VGH Hessen: Gemeinsame Grundgebühr für Schmutz- und Regenwasser mit Flächenmaßstab unzulässig


Die klagende GmbH erwarb von der Voreigentümerin, die auf dem Grundstück die Produktion und den Vertrieb von Obst- und Gemüsesäften sowie von Honig betrieb, mit Kaufvertrag vom 28. August 2009 ein Grundstück im Gebiet der beklagten Stadt Hünfeld. Als Übergabetermin war der 30. September 2009 vereinbart. Das Grundstück wird im Mischsystem entwässert, heißt es in dem Urteil zum Sachverhalt.


Mit Grundbesitzabgabenbescheid vom 12. Februar 2011 setzte die Stadt gegenüber dem Unternehmen die Grundgebühr für Abwasser aufgrund einer Quadratmeterzahl von 71.454 für die Zeit vom 1. Oktober bis zum 31. Dezember 2009 auf 2.411,57 Euro und für die Jahre 2010 und 2011 auf jeweils 14.290,80 Euro fest. Das Unternehmen beantragte daraufhin die Befreiung von der Entrichtung der Abwassergebühren für die Jahre 2009 bis 2011. Mit Bescheid aus dem Januar 2012 setzte die Stadt die Grundgebühr für Abwasser auch für das Jahr 2012 aufgrund von 71.454 Quadratmetern auf 17.863,50 Euro fest. Gegen diesen Bescheid legte die GmbH Anfang 2012 Widerspruch ein.


Im April 2012 entschied die Stadt dann über verschiedene Anträge der GmbH, unter anderem über den Befreiungsantrag aus dem April 2011. Die Grundbesitzabgabenbescheide vom 12. Februar 2011 und vom 12. Januar 2012 wurden teilweise abgeändert. Dabei wurden separate Parzellen, die nicht über einen eigenen Anschluss an die öffentliche Kanalisation verfügen, aus der Berechnung herausgenommen. Für die Berechnung der Grundgebühr wurde lediglich eine Fläche von 43.376 Quadratmeter zugrunde gelegt. Dementsprechend wurde die zu zahlende Grundgebühr für das Jahr 2009 auf 1.463,94 Euro, für die Jahre 2010 und 2011 auf jeweils 8.675,20 Euro und für das Jahr 2012 auf 10.844,00 Euro reduziert.


Gegen diesen Bescheid vom 17. April 2012 legte die Klägerin mit Schreiben vom 2. Mai 2012 Widerspruch ein, die die Stadt zurückwies. Auch Widersprüche wegen der Erhebung von grundstücksbezogenen Abwassergebühren für die Jahre 2009 bis 2011 und für das Jahr 2012 wies die Stadt zurück. Hinsichtlich der Erhebung von Gebühren für die Vorhaltung von Abwasseranlagen sei es nicht von Bedeutung, ob diese Flächen bebaut oder befestigt seien. Durch die satzungsgemäß zu erhebende Grundgebühr würden die Vorhaltekosten, die unabhängig von den eingeleiteten Mengen seien, refinanziert.


Die GmbH erhob dagegen Klage beim Verwaltungsgericht. Auf dem Grundstück werde eine eigene Kläranlage betrieben, brachte das Unternehmen vor. Ein Anschluss an die Abwasserkanalisation sei nur hinsichtlich einer bebauten Fläche von 4.300 Quadratmeter erfolgt. Für das Niederschlagswasser bestünden verschiedene Rückhaltebecken, die das jahresdurchschnittlich anfallende Niederschlagswasser abdeckten. Der öffentliche Kanal werde lediglich für den Bereich einer Halle, für den allein auch ein Kanalanschluss bestehe, in Anspruch genommen. Nach dem Hessischen Kommunalabgabengesetz (Hess KAG) könne eine Grundgebühr nur in Verbindung mit einer Zusatzgebühr gefordert werden.


Nach der gesetzlichen Grundlage komme es demnach auf die tatsächliche Inanspruchnahme und nicht nur auf deren Möglichkeit an, argumentierte die GmbH. Diese werde aber nur als Zuschlag für die befestigte Fläche in Ansatz gebracht. Im Übrigen reichten die Leitungen und Anschlüsse zum öffentlichen Kanal nicht aus, um eine ordnungsgemäße Entwässerung des Grundstücks zu bewirken, da diese nicht ausreichend dimensioniert seien. Insoweit komme es auch auf die Anschlussleitung an, da diese zu den Abwasseranlagen im Sinne der Entwässerungssatzung (EWS) gehörten. Sie habe aufgrund der ihr erteilten wasserrechtlichen Erlaubnis die Befugnis, ohne Inanspruchnahme des öffentlichen Kanals Abwasser und Niederschlagswasser zu entwässern. Das Kanalnetz mit Anschlussmöglichkeit sei erst nach Herstellung der eigenen Anlagen geschaffen worden und nicht für die Aufnahme des gesamten Niederschlagswassers des klägerischen Grundstücks konzipiert. Ein Vorhaltevorteil fehle daher rechtlich und tatsächlich. Es sei gerichtlich entschieden, dass die Heranziehung zu Grundgebühren für den öffentlichen Kanal dann nicht gerechtfertigt sei, wenn eine öffentliche Einleitungserlaubnis vorliege.


Mit dem Urteil des Verwaltungsgerichts Kassel vom 27.10.2016) wurde der Bescheid der Stadt aus dem Januar 2012 insoweit aufgehoben, als darin eine Grundgebühr für Niederschlagswasser bezogen auf eine größere Fläche als 4.300 Quadratmeter des Grundstücks in Ansatz gebracht worden war. Im Übrigen wurde die Klage abgewiesen. Sowohl die Stadt als auch das Unternehmen legten jeweils Berufung vor dem VGH ein.


Im Hinblick auf die Berufung des Unternehmens sieht der Verwaltungsgerichtshof Hessen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Entscheidung der Stadt, die zugrunde zu legende Fläche für diesen Zeitraum nicht weiter zu reduzieren, ermessensfehlerhaft wäre. Auch die Berufung der Stadt hat der VGH abgelehnt. Die Stadt wandte sich mit ihrer Berufung gegen die Aufhebung des Bescheids aus dem Jahr 2012, soweit darin eine Grundgebühr bezogen auf eine größere Fläche als 4.300 Quadratmeter der Liegenschaft der GmbH erhoben worden ist. Maßstab für die Grundgebühr ist dem VGH zufolge in der rückwirkend geänderten Fassung des § 24 EWS die Grundstücksfläche angeschlossener Grundstücke. Vor der rückwirkenden Änderung lautete die Formulierung für den Gebührenmaßstab „angeschlossene Grundstücksfläche“. Mit beiden Formulierungen habe die Stadt keinen wirksamen Maßstab zur Bestimmung der Grundgebühr gewählt, urteilt der VGH.


Die Grundgebühr für die Vorhaltung der Abwasseranlagen beziehe sich nach dem eindeutigen Wortlaut der EWS auf Abwasser insgesamt, d.h. auf die Vorhaltung der Anlagen, die der Beseitigung von Schmutzwasser und Niederschlagswasser dienen. Darauf bezogen hält der in der Satzung gewählte Maßstab für die Grundgebühr „Grundstücksfläche angeschlossener Grundstücke“ (zuvor „angeschlossene Grundstücksfläche“) den Anforderungen des Grundsatzes der Abgabengerechtigkeit nicht stand.


Die Grundgebühr, die der teilweisen oder vollständigen Abgeltung der verbrauchsunabhängigen Betriebskosten diene, werde zwar nicht verbrauchsabhängig nach dem Ausmaß der konkreten Benutzung, d.h. der Inanspruchnahme der Einrichtung, bemessen. Allerdings sei auch sie, wenn auch verbrauchsunabhängig, nach einem Wahrscheinlichkeitsmaßstab zu bemessen, der sich an Art und Umfang der abrufbaren Arbeitsleistung als Anhaltspunkt für die vorzuhaltende Höchstlastkapazität orientiert. Dabei genügt es dem Urteil zufolge für einen Wahrscheinlichkeitsmaßstab, „dass der von der Maßstabsregelung vorausgesetzte Zusammenhang zwischen Gebührenbemessung und Art und Umfang der Inanspruchnahme denkbar und nicht offensichtlich unmöglich ist“.


Der in der Satzung der Stadt für die Grundgebühr zugrunde gelegte Maßstab der Fläche des angeschlossenen Grundstücks sei aber zumindest hinsichtlich der Abwasseranlagen, die der Schmutzwasserentsorgung dienen, kein geeigneter Maßstab. Die Fläche des jeweils angeschlossenen Grundstücks biete keinen - auch keinen groben - Anhaltspunkt für die Inanspruchnahmemöglichkeit im Hinblick auf den Anfall der Schmutzwassermenge auf dem betreffenden Grundstück. Der VGH weist darauf hin, dass dabei etwa die Durchflussmenge der Wasserzähler für Frischwasser oder die Zahl der Wohneinheiten als Maßstabseinheiten anerkannt seien.


Ob der Maßstab für eine reine Grundgebühr auf die Fixkosten für die Beseitigung von Niederschlagswasser geeignet wäre, braucht der VGH nach eigenen Angaben ebenso wenig zu entscheiden wie die Frage, ob ein geeigneter Maßstab für eine einheitliche Grundgebühr für die Vorhaltung der Anlagen zur Beseitigung von Niederschlags- und Schmutzwasser rechtlich möglich sei. Die Erwägungen, die zur Einführung der gesplitteten Benutzungsgebühren für beide Bereiche geführt haben, sprechen dem VGH zufolge aber eher dagegen. Weil damit der Erhebung einer Grundgebühr für das Vorhalten der Abwasseranlagen für das Jahr 2012 eine wirksame satzungsrechtliche Ermächtigungsgrundlage der Stadt fehle, sei der Bescheid insgesamt rechtswidrig. Da die GmbH allerdings nur die Aufhebung des Bescheides begehrt habe, soweit dieser eine größere Grundfläche zur Berechnung der Grundgebühr als 4.300 Quadratmeter zu Grunde legt, ist der Bescheid dem Urteil zufolge im Übrigen bestandskräftig geworden. Die auf vollständige Abweisung der Klage gerichtete Berufung der Beklagten sei dementsprechend als unbegründet zurückzuweisen.