VG Gießen: Rückwirkende Einführung der gesplitteten Abwassergebühr rechtswidrig


Mit dem  Beschluss hat das Gericht dem Antrag  einer in Reiskirchen ansässigen Gesellschaft stattgegeben (Az.: 8 L 1734/12.GI).  Die Niederschlagswassergebühr war im Rahmen der Einführung der gesplitteten Abwassergebühr durch die Gemeinde festgesetzt worden. Da gegen die Entscheidung  Beschwerde beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof in Kassel eingelegt worden sind, ist sie nach Angaben des Verwaltungsgerichts noch nicht rechtskräftig.

Die Veranlagung beruhte auf einer Satzungsänderung, die die Gemeinde im Februar 2012 vorgenommen hatte, nachdem sowohl das Verwaltungsgericht Gießen als auch der Hessische Verwaltungsgerichtshof 2009 (Az.: 5A 619/08 vom 02.09.2009; EUWID 46/2009) den alten Gebührenmaßstab für unwirksam erklärt hatten, heißt es in dem Beschluss. Der alte Gebührenmaßstab sah nicht die gesplittete Abwassergebühr vor, also eine Gebührenerhebung, die den Verbrauch von Frischwasser für die Schmutzwasserableitung und eine an den versiegelten Flächen orientierte Niederschlagswasserableitung berücksichtigt.

Das Verwaltungsgericht hat insofern auch nicht die Überarbeitung des Gebührenmaßstabes an sich, sondern dessen rückwirkende Inkraftsetzung beanstandet. Zwar erlaube das Kommunalabgabengesetz (KAG) die rückwirkende Ersetzung einer unwirksamen Gebührensatzung. Diese Möglichkeit sei aber aus verfassungsrechtlichen Gründen dann eingeschränkt, wenn die betroffenen Gebührenzahler mit der rückwirkenden Festsetzung nicht mehr rechnen durften und diese eine unzumutbare Belastung darstelle.

Da die Gemeinde die Abwassergebühr für die Jahre 2010 und 2011 noch nach den alten Satzungsregelungen festgesetzt und auch nicht angekündigt hatte, den Gebührenmaßstab anzupassen, durften die Gebührenzahler nach Auffassung des Gerichts davon ausgehen, es werde nicht zu einer rückwirkenden Anpassung kommen. Darüber hinaus führe die neue Gebührenberechnung für einen Teil der Betroffenen zu erheblich höheren Gebühren, so dass die rückwirkende Festsetzung nicht zumutbar sei. Bedenken äußerte die Kammer zudem daran, dass nach dem KAG eine unwirksame Satzung zwar ersetzt, aber die Abgabepflichtigen in ihrer Gesamtheit dadurch für die Vergangenheit nicht schlechter gestellt werden dürfen als durch die vorherige Satzung.

Die Gebührenumstellung dürfe also nicht zu Mehreinnahmen führen. Dem hatte die Gemeinde Reiskirchen zwar versucht, durch eine Formulierung in der neuen Satzung Rechnung zu tragen, mit der eine Deckelung bei Erreichen des Gebührenbedarfs geregelt wurde, der der alten Satzung zu Grunde lag. Das Gericht hielt diese Formulierung jedoch für zu unbestimmt. Denn mit der gewählten Formulierung sei nicht zu erkennenen, welcher Gebührenbedarf gemeint sei, der Sollgebührenansatz nach dem Haushaltplan – die „Sollgebühren“ - oder die tatsächlich vereinnahmten Gebühren – die „Istgebühren“. Außerdem fehle eine Regelung darüber, wie die Einhaltung des Schlechterstellungsverbotes sichergestellt werden solle. Der Satzungsregelung komme daher eher die Funktion einer Absichtserklärung zu. Ihr fehlten aber die die konkreten für eine Abgabensatzung erforderlichen Vorgaben zur Durchsetzung des Schlechterstellungsverbotes.