem, was wir immer befürchtet haben: Besonders für die gemeindliche Planungstätigkeit werden sich erhebliche Einschränkungen und Erschwernisse ergeben. Die Hoffnung derjenigen, die von FFH-Gebieten stark betroffen sind, und zukünftig auch ihrer Nachbarn, man werde schon beim Vollzug durch pragmatischen Umgang alle Bedenken zerstreuen können, wird einmal mehr an dem immer stärker werdenden Einfluss der Europäischen Union zerschellen.

Nicht zu bestreiten ist, dass der Ausgangspunkt aller Probleme eine europäische Richtlinie ist und damit die Ursache nicht in Berlin oder in Mainz zu suchen ist. Aber hat jemand in Berlin, der die Vertretung der Bundesrepublik in Brüssel macht, oder jemand in der Vertretung des Landes in Brüssel solche Konsequenzen 1992, als es um die Richtlinie ging, einmal durchgespielt? Wurde beispielsweise eine „Gesetzesfolgenabschätzung“ von außen gemacht? Am Schluss - und das ist das dauerhaft ernst zu nehmende Thema hinter dem allem - wird deutsche kommunale Selbstverwaltung, besonders die Planungshoheit, in Brüssel immer mehr reduziert und eingeschränkt. Mitstreitende Verteidiger - mehr und stärker als bisher - werden gesucht.


GStB-Kommentar aus Gemeinde und Stadt 04/2006

Reimer Steenbock
Geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Gemeinde- und Städtebundes