Der Bundesgerichtshof hat ein Urteil des Oberlandesgerichts Naumburg vom 27. November 2018 aufgehoben, und die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Die Parteien streiten um die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung des Vorstands des Abwasserbetriebs der beklagten Stadt, so der BGH zum Sachverhalt. Der Kläger und der als Anstalt öffentlichen Rechts von der beklagten Stadt errichtete Abwasserbetrieb schlossen 2011 einen unbefristeten Vertrag, durch den der Kläger unter Ausschluss der ordentlichen Kündigung als Vorstand angestellt wurde.
Der Kläger war zudem seit Juli 2014 als sachkundiger Einwohner im Finanzausschuss der Stadt und seit Juli 2015 unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Zeit zum Ortsbürgermeister einer zur beklagten Stadt gehörenden Ortschaft bestellt worden.
Stadt will Abwasserentsorgung durch Regiebetrieb ausführen lassen
Im Jahr 2016 plante die Stadt, die Aufgabe der Abwasserbeseitigung künftig durch einen Regiebetrieb ausführen zu lassen. Die Stelle des Betriebsleiters dieser rechtlich unselbständigen Einheit der Stadt wurde aufgrund einer Ausschreibung im Oktober 2016 mit einem Dritten besetzt. Anfang November 2016 veröffentlichte die Stadt im Amtsblatt die Satzung über die Auflösung des Abwasserbetriebes und die Fortführung der Aufgaben durch den Regiebetrieb. Anfang Dezember 2016 berieten der Finanzausschuss der beklagten Stadt sowie der Ortschaftsrat unter Beteiligung des Klägers über die Satzung für den neuen Regiebetrieb.
Differenzen zwischen Kläger und Stadt bei Umstellung auf Regiebetrieb
Im Zusammenhang mit der Umstellung von der rechtlich selbständigen Anstalt auf den Regiebetrieb gab es Differenzen zwischen dem Kläger und der Bürgermeisterin, die zugleich Vorsitzende des Verwaltungsrats der Anstalt war. Der Kläger übersandte den Mitgliedern des Stadtrats ein Schreiben, in dem er unter anderem kritisierte, dass deshalb keine neuen Satzungen für den Regiebetrieb erarbeitet würden, da die AöR beträchtlichen Gebührensenkungen erzielt hätte. Das solle nicht bekannt werden, ebenso solle eine Kalkulation der Abwassergebühren verhindert werden, um das Projekt des Regiebetriebs nicht zu gefährden. Wörtlich bezichtigte er die Bürgermeisterin unter anderem der Lüge. Sie sei „durchs Land gezogen“ und habe „in organisierten Massenaufläufen die Falschheit des Abwasserbeseitigungskonzeptes propagiert“.
Abwasserbetrieb kündigt Anstellungsvertrag
Unter anderem wegen dieser Äußerungen kündigte der Abwasserbetrieb unter dem 21. Dezember 2016 - zugegangen am selben Datum - schriftlich den Anstellungsvertrag, nachdem der Verwaltungsrat zwei Tage zuvor die Abberufung des Klägers als Vorstand mit sofortiger Wirkung beschlossen hatte. Das Landgericht Halle hat der auf Feststellung des Fortbestehens des Dienstverhältnisses stattgegeben (Aktenzeichen: 5 O 10/17 vom 8.6.2018). Auf die Berufung der beklagten Stadt hat das Oberlandesgericht Naumburg die Klage abgewiesen (12 U 76/18 vom 27.11.2018). Mit der Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
OLG sieht Zusammenarbeit Vertrauen entzogen
Damit hat er Erfolg. Der BGH hat das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an das Oberlandesgericht zurück verwiesen. Das hatte ausgeführt, die Kündigung sei wirksam, ohne dass es einer vorherigen Abmahnung bedurft hätte, da der Kläger die Bürgermeisterin der Begehung von Straftaten bezichtigt sowie grob beleidigt und sie damit innerhalb der Organisation der Beklagten herabgesetzt und als unfähig dargestellt habe. Damit sei der Zusammenarbeit das gegenseitige Vertrauen entzogen. Der Kläger habe sich nicht nur in seiner Stellung als Ortsbürgermeister, sondern und gerade als Vorstand des Abwasserbetriebs geäußert. Er habe sowohl die Bürgermeisterin als auch die mit der Abwasserproblematik befassten weiteren Beschäftigten bei der Beklagten der Lächerlichkeit preisgegeben. Die Bürgermeisterin habe er offen der Lüge bezichtigt.
BGH: Schreiben des Klägers kein wichtiger Grund für Kündigung
Das hält nach Auffassung des BGH der rechtlichen Überprüfung nicht stand. Rechtsfehlerhaft habe das OLG das Schreiben des Klägers als wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB gewertet hat. Nach dieser Vorschrift ist ein wichtiger Grund gegeben, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu dessen vereinbarter Beendigung nicht zugemutet werden kann. Rechtsfehler lägen vor, soweit das Berufungsgericht die Äußerungen des Klägers als Schmähkritik beurteilt hat und zu seinen Lasten von einer Verletzung seiner Pflicht zur Verschwiegenheit ausgegangen ist.
Begriff der Schmähkritik eng auszulegen
Wegen seiner die Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG verdrängenden Wirkung sei der Begriff der Schmähkritik eng auszulegen. Auch eine überzogene, ungerechte oder gar ausfällige Kritik macht eine Äußerung für sich genommen noch nicht zur Schmähung, stellt der BGH fest. Denn dem Schreiben des Klägers könne bei der erforderlichen Gesamtbetrachtung ein Sachbezug nicht abgesprochen werden. Es handle sich zwar um eine teilweise polemische, überspitzte und von unangemessener Emotion getragene Kritik; diese habe aber eine sachliche Auseinandersetzung zur Grundlage.
Ausdruck „Lüge“ allenfalls eine Überspitzung
Auch die Bezeichnung einer Äußerung der Bürgermeisterin als „Lüge“ beziehe sich auf die Sache und sei allenfalls eine Überspitzung. Der Vorwurf, die Bürgermeisterin habe die Falschheit des Abwasserbeseitigungskonzeptes propagiert, obwohl dieses keinen Änderungsbedarf aufgewiesen habe, enthalte einen Sachbezug, indem sie sich auf die inhaltliche Darstellung des Abwasserkonzepts durch die Bürgermeisterin in der Öffentlichkeit bezieht, deren Unrichtigkeit - mangels abweichender Feststellungen - zu unterstellen ist. Es handelt sich damit - wie das Berufungsgericht insoweit zutreffend erkannt hat - lediglich um eine „sarkastische Überzeichnung“, also eine überspitzte Auseinandersetzung, die aber in der Sache erfolgt ist.
Berufungsurteil kann keinen Bestand haben
Auch soweit die Vorinstanz in dem Vorwurf einer bewussten Schädigung der Stadt durch die Bürgermeisterin eine Formalbeleidigung gesehen hat, wird dies den dargelegten Anforderungen nicht gerecht. Eine entsprechende Formulierung findet sich in dem Schreiben des Klägers nicht.
Die vom Berufungsgericht angenommene Beleidigung beruht dem BGH zufolge wohl auf der Behauptung des Klägers, die Bürgermeisterin habe „beitragspflichtige Grundstücke durch Bescheidaufhebung der Verjährung zugeführt“, was die Vorinstanz dahin ausgelegt hat, der Kläger habe der Bürgermeisterin vorgeworfen, sie habe „sehenden Auges und zielgerichtet“ Gebührenbescheide verjähren lassen. Auch diese Ausführungen beziehen sich auf konkrete Vorgänge. Allein der Umstand, dass der Vorwurf des Klägers gegen die Bürgermeisterin zumindest in subjektiver Hinsicht nicht durch die vorgebrachten Tatsachen gerechtfertigt war - wie dies im angefochtenen Urteil ausgeführt ist -, entzieht der Äußerung ihre sachliche Grundlage nicht, sondern lässt diese jedenfalls bei der revisionsrechtlich zu unterstellenden inhaltlichen Richtigkeit des Vorwurfs in objektiver Hinsicht lediglich als überspitzte Kritik erscheinen.
Das Berufungsurteil kann daher keinen Bestand haben, heißt es in dem Urteil. Hält ein Gericht eine Äußerung fälschlich für eine Formalbeleidigung oder Schmähung, mit der Folge, dass eine konkrete Abwägung unter Berücksichtigung aller Umstände entbehrlich wird, so liegt dem BGH zufolge darin ein verfassungsrechtlich erheblicher Fehler, der zur Aufhebung führt, wenn die Entscheidung hierauf beruht.