BGH: Behinderung des Abflusses kann Nachteil laut Wasserhaushaltsgesetz sein


Mit dem Urteil hat der BGH einen Beschluss des Oberlandesgerichts Rostock (Aktenzeichen:  3 U 21/16 vom 04.01.2017) aufgehoben und an das OLG zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Der klagende Grundstückseigentümer nimmt die beklagte Gemeinde darauf in Anspruch, durch geeignete Maßnahmen zu verhindern, dass sich abfließendes Niederschlagswasser von einer Gemeindestraße auf sein Grundstück zurückstaut, schreibt der BGH zum Sachverhalt.


Das Grundstück liegt zwischen landwirtschaftlichen Flächen und einer Gemeindestraße. Jenseits der Straße schließen sich Richtung weitere Felder an. Ob ein Gefälle besteht, ist dem BGH zufolge zwischen den Parteien ebenso streitig wie die Bodenbeschaffenheit.


Eigentümer: Felder können Wasser nicht mehr aufnehmen


Der Eigentümer behauptet, bei stärkeren Regenfällen seien die Böden der oberhalb seines Grundstücks gelegenen Felder insbesondere im Winter regelmäßig nicht mehr in der Lage, anfallendes Wasser aufzunehmen, das dann über sein Grundstück und die Gemeindestraße auf die tiefer gelegenen Felder abfließe. Um sich vor Hochwasser zu schützen, habe er das Fußbodenniveau des von ihm errichteten Bungalows rund 15 cm über dem Scheitelpunkt des Straßenniveaus anlegen lassen. Aus diesem Grund sei sein Eigentum von starken Hochwassern Ende Januar/Anfang Februar 2006 und im Sommer 2011 kaum betroffen gewesen.


Gemeinde errichtet „faktisch einen Damm“


Allerdings habe die Gemeinde im Zuge der Beseitigung der bei dem Sommerhochwasser 2011 entstandenen Schäden an der Straße entgegen einer anders lautenden Zusicherung die so genannte Gradiente – den Höhenverlauf im Bezug zum Streckenverlauf - der Straße im Jahr 2012 um 14,5 cm erhöht. Faktisch sei dadurch ein Damm errichtet worden, der den Abfluss des Niederschlagswassers auf die benachbarten Felder behindere. Zwar sei es seitdem noch nicht zu einer Überflutung seines Grundstücks gekommen. Dies liege aber nur an den günstigen Witterungsbedingungen.


Gemeinde: Abfluss ausreichend gewährleistet


Die Gemeinde behauptet, die Grundstücke diesseits der Straße lägen seit jeher tiefer als der Straßenkörper. Im Zuge der Straßenerneuerung sei das ursprünglich vorhandene Entwässerungsrohr durch ein größeres ersetzt worden, das den Abfluss von Niederschlagswasser ausreichend gewährleiste. Die Straße sei überdies mit einem Gefälle in Richtung der auf der anderen Straßenseite gelegenen Straßengräben und Felder versehen worden. Niederschlagswasser könne nicht in Richtung der Wohngrundstücke fließen.


BGH: Vorbeugender Abwehranspruch nicht zu verneinen


Nachdem das Landgericht Rostock die Klage abgewiesen hatte (Aktenzeichen 9 O 329/14 (4) vom 26.01.2016) wies das Oberlandesgericht wies die Berufung des Eigentümers zurück. Die dagegen gerichtete Revision des Eigentümers vor dem BGH hat Erfolg. Die Auffassung des OLG, dass die Gemeinde nicht Störerin im Sinne des § 1004 BGB sei, da das Niederschlagswasser nicht auf ihrem Grundstück anfalle, sondern die Störung von den oberhalb gelegenen Grundstücken ausgehe und die Gemeinde damit keine originäre Beseitigungspflicht treffe, halte rechtlicher Überprüfung nicht stand.


Vielmehr sei ein gegen die Gemeinde gerichteter Anspruch, Maßnahmen zur Verhinderung einer zusätzlichen Belastung des Grundstücks des Klägers mit wild abfließendem Niederschlagswasser zu ergreifen, nicht auszuschließen, heißt es in dem Urteil. Nach dem bisherigen Sach- und Streitstand lasse sich der geltend gemachte vorbeugende und verschuldensunabhängige Abwehranspruch des Eigentümers gegen die Gemeinde nicht verneinen.


Eigentümer kann sich gegen Einschränkungen durch wild

abfließendes Wasser zur Wehr setzen


Grundsätzlich kann sich dem BGH zufolge der Eigentümer eines Grundstücks gegen Einwirkungen darauf, die von einem Nachbargrundstück ausgehen und sein Eigentum beeinträchtigen, mit dem auf Unterlassung gerichteten Abwehranspruch aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB zur Wehr setzen - auch gegen Einwirkungen durch wild abfließendes Niederschlagswasser.


Mit dem vorbeugenden Unterlassungsanspruch könnten auch künftige Störungen abgewehrt werden, sofern die erstmalige Beeinträchtigung ernsthaft droht. Lasse sich die drohende Beeinträchtigung nicht anders verhindern, könne unter Umständen auch ein aktives Eingreifen des Anspruchsgegners in Form „geeigneter Maßnahmen“ - wie vom Kläger beantragt - geboten sein. Inhalt und Umfang des Anspruchs im Einzelnen ergeben sich aus der gesetzlichen Regelung des Nachbarrechts, das durch den Ausgleich der einander widerstreitenden Interessen der Nachbarn gekennzeichnet sei.


„Bereits Landgericht verkennt § 37 Abs. 1 Satz 1 WHG“


Die Annahme des OLG, der Unterlieger sei in Ermangelung landesrechtlicher Vorschriften berechtigt, das Niederschlagswasser abzuwehren, während der Oberlieger dies „spiegelbildlich“ auch für den Fall der Beeinträchtigung seines Grundstücks durch einen Rückstau des Wassers hinzunehmen habe, selbst wenn das Niederschlagswasser dort nicht primär angefallen sei, beruhe darauf, dass bereits das Landgericht Rostock § 37 Abs. 1 Satz 1 WHG verkannt habe. Nach dieser Bestimmung darf der natürliche Ablauf wild abfließenden Wassers auf ein tiefer liegendes Grundstück nicht zum Nachteil des höher liegenden Grundstücks behindert werden, erläutert der BGH.


Gemeinde als Störerin im Sinne des BGB anzusehen


Die Gemeinde ist dem BGH zufolge als Störerin im Sinne des BGB anzusehen, weil sie bei der Planung und Ausführung der Sanierung der Straße diese Vorschrift des WHG nicht hinreichend beachtet habe. Verboten sei  eine künstliche Veränderung des natürlichen Ablaufs von wild abfließendem Wasser zum Nachteil des höher liegenden Grundstücks. Ausgangspunkt sei insoweit das natürliche Geländegefälle. Maßgeblich seien hier die vorhandenen Geländeverhältnisse vor der Sanierung der Straße.


Nur drohende Nachteile genügen nicht


Für einen „Nachteil“ im Sinne des § 37 Abs. 1 Satz 1 WHG müsse die Nutzbarkeit des betroffenen Grundstücks gegenüber dem bisherigen Zustand eingeschränkt sein; es müsse eine spürbare „Belästigung“ für den Grundstückseigentümer entstanden sein und dadurch das Grundstück erheblich beeinträchtigt werden. Nur drohende Nachteile reichten nicht aus, sie müssten vielmehr tatsächlich eintreten oder doch mit Sicherheit zu erwarten sein. Ausreichend sei aber, dass sich die Wasserzufuhr nur bei stärkerem Regen nachteilig auswirkt.


Nachteil aufgrund höherer Gewalt kann keinen Unterlassungsanspruch begründen


Ein Nachteil in diesem Sinn liege allerdings nicht vor, wenn eine Beeinträchtigung des betroffenen Grundstücks nur bei einem ganz ungewöhnlichen und seltenen Starkregen zu erwarten ist. Denn in einem solchen Fall verwirkliche sich weniger die durch den Rückstau von Niederschlags- oder sonstigem wild abfließendem Wasser geschaffene latente Gefahr, sondern die in einem Katastrophenregen zum Ausdruck kommende höhere Gewalt. Ein Nachteil, der letztlich nicht mehr auf dem Eingriff des Anspruchsgegners, sondern auf den Wirkungen höherer Gewalt beruhe, könne einen Unterlassungsanspruch nicht begründen. Bei der Beurteilung wird es indes ebenfalls eine Rolle spielen, ob ein drohendes Schadensereignis nicht trotzdem mit wirtschaftlich zumutbaren Mitteln abgewendet werden könne.


Nachteile nicht ausgeschlossen


Vor diesem Hintergrund sei es nach dem bisherigen Sach- und Streitstand nicht ausgeschlossen, dass sich die Straßenbaumaßnahmen der Gemeinde nachteilig auf das klägerische Grundstück ausgewirkt haben, heißt es in dem Urteil. So könne ein Verstoß gegen die Vorschrift des WHG kann darin liegen, dass durch Straßenbaumaßnahmen der Abfluss des Wassers auf die Nachbargrundstücke verstärkt wird. Ebenso darf der Straßenbaulastpflichtige etwa im Zusammenhang mit dem Ausbau einer Straße keinen Damm errichten, der den natürlichen Wasserabfluss verhindert. Nichts anderes könne für die behauptete Erhöhung der Gradiente einer zu sanierenden Straße um 14,5 cm gelten, wenn sie dazu führt, dass das Oberlieger-Grundstück durch den Rückstau des abfließenden Wassers beeinträchtigt wird.


Beeinträchtigung nicht nur in Ausnahmefällen


Eine bei einem heftigen Regen zu erwartende, im Vergleich zu dem Zustand vor der Sanierungsmaßnahme stärkere Überschwemmung eines Grundstücks, insbesondere der Gebäude, stellt dem BGH zufolge einen deutlich spürbaren Nachteil im Sinne des WHG dar. Der Nachteil beeinträchtige das Grundstück erheblich, wenn dies nicht nur in extremen Ausnahmefällen, sondern regelmäßig wiederkehrend zu befürchten sei. Zugleich liege darin eine ernsthaft drohende Beeinträchtigung im Sinne von § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB. Dass die bestehende Gefahr tatsächlich eintritt, müsse der Betroffene nicht abzuwarten, heißt es in dem Urteil.