Urteil: Anschlusszwang für Milchabwasser empfehlenswert, aber nicht zwingend


Der Kläger betreibt als Eigentümer eines landwirtschaftlichen Anwesens einen vom Landratsamt im Jahr 2013 genehmigten Milchvieh-Laufstall. Der Genehmigungsbescheid enthält die Bestimmung, dass das Abwasser aus der Milchkammer, wenn kein Anschluss an die gemeindliche Entwässerungseinrichtung erfolgt, in die Güllegrube einzuleiten, führt das Gericht aus. Das Grundstück des Klägers ist an die öffentliche Entwässerungsanlage angeschlossen.


Im März 2017 forderte die Beklagte, ein gemeinsames Kommunalunternehmen mehrerer Gemeinden für die Beseitigung von Schmutzwässern und Oberflächenwässern, den Eigentümer auf, die Milchkammer an die öffentliche Entwässerungsanlage anzuschließen. Der Eigentümer entgegnete, ihm sei im Baugenehmigungsbescheid freigestellt worden, das Abwasser entweder in die gemeindliche Entwässerung oder unmittelbar in die Güllegrube einzuleiten. Er habe sich für die Einleitung in die Güllegrube entschieden. Eine nachträgliche Einleitung in das Gemeindenetz sei nicht mehr möglich, da die Grundleitung direkt vom Melkhaus in die Güllegrube auf 1,5 m Tiefe angeschlossen sei.


Ein erster Bescheid aus dem Juni 2017, der den Eigentümer zur Einleitung in die öffentliche Entwässerungsanlage verpflichtete, wurde von der Beklagten im Klageverfahren auf gerichtlichen Hinweis, in dieser Anordnung seien keine Ermessensüberlegungen angestellt worden, wieder aufgehoben.


Im August 2018 verpflichtete der Abwasserentsorger  den Landwirt, das Abwasser der Milchkammer in die öffentliche Entwässerungsanlage einzuleiten und vor Maßnahmenbeginn einen Entwässerungsplan vorzulegen. Nach Fertigstellung der neuen Leitung habe der Kläger die Abnahme dieser Leitung in offenem Leitungsgraben durch den Abwasserentsorger zu veranlassen und eine Dichtigkeitsprüfung durchzuführen. Für den Fall, dass dies nicht fristgerecht erfüllt werden sollte, wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 1.000 EUR angedroht.


Verwaltungsgericht: Interessen des Klägers nicht berücksichtigt


Gegen diesen Bescheid erhob der Eigentümer im September 2018 Klage – mit Erfolg, denn nach dem Urteil des Verwaltungsgerichts München ist der Bescheid rechtswidrig. Die auf Grundlage der Entwässerungssatzung (EWS) der Beklagten getroffene Anordnung sei ermessensfehlerhaft, da sie die abzuwägenden Interessen des Klägers nicht berücksichtige, heißt es in dem Urteil.


Die Beklagte habe zu Recht ausgeführt, dass der Kläger nach der EWS verpflichtet ist, im Umfang des Benutzungsrechts und im Rahmen eines Benutzungszwangs alles Abwasser in die öffentliche Entwässerungsanlage einzuleiten. Da das Grundstück des Klägers an die öffentliche Entwässerungseinrichtung angeschlossen ist, ist der Grundstückseigentümer dem Gericht zufolge berechtigt, nach alles Abwasser in die öffentliche Entwässerungsanlage einzuleiten, stellt das Gericht fest.


Mit diesem Benutzungsrecht für das angeschlossene Grundstück - unter den Einschränkungen der Einleitungsge- und -verbote der EWS, die hier für Milchkammerabwasser aber nicht vorliegen - korrespondiere der Benutzungszwang. Die genannten Satzungsregelungen, die ihre Rechtsgrundlage in der Gemeindeordnung (GO) finden, seien nicht zu beanstanden. Sie finden. Damit sei die Voraussetzung für eine Anordnung, auch das in der Milchkammer anfallende Abwasser in die öffentliche Entwässerungsanlage der Beklagten einzuleiten, gegeben.


Behörde muss Grenzen des Ermessens einhalten


Allerdings liege bei der dann angestellten Ermessensausübung ein Fehlgebrauch des Ermessens vor. Nach dem Bayerischen Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG) habe die Behörde ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten, wenn sie wie hier der EWS befugt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln. Nach der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) prüfe das Gericht auch, soweit die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ob der Verwaltungsakt rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wurde.


Bei Übersehen eines wichtigen Aspekts sind Abwägungen rechtswidrig


Ein Fehlgebrauch des Ermessens liegt vor, wenn die Behörde von dem ihr vom Gesetz eingeräumten Ermessen nicht im Sinne des Gesetzes, d.h. der im einzelnen Gesetz und in der Rechtsordnung insgesamt zum Ausdruck kommenden Zwecksetzungen und Zweckvorgaben Gebrauch macht, erläutert das Gericht. das sei insbesondere dann der Fall, wenn die Behörde nicht sämtliche Gesichtspunkte berücksichtigt, die dem Zweck der Ermächtigung entsprechen. Die Behörde muss alle für den Einzelfall bedeutsamen, auch die für die Beteiligten günstigen Umstände zu berücksichtigen und alle Erwägungen anstellen, die nach dem gesetzlichen Entscheidungsprogramm von ihr gefordert werden. Übersieht sie einen wesentlichen Gesichtspunkt, so sind ihre Ermessenserwägungen unvollständig und rechtswidrig.


Im angefochtenen Bescheid sei ausschließlich darauf abgestellt worden, dass die Verpflichtung des Klägers zur Ableitung der Milchkammernabwässer in die öffentliche Entwässerungseinrichtung aus hygienischen Gründen bzw. wegen einer möglichen chemischen Belastung des Abwassers zu erfolgen hat, führt das Gericht aus. Dabei sei insbesondere auf das Merkblatt Nr. 4.5/10 des Bayerischen Landesamts für Wasserwirtschaft über die „Beseitigung von Abwasser aus Milchkammern im ländlichen Raum“ aus dem Jahr 2005 Bezug genommen worden.


Merkblatt sieht keine Gefahr durch die Milchkammerabwässer


Darin wird aber, anders als die Beklagte meint, die Beseitigung von Milchkammernabwässern bei landwirtschaftlichen Betrieben mit Anschluss an die Kanalisation in die kommunale Kläranlage nicht für zwingend angesehen. Das Merkblatt führt aus, dass die Beseitigung von Milchkammernabwässern bei landwirtschaftlichen Betrieben mit Anschluss an eine Kanalisation in die kommunale Kläranlage erfolgen sollte – dieser Hinweis sehe damit zwar einen Anschluss an die Kanalisation als empfehlenswert, jedoch nicht als zwingend an, heißt es in dem Urteil.


Eine besondere Gefahr durch die Milchkammernabwässer werde im Merkblatt offensichtlich nicht gesehen, da im weiteren ausgeführt wird, sofern wie im ländlichen Raum oft gegeben kein Anschluss an die kommunale Kläranlage bestehe, könne das Milchkammernabwasser in Güllegruben eingeleitet werden. Das Gericht verweist darauf, dass in dem Merkblatt zudem ausgeführt wird, dass aufgrund des geringen Abwasseranfalls aus der Reinigung und des großen Puffervermögens der Güllegruben von einer ausreichenden Vermischung ausgegangen werden könne; bei bestimmungsgemäßem Einsatz der Desinfektionsmittel sei keine Beeinträchtigung der Güllequalität zu erwarten, so dass die landwirtschaftliche Verwertung der Gülle weiterhin möglich sei.


Beeinträchtigung der Gülle als maßgeblicher Aspekt


Grundsätzlich sehe das Merkblatt das Problem der Milchabwasserreinleitung unter dem maßgeblichen Gesichtspunkt einer Beeinträchtigung der Gülle, die wiederum zu einer Beeinträchtigung der Bodenqualität bzw. Bodenhygiene bei einem Aufbringen der Gülle auf die landwirtschaftlichen Flächen erfolgen könnte. Mit dem Einleiten der Milchkammernabwässer in Güllegruben werden jedenfalls keinerlei Gesundheitsbeeinträchtigungen gesehen. Damit könne dieser Aspekt wohl nicht bei der Ermessensausübung im Einzelfall zulasten des Klägers angeführt werden, heißt es in dem Urteil. Andere öffentliche Interessen, bezogen auf den ordnungsgemäßen Betrieb der öffentlichen Entwässerungseinrichtung, würden dagegen nicht angeführt.


Technische und wirtschaftliche Belange nicht berücksichtigt


Zudem stellt das Gericht fest, dass bei der Ermessensausübung weitere Interessen des Klägers als Betroffenem völlig außer Acht gelassen worden seien. So habe der Eigentümer ausgeführt, dass er bei der Errichtung des Milchviehlaufstalls die gewählte Entwässerung der Milchkammer in die Güllegrube mit der Baugenehmigungsbehörde abgesprochen habe. Jedenfalls sei der Zulauf von der Milchkammer in die Güllegrube unterhalb der Bodenplatte in einer Tiefe von eineinhalb Metern verlegt worden, was einen bedeutenden baulichen Eingriff fordern würde, wenn dieser Zulauf nicht mehr genutzt werden könnte bzw. wenn ein neuer Zulauf von der Milchkammer zur Kanalisation in der Straße geschaffen werden müsste, so das Gericht. Die Anbindung der Milchkammer an die Kanalisation müsste nach den baulichen Verhältnissen auf dem Grundstück eine Länge von bis zu 100 m haben, wobei Kosten in Höhe von 20.000 Euro entstehen würden. Diese technischen und wirtschaftlichen Belange des Klägers habe die Beklagte nicht berücksichtigt, was zu einem Ermessensdefizit bzw. Ermessensfehlgebrauch führ, der die Anordnung rechtswidrig mache. Damit sei der angefochtene Bescheid aufzuheben.