Es hat den Anschein, weitere Maßnahmen und Regelungen sind nicht mehr erforderlich.
Die Bürokratisierung und die Entwicklung neuer Standards schreiten im Übrigen unverändert voran.
Das Rechtsgebiet mit der vielleicht insoweit heftigsten Entwicklung ist das Vergaberecht. Der Sinn des Vergaberechts sind Wettbewerb, Chancengleichheit und Stützung und Förderung von Freiheitsrechten. Das Ergebnis sind streng formulierte Verfahren, die ohne Vergaberechtsexperten kaum noch ohne Fehler und damit das Risiko von Nachprüfungsverfahren zu beherrschen sind.
Inzwischen steht nicht mehr die zu vergebende Leistung im Mittelpunkt des Interesses, sondern das Verfahren zur Vergabe dieser Leistung.
Mit jeder Vergaberechtsnovelle, jeder Änderung der entsprechenden Richtlinien auf der europäischen Ebene, jedem mehr oder weniger grundsätzlichen Urteil wird das Recht vielfältiger, formstrenger und damit aufwendiger. Einerseits wird über Dialoge zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer bei der Vergabe geredet, andererseits werden Nachverhandlungen strikt abgelehnt. Einerseits steht eine Vergaberechtsnovelle nach der anderen unter dem Blickwinkel der Vereinfachung des Verfahrens, andererseits entwickelt sich – gerade auch in Rheinland-Pfalz – der Primärrechtsschutz sogar unterhalb der Schwellenwerte, d. h. die zusätzliche Möglichkeit, bei vermuteten oder tatsächlichen Verstößen den Verwaltungsrechtsweg einzuschlagen und eben nicht nur zur Vergabekammer zu gehen.
Wir sollten uns auch überlegen, ob nicht das Wettbewerbs- und Vergaberecht der EU, das prinzipiell nur oberhalb von entsprechend hohen Schwellenwerten anzuwenden ist, nicht mit jeder Vergaberechtsnovelle mehr und mehr auch auf die Auftragsvergaben unterhalb dieser Schwellenwerte angewandt wird. Jedenfalls ist davon, dass die nationalen Gesetzgeber die ihnen eingeräumten beabsichtigten Spielräume nutzen, wenig zu spüren.
Man kann aber auch andere Beispiele wählen, die deutlich machen, dass wir in Deutschland wenig geneigt sind, die Kirche im Dorf zu lassen. Erinnern wir uns noch an die Nachricht über die Belästigung eines Schulkindes auf dem Schulhof. Öffentlich geforderte Konsequenz: Einzäunung der Schulhöfe mit einem entsprechend hohen Zaun, vom einzubauenden Tor ganz zu schweigen. Oder erinnern wir uns an den Grabstein, der nicht standsicher war, umfiel und einen Besucher des Friedhofs verletzte. Konsequenz: Flächendeckende Rüttelproben der Friedhofsträger.
Gerade an diese Beispiele fühlte man sich in der Diskussion über die Unfallhäufigkeit bei der privaten Selbstwerbung von Holz im Wald erinnert. So schön es ist, dass sich in den letzten Jahren der Verkauf von Feuerholz aus dem Wald fast explosionsartig ausgeweitet hat. Die Folge sind ca. 40.000 Menschen, also Zivilisten, die in einem Jahr im rheinland-pfälzischen Wald Holz ernten oder aber so zersägen, dass sie es transportieren können. Viele davon haben das erste Mal eine Kettensäge in der Hand, erworben im nächsten Baumarkt, und noch nicht einmal die Bedienungsanleitung gelesen. Viele von diesen neuen Selbstwerbern haben keinen Motorsägenlehrgang gemacht oder auch keine jahrelange Erfahrung. Das hat zur Folge, dass es eine deutliche Steigerung der tödlichen und schweren Unfälle gibt. Eine schlimme Entwicklung, die nicht beschönigt werden soll.
Aber wie sieht die Konsequenz aus solchen Feststellungen aus? Als erstes wird über den Nachweis der Sachkunde für alle Brennholzselbstwerber geredet. Es gab ernsthaft den Vorschlag, dass von jedem privaten Brennholzselbstwerber ein obligatorischer und kostenpflichtiger Motorsägenlehrgang (Mindestkursinhalt gem. GUV/I 8624) gefordert wird. Da es in Deutschland den Gleichheitsgrundsatz gibt, der ein hohes Gut ist, hätte das auch für den Bauern oder den sonstigen Einwohner gegolten, der seit 30 Jahren jährlich im Gemeindewald sein Holz holt und im Umgang mit einer Motorsäge ähnlich erfahren ist wie ein Waldarbeiter. Es bedurfte erheblicher und langwieriger Gespräche bis in die politische Spitze des Ministeriums hinein, um zumindest die Möglichkeit des Sachkundenachweises durch mehrjährige praktische Erfahrung einzuführen und -zufügen.
Und noch ein Beispiel: Die gerade eingeführten Essenszuschüsse für Kinder aus bedürftigen Familien, die Ganztagsschulen besuchen, sind ein Herzensanliegen der Landespolitik und unseres Innenministers im Besonderen. Es ist auch ein sinnvolles Unterfangen. Deshalb will der kommunale Bereich auch gerne das Seine dazu beitragen, ein solches System und Verfahren zu fördern. Wenn man sich allerdings das Bewilligungs- und Nachweisverfahren betrachtet, das für rd. € 208,00 pro Jahr je betroffener Schüler notwendig war und das dann mit Hinweis auf zwingende rechtliche Vorgaben des Landeshaushaltsrecht begründet und verteidigt wird, so lässt dies gelegentlich verzweifeln.
Wir verwalten uns irgendwann noch zu Tode.
GStB-Kommentar aus Gemeinde und Stadt 09/2006
Reimer Steenbock
Geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Gemeinde- und Städtebundes