Bauplanung: Entwässerung muss vorhanden sein, wenn die geplanten Anlagen fertig sind


Eine Grundstückseigentümerin wandte sich in dem behandelten Fall gegen den Bebauungsplan „Hinter Hof III“ am Ortsrand des Ortsteils Bohlingen der Stadt Singen (Hohentwiel) aus dem Jahr 2016, so der VGH zum Sachverhalt. Der Bebauungsplan weist im gesamten, etwa 2,9 ha großen Plangebiet ein allgemeines Wohngebiet aus und erweitert damit die bereits mit dem Bebauungsplan „Hinter Hof II“ ausgewiesenen Wohnbauflächen. Das Plangebiet soll im Trennsystem entwässert werden; in Bezug auf das Abwasser ist ein Anschluss an die bereits seit der Umsetzung des Bebauungsplans „Hinter Hof II“ vorhandenen und ausreichend dimensionierten Abwasserleitungen vorgesehen.


Das Niederschlagswasser soll zunächst in Zisternen gesammelt und dann mittels Überläufen in eine gesonderte Regenwasserleitung innerhalb der neuen Straßenfläche nach Süden hin in die Radolfzeller Aach abgeleitet werden. Zu diesem Zweck setzt der Bebauungsplan Flächen für die Regelung des Wasserabflusses sowie unterirdische Versorgungsanlagen und -leitungen fest.


Außerhalb des Plangebiets soll das Niederschlagswasser über Rückhaltebecken gedrosselt über einen Vorfluter weiter in die Aach geleitet werden. Dazu trifft der Bebauungsplan keine weiteren Festsetzungen. Die Rückhaltebecken bzw. Versickerungsmulden seien aber Gegenstand einer bestandskräftigen befristeten wasserrechtlichen Erlaubnis, die vom Landratsamtes Konstanz zuletzt bis Ende Dezember 2029 verlängert wurde.


Stadt legt geänderte Planung zu Versickerungsmulden vor


Im August 2016 legte die Stadt eine im Hinblick auf die abwassertechnische Erschließung des Plangebiets „Hinter Hof III“ geänderte Planung zu den Versickerungsmulden vor. Vorgesehen waren zuletzt eine Vergrößerung der Versickerungsfläche durch den Bau einer kleineren Versickerungsmulde 1 mit einem Stauvolumen von ca. 125 m3 und einer größeren Versickerungsmulde 2 mit einem Stauvolumen von ca. 540 m3, Maßnahmen zur Sicherung der Böschung und die Errichtung eines Trennbauwerkes im Anschluss an die südliche Grenze des Plangebiets „Hinter Hof III“, wo der vorgesehene und planungsrechtlich nach § 9 Abs. 1 Nr. 21 BauGB festgesetzte Regenwasserkanal aus diesem Baugebiet angeschlossen werden soll.


Mit Änderungsentscheidung vom 2. Juli 2018 erteilte das Landratsamt Konstanz nach fachtechnischer Prüfung der zuletzt vorgelegten Pläne und Beschreibungen jeweils das Benehmen für den Bau und den Betrieb der Misch- und Regenwasserkanalisation im Baugebiet „Hinter Hof III“ und erteilte antragsgemäß die wasserrechtliche Erlaubnis.


Eigentümerin beanstandet Einrichtung vergrößerter Versickerungsbecken


Dagegen erhob die erhob die Antragstellerin im Juli 2018 Widerspruch, nachdem sie gegenüber dem Oberbürgermeister der Stadt die Errichtung eines vergrößerten Versickerungsbeckens an dem geplanten Standort unmittelbar vor ihrem Grundstück beanstandet hatte. Ebenfalls im Juli 2018 ordnete das Landratsamt die sofortige Vollziehung seiner wasserrechtlichen Entscheidung an.


Im Oktober 2017 leitete die Eigentümerin ein Normenkontrollverfahren ein. Der Bebauungsplan „Hinter Hof II“ setze u. a. ein eigenständiges Regenbewirtschaftungssystem mit Entwässerungsgraben fest, in welches nun zu Lasten der Bewohner eingegriffen werde, weil der angegriffene Bebauungsplan das durch die Planung verursachte Abwasserproblem nicht löse.


Eigentümerin befürchtet Überschwemmung bei Starkregen


Da das vorhandene Entwässerungssystem „Hinter Hof II“ nachhaltig in seiner Funktion gestört sei, sei zu befürchten, dass ihr Grundstück bei Starkregen überschwemmt werde, so die Eigentümerin. Die vorgesehene Schaffung einer riesigen Entwässerungsfläche führe zu unzumutbaren Beeinträchtigungen des Wohngrundstücks durch Veränderungen des Grundwasserspiegels sowie durch Mücken- und Schädlingsbefall. Insbesondere drohe der aufgeschüttete Oberboden der angrenzenden Wohngrundstücks mit verheerenden Folgen für die Statik der aufstehenden Gebäude abzurutschen.


VGH: Bebauungsplan nicht verfahrensfehlerhaft


Eine Überschwemmungsgefahr auf dem Grundstück der Antragstellerin ist dem VGH zufolge nicht von vornherein Gründen ausgeschlossen. Der zulässige Normenkontrollantrag ist aber dem VGH zufolge nicht begründet. Der Bebauungsplan „Hinter Hof III“ sei nicht verfahrensfehlerhaft zustande gekommen.


Der Argumentation der Eigentümerin, aufgrund der bekanntgemachten Darstellung des Planbereichs habe sie nicht erkennen können, dass die Planung Auswirkungen auf ihr Grundstück habe, folgt der VGH nicht. Denn die Bekanntmachung müsse lediglich in einer Weise geschehen, die geeignet ist, dem an der beabsichtigten Bauleitplanung interessierten Bürger sein Interesse an Information und Beteiligung durch Abgabe einer Stellungnahme bewusst zu machen und dadurch eine gemeindliche Öffentlichkeit herzustellen, heißt es in dem Urteil. Ebenso liege der von der Antragstellerin behauptete Ermittlungs- und Bewertungsfehler in Bezug auf die Aufnahmekapazität der Versickerungsmulde nach Auffassung des VGH nicht vor.


Die Frage, ob und ggf. welche rechtlichen Mittel die Gemeinde zur Beseitigung des im Baugebiet anfallenden Niederschlagswassers einzusetzen hat, hängt dem VGH zufolge von den tatsächlichen Verhältnissen im Einzelfall, insbesondere von den abwasserwirtschaftlichen und abwassertechnischen Erfordernissen sowie von den topographischen Gegebenheiten ab. Jedenfalls müsse die Gemeinde beim Erlass des Satzungsbeschlusses davon ausgehen können, das das für das Baugebiet notwendige Entwässerungssystem in dem Zeitpunkt tatsächlich vorhanden und funktionsfähig sein wird, in dem die nach dem Plan zulässigen baulichen Anlagen fertig gestellt und nutzungsreif sein werden.


„Stadt hat ausreichende Ermittlungen zum Niederschlagswasser angestellt“


Vor diesem Hintergrund habe die Stadt hier ausreichende Ermittlungen zur Frage der Ableitung und Behandlung des in dem Bebauungsplan „Hinter Hof III“ anfallenden Niederschlagswassers angestellt. Ihr war aufgrund der vorliegenden hydrogeologischen Untersuchung bewusst, dass einer Oberflächenwasserversickerung in dem Baugebiet aufgrund der nur gering durchlässigen Bodenhorizonte Grenzen gesetzt sind, weshalb das Gutachten für Starkregenereignisse die „Anlage ausreichender Rückhalteflächen bzw. ein im Querschnitt ausreichendes Abflusssystem“ für erforderlich hielt.


Dem folgend habe es die Stadt dann u. a. für erforderlich gehalten, das unbelastete Niederschlagswasser über ein Rückhaltebecken gedrosselt in einen Vorfluter und von dort in die Aach zu leiten. Hierfür soll nach den Vorstellungen der Gemeinde die bereits im Süden des Baugebiets „Hinter Hof II“ angelegte Retentionsanlage genutzt werden. Der Gemeinderat der Stadt Singe hatte am 27. September 2016 nicht nur von der bestehenden Entwässerungsproblematik volle Kenntnis, sondern auch davon, dass die technische Umsetzung der über eine Retentionsfläche gedrosselten Ableitung des Niederschlagswassers in die Aach im wasserrechtlichen Erlaubnisverfahren gelöst werden solle und dort auch gelöst werden könne.


Vorgehensweise mit Gebot der Konfliktbewältigung vereinbar


Diese Vorgehensweise ist dem VGH zufolge mit dem im Abwägungsgebot nach § 1 Abs. 7 BauGB wurzelnden Gebot der Konfliktbewältigung vereinbar. Dieses Gebot verlange zwar in dem hier vorliegenden Zusammenhang der Entwässerung, dass der Plangeber die durch seine Planung ausgelöste Entwässerungsproblematik grundsätzlich im Bebauungsplanverfahren löst und nicht zulasten Betroffener letztlich offen lässt. Dies schließt es allerdings nicht aus, Problemlösungen aus dem Bebauungsplanverfahren auf ein nachfolgendes Verwaltungshandeln zu verlagern, stellt der VGH fest.


Die Grenzen zulässiger Konfliktverlagerung in ein nachfolgendes Verwaltungsverfahren seien allerdings überschritten, wenn bereits im Planungsstadium absehbar ist, dass sich der offen gelassene Interessenkonflikt dort nicht sachgerecht wird lösen lassen.


Kenntnisstand muss sachgerechte Entscheidung über die Konfliktbewältigung erlauben


Die Gemeinde müsse sich also sich im Bebauungsplanverfahren einen Kenntnisstand verschaffen, der ihr - spätestens im Zeitpunkt des Beschlusses über den Bebauungsplan - eine sachgerechte Entscheidung über die Konfliktbewältigung erlaubt, stellt der VGH fest. Dies wiederum setzt voraus, dass die Gemeinde die Konfliktsituation erkennt und die Möglichkeit einer Konfliktbewältigung im nachgelagerten Verwaltungsverfahren aufklärt. Dies sei hier der Fall. Der Gemeinderat sei erkennbar davon ausgegangen, dass die Frage, wie eine an die neuen Entwässerungsverhältnisse angepasste, zur Aufnahme von Niederschlagswasser aus dem Baugebiet „Hinter Hof III“ geeignete Retentionsanlage ohne Gefährdung für Rechte Dritter zu planen und auszuführen ist, erneut dem wasserrechtlichen Erlaubnisverfahren überlassen werden könne.


Dies ergibt sich dem VGH zufolge eindeutig daraus, dass die Stadt die konkrete Planung der Retentionsanlage nicht in die unbestimmte Zukunft verschoben, sondern parallel zu dem Bebauungsplanverfahren vorangetrieben habe mit der Folge, dass eine wasserrechtliche Planung im Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses am 27. September 2019 bereits erstellt und der zuständigen Wasserbehörde zur Genehmigung vorgelegt war.