Das OVG bezieht sich dabei auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, das - im Hinblick auf das Bayerische Kommunalabgabengesetz (KAG) – entschieden hatte, dass eine zeitliche Obergrenze festgesetzt werden müsse, nach der keine Beiträge mehr erhoben werden können (Az.: 1 BvR 2457/08 vom 05.03.2013). Die Berufung hat das VG Stuttgart nicht zugelassen.
Die Klägerinnen - eine GmbH, die auf dem Grundstück Fruchtsaft und Fruchtsaftkonzentrate herstellte, und die Eigentümerin des Grundstücks - wandten sich gegen die Erhebung von Gebühren für Schmutz- und Niederschlagswasser für die Jahre 2008 und 2009 durch die Stadt. Die ursprünglichen Bescheide vom 31.12.2008 und vom 31.12.2009 waren wurden durch Urteile des Verwaltungsgerichts Stuttgart, die vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg bestätigt wurden, rechtskräftig aufgehoben worden, heißt es in dem Urteil zur Sachlage.
Im Oktober 2014 erhob die Stadt von der GmbH erneut Abwassergebühren für das Grundstück für das gesamte Jahr 2008 in Höhe von 29.466 Euro. Sie stützte sich dabei auf die für die Jahre 2008 und 2009 rückwirkende Abwassersatzung der Stadt vom 16.09.2014. Außerdem erhob die Stadt für das Grundstück von der GmbH erneut Abwassergebühren für 2009 in Höhe von 15.721 Euro.
In ihrer dagegen gerichteten Klage beriefen sich die Klägerinnen darauf, dass die Abwassersatzungen der Stadt von 2002, 2005 und 2014 mit Wirkung für die Jahre 2008 und 2009 nach einem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (Az.: 2 S 1529/11 vom 07.11.2014) nichtig seien. Der rückwirkende Erlass einer Satzung verstoße gegen höherrangiges Recht, sodass der Fehler nicht geheilt werden könne. Die angegriffenen Abwasserbescheide seien deshalb rechtswidrig und folglich aufzuheben.
Die Abwassersatzung sei auch deshalb nichtig, weil die Gebührenerhebung für Trinkwasser nicht nach Wohneinheiten und Gewerbeeinheiten differenziere und weil sie keine Bestimmung des Gebührenschuldners enthalte. Des Weiteren habe die GmbH in erheblichem Umfang entnommenes Trinkwasser zur Saftproduktion verwendet und dieses Wasser damit gerade nicht als Abwasser zurückgeführt, hieß es in der Klage. Dabei handle es sich um Mengen von 4.576 m³ im Jahr 2008 bzw. 3.433 m³ im Jahr 2009. Deshalb dürften insoweit auch keine Abwassergebühren erhoben werden.
Der VGH hat die Klage abgewiesen. Die angegriffenen Bescheide beruhten mit der Abwassersatzung der Stadt vom 16.09.2014 auf einer wirksamen Rechtsgrundlage. Dem stehe weder entgegen, dass die Satzung aus dem Jahr 2014 mit den Jahren 2008 und 2009 abgeschlossene Abwasserabrechnungszeiträume betreffe, noch führten die übrigen von der Klägerseite genannten Aspekte zur Nichtigkeit der Satzung.
Bedenken gegen die rückwirkende Inkraftsetzung bestehen dem Urteil zufolge auch mit Blick auf das grundsätzliche verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot nicht. Es sei zulässig, eine Satzung, die wegen eines Fehlers im Abgabenmaßstab unwirksam ist, durch eine neue, diesen Fehler vermeidende Satzung zu ersetzen, solange die Neuregelung nicht ihrerseits nichtig sei. Dies sei etwa dann der Fall, wenn die Satzung den Kreis der Abgabenpflichtigen erweitere.
Mit der Satzung aus dem Jahr 2014 sei die Abwassersatzung der Stadt aus dem Jahr 2001 ersetzt worden, die eine nach dem Frischwassermaßstab berechnete einheitliche Abwassergebühr für die Schmutz- und Niederschlagswasserentsorgung vorgesehen hatte, was nach dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (Az.: 2 S 2938/08 vom 11.03.2010) unzulässig ist. Deshalb sei die frühere Satzung mangels wirksamer Maßstabsregelung nichtig gewesen, was der VGH Baden-Württemberg im Jahr 2014 in einem Urteil festgestellt hatte (Az.: 2 S 1529/11 vom 07.11.2014). Durch die Abwassersatzung aus dem September 2014 sollte diese Satzung durch eine rechtsgültige, den neuen rechtlichen Anforderungen genügende Satzung ersetzt werden. Damit war das Vertrauen der Betroffenen in die Fortgeltung der alten Rechtslage nicht schutzwürdig, stellt das Gericht fest. Der Normgeber ist dem Gericht zufolge auch dazu befugt gewesen, die unwirksame Satzung durch eine neue, diesen Fehler vermeidende Satzung auch rückwirkend zu ersetzen.
Selbst wenn man die Satzung so auslegen wollte, dass mit der Neufassung der Kreis der Schuldner rückwirkend neu gefasst werden sollte, litte damit nur diese Teilregelung, nicht aber die gesamte Satzung an einem Rechtsmangel, der zur Nichtigkeit dieses Teiles, nicht aber der Gesamtsatzung führte, stellt das Verwaltungsgericht fest.
Die Nichtigkeit der Satzung beträfe auch nach der ausdrücklichen Feststellung des Verwaltungsgerichtshofes nur die rückwirkende Erweiterung des Kreises der Abgabenschuldner, also nur einen inhaltlich begrenzten Teil des Anwendungsbereiches der Satzung. Sie beträfe keinen unverzichtbaren Kernbestandteil der Satzung, sodass ihre Rechtmäßigkeit im Übrigen von der Nichtigkeit dieses Teiles unberührt bliebe.
Für die Bescheide ist dem Urteil zufolge auch keine Festsetzungsverjährung eingetreten. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Danach ist eine Norm, welche die Erhebung von Beiträgen ohne zeitliche Obergrenze nach hinten verschiebt, mit den verfassungsrechtlichen Garantien aus dem Rechtstaatsprinzip und dem Gebot der Rechtssicherheit unvereinbar, weil der Gesetzgeber den Interessenausgleich zwischen den Erwartungen der Bürger auf Eintritt der Festsetzungsverjährung und dem öffentlichen Belang an finanziellen Beiträgen für individuelle Vorteile einseitig zulasten der Schuldner entschieden habe.
Diese Rechtsprechung gilt dem Verwaltungsgericht zufolge aber nur für Beiträge und gerade nicht, wie im vorliegenden Fall, für Gebühren. Auch wenn es sich bei Gebühren ebenfalls um kommunale Abgaben handle, sei die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht auf Gebühren übertragbar. So beruhe die Erhebung von Beiträgen gemäß KAG auf der Möglichkeit der Stadt- und Landkreise, die Kosten für die Anschaffung, die Herstellung und den Ausbau öffentlicher Einrichtungen teilweise von den Grundstückseigentümern zu erheben, denen durch die Möglichkeit des Anschlusses ihres Grundstücks an die Einrichtung nicht nur vorübergehende Vorteile geboten werden.
Während Gebühren nur für die tatsächliche Inanspruchnahme dieser Leistungen erhoben würden, genüge die potenzielle Inanspruchnahme durch den Beitragsschuldner, um die Erhebung von Beiträgen zu rechtfertigen. Daraus folge für die Festsetzungsverjährung, dass der Gebührenschuldner im Gegensatz zu einem Beitragsschuldner um seinen Verbrauch - also die tatsächliche Begründung seiner Abgabenpflicht - weiß und deshalb in Bezug auf die Festsetzungsverjährung weniger schutzwürdig ist.
Schließlich kann die Klägerin dem Gericht zufolge auch nicht die Absetzung der ihr in Rechnung gestellten Wassermengen im Umfang von 4.576 m³ (für das Jahr 2008) und 3.433 m³ (für das Jahr 2009) verlangen. Denn der Satzungsgeber dürfe eine solche Absetzung von einem Nachweis abhängig machen und diesen Nachweis dem Nutzer und Gebührenschuldner auferlegen. Ein besonderer Wasserzähler existiert aber nicht. Der Nachweis könne zwar auch etwa anhand allgemeiner Erfahrungswerte geführt werden. Für den Bereich der Fruchtsaftherstellung fehle es allerdings an solchen allgemeinen Erfahrungswerten, da verallgemeinerungsfähige Werte wegen der unterschiedlichen Produktionsverhältnisse in den jeweiligen Einzelbetrieben nicht zu ermitteln seien. Welcher Wasseranteil verarbeitet und daher nicht als Abwasser eingeleitet ist, richtet sich nach der jeweiligen konkreten Rezeptur der Fruchtsaftgetränke, mithin nach individuellen, von Betrieb zu Betrieb und von Produkt zu Produkt unterschiedlichen Vorgaben. Eine Schätzung der Mengen sei dagegen in all jenen Fällen ausgeschlossen, in denen die Gewährung gebührenmindernder oder -begünstigender Rechtsfolgen von einem bestimmten Nachweis abhängt. Andernfalls würde durch die Reduzierung des Beweismaßes die Nachweispflicht ad absurdum geführt.
Entgegen der Auffassung der Klägerinnen verstoße es auch nicht gegen das Differenzierungsgebot, Grundgebühren für die Trinkwasserversorgung zu erheben, ohne dabei nach Wohneinheiten und Gewerbeeinheiten zu differenzieren. Das Verwaltungsgericht Stuttgart hält nach eigenen Angaben die Differenzierung nach der Nenngröße der eingebauten Wasserzähler für ausreichend, um - dem Wahrscheinlichkeitsmaßstab entsprechend - die Wassergrundgebühren nach dem verbrauchsunabhängigen Anteil an der Vorhalteleistung und der abrufbaren Lieferbereitschaft zu bemessen. Die von der Klägerseite geforderte Bildung der unterschiedlichen Benutzergruppen Wohnen und Gewerbe und eine damit verbundene unterschiedlich hohe Grundgebühr wäre allenfalls dann geboten, wenn eine der genannten Gruppen deutlich stärker von den Vorhalte- und Bereitstellungsleistungen der Wasserversorgung profitieren würde und dies - über die verbrauchsabhängige Erfassung durch den Leistungsanteil der Gebühren hinaus - nicht adäquat durch die von der Beklagten vorgenommene Differenzierung anhand der Größe der Wassermesser erfasst werden würde. Dafür gebe es aber keine Anhaltspunkte.