„Grünbuch“: Viel Zustimmung für zentrale Rolle der Flexibilität im künftigen Strommarkt


Insbesondere die Erneuerbare-Energien-Branche betont die Flexibilitätsbedürfnisse des künftigen Strommarkts. Die entscheidende Grundlage für die Weiterentwicklung der Energieversorgung ist nach Einschätzung des Bundesverbandes Erneuerbare Energie (BEE) die Erkenntnis, dass die fluktuierenden erneuerbaren Energien immer stärker im Mittelpunkt der Stromversorgung stehen. „Steht fluktuierende Erzeugung im Zentrum der Energieversorgung, so wird klar, dass die Flexibilität der konventionellen Erzeuger und der Verbraucher das Maß ist, nach dem sich ihre Stellung im Energiemarkt bemessen wird“, heißt es in der Stellungnahme des BEE.


Nach Auffassung des BEE spricht eine Reihe von Aspekten gegen die Einführung von Kapazitätsmärkten, bei denen für das Vorhalten einer (gesicherten) Kraftwerksleistung eine Prämie gezahlt würde. Zunächst gebe es gegenwärtig massive Überkapazitäten am Markt. „Regionale Defizite beruhen fast ausschließlich auf mangelhaftem Netzausbau“, heißt es in der Stellungnahme. Das Grünbuch verweise auf die Überkapazitäten, übersehe aber, dass es in Europa eine große Zahl „eingemotteter“ Kraftwerke gebe. Alleine die in der „Magritte“-Gruppe organisierten großen Energieversorger bezifferten diese „stille Reserve“ auf 50 GW. Jüngst habe RWE in den Niederlanden ein Gaskraftwerk „ausgemottet“, nachdem im benachbarten Belgien einige Kernkraftwerke für unabsehbare Zeit vom Netz gingen.

Der BEE folgt aber auch nicht der Analyse, dass der gegenwärtige Energy-only-Markt keine Kapazitätsmerkmale aufweise. Vielmehr würden entsprechende Knappheitssignale am Terminmarkt sichtbar. „Nur wer über entsprechende Kapazitäten verfügt, kann auch Strom zuverlässig anbieten“, heißt es in der BEE-Stellungnahme. Hinzu kämen Regelenergiemärkte, die explizit eine Leistungskomponente beinhalteten. „Ein weiterentwickelter Strommarkt, der höhere Preise und damit auch Flexibilitäten zulässt, wird z.B. neue Flexibilitätsprodukte von Dienstleistern aber auch technische Produkte generieren“, fasst der Dachverband der Erneuerbaren-Branche sein Vertrauen in die Funktionsfähigkeit eines erweiterten Strommarkts 2.0 zusammen.


Die Branche sieht eine Reihe von Flexibilitätsoptionen, mit denen ohne Kapazitätsmechanismus erforderliche Stabilisierungseffekte am Strommarkt erreicht werden könnten. Hierzu zählten unter anderem eine Erhöhung der Liquidität des Viertelstundenhandels an den Strombörsen, eine Anpassung der Rehelleistungsmärkte durch Verkürzung der Vorlaufzeit und der Produktlänge sowie die Integration von fluktuierendem Strom in die Vertriebsportfolios. Auch die Nachfrageseite stelle über das Lastmanagement Flexibilitätsoptionen zur Verfügung.


Eine wichtige Rolle bei der Umgestaltung des künftigen Strommarkts kommt aus Branchensicht der Bioenergie zu. „Die Ausrichtung von Bioenergieanlagen auf eine flexible Fahrweise bietet große Potenziale zum Aufbau einer flexiblen und klimafreundlichen Stromproduktion aus Erneuerbaren Energien, die unbedingt gehoben werden sollten“, heißt es in der BEE-Stellungnahme. Der Fachverband Biogas geht davon aus, dass bei den derzeitigen Anreizen in den nächsten Jahren im Durchschnitt die Hälfte der bestehenden Biogasanlagen ihre Leistung für die flexible Stromproduktion auf dann 5,3 GW verdreifacht und lediglich acht Stunden pro Tag einspeist, „vorausgesetzt die Flexibilisierung wird nicht wie derzeit künstlich gedeckelt“. Bis 2022, wenn die letzten Atomkraftwerke vom Netz gehen, könnte die entsprechende flexible Leistung auf 6,1 GW steigen.


Aktuell seien rund 2.200 Bioenergieanlagen mit einer Leistung von 1,2 GW für eine flexible Fahrweise angemeldet, die Tendenz bezeichnen der Bundesverband Bioenergie (BBE) und der Fachverband Biogas in ihrer eigenen Stellungnahme zum Grünbuch als „stark steigend“. Bei den Anlagen handele es sich aber ausschließlich um Biogasanlagen. „Aber auch Bioenergieanlagen auf der Basis von Holz und anderen Festbrennstoffen können erhebliche Beiträge zur Systemstabilität leisten und tun dies bereits heute“, heißt es weiter. Grundsätzlich verfügten sie in dieser Hinsicht über die gleichen Fähigkeiten wie konventionelle Kraftwerke. Bereits heute seien etwa 3.300 Bioenergieanlagen mit rund 2,3 GW Leistung für die Teilnahme an den verschiedenen Regelleistungsmärkten angemeldet.

Nicht nur die Erneuerbaren-Branche sieht gegenwärtig jenseits einer als sinnvoll erachteten Kapazitätsreserve zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit keinen Bedarf für weiterführende Kapazitätsmechanismen, auch Industrieverbände zeigen sich skeptisch. „Zum jetzigen Zeitpunkt ist angesichts der existierenden und in den nächsten Jahren voraussichtlich weiterhin bestehenden Überkapazitäten kein separater Kapazitätsmechanismus erforderlich“, heißt es in der Stellungnahme des VIK, der ebenfalls Maßnahmen zur Flexibilitätssteigerung bevorzugt. Dazu gehöre auch die Flexibilisierung der Fahrweise von KWK-Anlagen „durch rein marktwirtschaftliche Signale und Anreize“.