VG Neustadt: Vergrößerung der Kapazität eines Kanals kann mit Abwasserabgabe verrechnet werden


Die SGD Süd ist mit dem Urteil verpflichtet worden, die Aufwendungen der Stadtentwässerung Kaiserslautern für die Kanalbaumaßnahme mit der Schmutzwasserabgabe im Zeitraum Juni 2009 bis Juni 2012 zu verrechnen und einen Betrag in Höhe von rund 1,864 Millionen Euro  aus der Schmutzwasserabgabe an die Stadtentwässerung zurückzuzahlen.

Wie das Gericht zum Sachverhalt schreibt, beantragte die Stadtentwässerung, dass Aufwendungen für die Baumaßnahme „Berliner Brücke: Neubau Stauraumkanal S21 mit Entlastungsbauwerk +R101“ (S21/R101) mit der Schmutzwassergabe für die Jahre 2009 bis 2012 verrechnet werden sollten. Die Maßnahme S21/R101 war von der SGD Süd zusammen mit der Maßnahme „Lothringer Dell: Umbau Überlauf R01 zum Staukanal S20/R01“ (S20/R01) im Dezember 2009 wasserrechtlich genehmigt worden. Im Juni 2012 stimmte die SGD Süd der Inbetriebnahme der Maßnahme S21/R101 zu. Die Maßnahme S20/R01 wurde dagegen erst im Jahr 2017 in Betrieb genommen.


Beide Maßnahmen führten zu einer Verringerung der Mischwassermengen, die bei starken Regenfällen über die Einleitestelle Lothringer Dell (Regenüberlauf R01) dem Vorfluter „Lauter“ zugeführt werden, heißt es in dem Urteil weiter. Im Zuge der Maßnahme S21/R101 baute die Stadtentwässerung neben dem neuen Stauraumkanal S21 im Bereich der „Berliner Brücke“ ein Regulierbauwerk in Form eines Kaskadenwehres in Kombination mit einem Entlastungswehr in den vorhandenen Mischwasserkanal ein. An dieses Wehr schließt sich ein Entlastungskanal zur neugeschaffenen Einleitestelle R101 an.


Durch diese Maßnahme ist dem Gericht zufolge ein zusätzliches Stauvolumen von 15.000 m³ erreicht worden, das mit dem Bauwerk S21/R101 gezielt bewirtschaftet werden könne. Dies verringere den Spitzenabfluss zum vorhandenen Entlastungbauwerk R01 „Lothringer Dell“ mit der Folge, dass dort weniger Schmutzfracht in die Lauter entlastet werde. Bei der späteren Maßnahme am Lothringer Dell S20/R01 wurde dann der vorhandene Regenüberlauf R01 zum Staukanal S20/R01 umgebaut, wodurch ein zusätzliches Stauvolumen von ca. 5.000 m³ aktiviert werden konnte, heißt es weiter. Dies führte zu einer weiteren Reduzierung der dort entlasteten Schmutzfracht. Im Ergebnis würden jetzt über die Einleitstellen R101 und R01 zusammen nur noch durchschnittlich 81.499 kg CSB pro Jahr der Lauter zugeführt, während vor den Maßnahmen über die Einleitestelle R01 „Lothringer Dell“ durchschnittlich 101.250 kg CSB pro Jahr in die Lauter entlastet worden seien.


Die SGD Süd lehnte mit einem Bescheid aus dem April 2017 die Verrechnung ab, weil die Maßnahmen „Berliner Brücke“ S21/R101 und „Lothringer Dell“ S20/R01 aus ihrer Sicht eine Gesamtmaßnahme darstellten und deshalb eine Verrechnung erst nach der Inbetriebnahme der Maßnahme S20/R01 in Betracht komme. Außerdem sei bei der Maßnahme S21/R101 kein Entlastungsbauwerk ersetzt oder umgebaut worden, was für eine Verrechnung aber erforderlich sei. Den dagegen fristgerecht erhobenen Widerspruch der Stadtentwässerung wies die SGD Süd mit Widerspruchsbescheid vom 7. Juli 2017 zurück.


Die Stadtentwässerung hat daraufhin am 27. Juli 2017 Klage erhoben. Die Maßnahme „Berliner Brücke“ S21/R101 erfülle die Voraussetzungen einer Verrechnung, weil dadurch mehr Schmutzfracht in der Kläranlage behandelt und weniger Schmutzfracht in den Vorfluter entlastet werde, argumentierte die Stadtentwässerung. Dass sie auch im Bereich „Lothringer Dell“ eine Baumaßnahme ausgeführt habe mit dem Ziel, dort eine weitere Verringerung der Einleitung von Schmutzfracht in die Lauter zu erreichen, sei hingegen unerheblich. Ein funktionaler Zusammenhang zwischen den beiden Maßnahmen, der nur eine gemeinsame Verrechnung zuließe, bestehe nämlich nicht. Für die Verrechenbarkeit sei allein Funktion und Wirkung einer Abwasseranlage entscheidend, nicht deren Planung und wasserrechtliche Genehmigung. Maßgeblich sei daher, dass der Maßnahme S21/R101 eine eigenständige, die Lauter entlastende Wirkung zukomme.


Dem Verwaltungsgericht Neustadt zufolge liegen die Voraussetzungen einer Verrechnung vor. Bei den Investitionen für die Maßnahme „Neubau Stauraumkanal S21 mit Entlastungsbauwerk +R101 im Bereich Berliner Brücke“ (S21/R101), die im Juni 2012 in Betrieb genommen wurde, handle es sich um verrechnungsfähige Aufwendungen für die Erweiterung von Anlagen im Sinne von § 10 Abs. 4 AbwAG (siehe Kasten), weil sie das Abwasser vorhandener Einleitungen einer Abwasserbehandlungsanlage zuführt und bei den Einleitungen insgesamt eine deutliche Minderung der Schadstofffracht zu erwarten sei.


Die von der Klägerin im Bereich „Berliner Brücke“ getätigten Investitionen seien Investitionen für die Erweiterung von Zuführungsanlagen im Sinne vom § 10 Abs. 4 AbwAG. Denn die Maßnahme S21/R101 diene dazu, die Aufnahmekapazität des Kanalsystems zu vergrößern, um bei Regen Wasser im größeren Umfang als bisher zwischenzuspeichern und dadurch den Abschlag von Mischwasser in die Lauter über das vorhandene Überlaufbauwerk R01 zu reduzieren. Auf Grund dieser Anlagenerweiterung werde damit das Abwasser, das bisher über den Überlauf R01 in den Vorfluter gelangte, vermehrt einer Abwasserbehandlungsanlage zugeführt, wobei die Anforderungen etwa im Hinblick auf die Schadstofffracht eingehalten werden.


Dabei sei in Bezug auf die Maßnahme S21/R101 auch insgesamt eine Minderung der Schadstofffracht zu erwarten. Zwar sei mit dieser Maßnahme die Eröffnung einer Einleitung in den Fluss Lauter über die neue Einleitestelle R101 verbunden. Die neue Entlastungsfracht über die Einleitestelle R101 betrage aber nur 1.478 kg CSB und damit nur einen Bruchteil der Menge CSB, die durch die Erhöhung des Stauraumvolumens um ca. 15.000 m³ nicht mehr über die Einleitestelle R01 dem Vorfluter, sondern nach einer Zwischenspeicherung der Kläranlage zugeleitet wird, heißt es in dem Urteil.


Abwasser einer vorhandenen Einleitung zu einer Abwasserbehandlungsanlage zuzuführen ist dem Gericht zufolge auch der Hauptzweck der Maßnahme S21/R101. Der Umstand, dass die Erhöhung des Stauraumvolumens an anderer Stelle gegebenenfalls auch Überflutungen vermeidet, ändere daran nichts. Damit, resümiert das VG Neustadt, liegen die Verrechnungsvoraussetzungen des § 10 Abs. 4 in Verbindung mit § 10 Abs. 3 Satz 1 AbwAG im Hinblick auf die Maßnahme S21/R101 vor. Der Rechtsauffassung der SGD Süd, dass eine Verrechnung hier trotz der Inbetriebnahme der Maßnahme S21/R101 im Jahr 2012 deshalb nicht in Betracht komme, weil die Maßnahme nicht nur mit der Maßnahme S20/R01 geplant und gemeinsam zur Genehmigung gebracht worden sei, sondern mit dieser Maßnahme auch in einem funktionalen Zusammenhang stehe und deshalb eine Verrechnung erst nach der Inbetriebnahme der Gesamtmaßnahme erfolgen könne, folgt das Gericht dagegen nicht.


Das AbwAG gibt dem Gericht zufolge nichts dafür her, dass der Frage, ob Zuführungsanlagen gemeinsam geplant und/oder gemeinsam wasserrechtlich genehmigt wurden, eine maßgebliche Bedeutung für die Verrechenbarkeit der dafür entstandenen Aufwendungen zukommen könnte. Die Vorschriften sprechen vielmehr nur von der Errichtung bzw. Erweiterung von Anlagen, heißt es in dem Urteil. Entscheidend sei vielmehr die Funktion der jeweiligen Anlage bzw. Anlagenerweiterung.


Bei investitionsfreundlicher Auslegung dieser Vorschriften sei daher immer dann, aber auch nur dann, von einer verrechenbaren Anlage im funktionellen Sinn auszugehen, wenn die Maßnahme nach ihrer Inbetriebnahme eigenständig das Abwasser einer vorhandenen Einleitung einer Abwasserbehandlungsanlage zuführt und die Anlage bzw. die Anlagenerweiterung als solche bei den Einleitungen insgesamt zu einer Minderung der Schadstofffracht führt. Dies sei bei der Maßnahme S21/R101 der Fall, denn nach ihrer Inbetriebnahme im Jahr 2012 sei die Einleitung von Abwasser in die Lauter erheblich verringert worden, ohne dass es dazu weitere Maßnahmen, insbesondere nicht einer Inbetriebnahme der Maßnahme S20/R01, bedurft hätte, stellt das Gericht fest.