Rohrleitungssanierungsverband sorgt sich um Diskussion über hohe Abwassergebühren


„Die Schäden in den Kanalnetzen sind seit vielen Jahren so groß wie die nun akuten Löcher in den Haushalten. Die pauschale Vermutung, dass Abwassernetzbetreiber jetzt beim Gebührenzahler abkassieren, vermittelt dem Bürger möglicherweise einen falschen Eindruck über die Finanzierung von Aufgaben zur Daseinsvorsorge“, sagte der RSV-Vorsitzende Andreas Haacker. Abwassergebühren seien zweckgebundene Mittel, die ausschließlich für diese Aufgabe eingesetzt werden dürfen – etwa für dringend erforderliche Kanalsanierungsmaßnahmen. Es sei nun dringende Aufgabe der Politik, einer strukturellen Unterfinanzierung von Kommunen entgegenzuwirken.


Der Bund der Steuerzahler (BdSt) NRW hatte zuvor mitgeteilt, er unterstütze einen Musterprozess gegen zu hohe Zinssätze bei der Berechnung der Abwassergebühren. Das Verfahren sei inzwischen in zweiter Instanz beim Oberverwaltungsgericht Münster anhängig. Neben der beklagten Stadt Oer-Erkenschwick hätten weitere 60 Kommunen in Nordrhein-Westfalen ihren Kalkulationen den höchsten zulässigen Zinssatz von 5,42 Prozent für das Eigenkapital zugrunde gelegt. Diesen Satz hält der BdSt NRW für zu hoch.


Bund der Steuerzahler führt Prozess gegen zu hohe Eigenkapitalverzinsung


Zwar sei ein Zinssatz bis zu 5,42 Prozent nach bisheriger Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts NRW für das Jahr 2021 zulässig. „Das ist in der anhaltenden strukturellen Niedrigzinsphase völlig realitätsfern“, kritisierte der Vorsitzende des BdSt NRW, Rik Steinheuer. In vielen Orten führe das, zusammen mit einer Abschreibung nach Wiederbeschaffungszeitwerten, zu höheren Gebühren als nötig. Alle Gebührenzahler sollten gegen ihre Bescheide über die Abwassergebühren 2021 Widerspruch einlegen, fordert der Steuerzahlerbund. Städte und Gemeinden sollten die Bearbeitung der Widersprüche bis zum Urteil aussetzen.


Der Forderung des Bundes der Steuerzahler nach einer hohen Transparenz über die Zusammensetzung der Gebühren schließt sich der RSV an. „In den Finanzausschüssen und Zweckverbands-Gremien sollte jetzt die Frage diskutiert werden, wie die Aufgabe der sicheren Abwasserentsorgung generationenfest gestaltet werden kann. In Anbetracht des Zustands der in die Jahre gekommenen Netze und hoher Fremdwassereinträge ist das keine einfache Aufgabe“, so Haacker. Eine kluge, verantwortungsvolle und zugleich transparente Instandhaltungsstrategie ermögliche es, langfristig die Finanzierung zu sichern und Kosten durch wirtschaftlich vernünftige und zugleich CO2-sparende Verfahren zu senken.


RSV verweist auf DWA-Kanalumfrage


Der RSV verweist auf die aktuelle Kanalumfrage der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall (DWA), die einen anhaltend hohen Sanierungsbedarf in den deutschen Abwassernetzen widerspiegelt (EUWID 49.2020). Demnach weist knapp ein Fünftel der öffentlichen Kanalisation Schäden auf, die kurz- bis mittelfristig sanierungsbedürftig sind. Der Anteil der sanierten Kanalnetzkilometer pro Jahr liege bei etwa einem Prozent. Bei einer Nutzungsdauer von 100 Jahren für die Kanalisation könne der Zustand der Kanalisation auf diese Weise maximal gehalten, nicht aber verbessert werden, stellt die DWA fest. „Über den technischen Zwang ist letztlich der Handlungsbedarf klar. Dies ist in der Politik offensichtlich nicht bekannt“, kommentierte Haacker die Zahlen der DWA.


Der RSV-Vorsitzende befürwortet grundsätzlich die vom BdSt NRW angestrebte Aufarbeitung der Abwassergebührenkalkulation, bittet aber um eine differenzierte Debatte, damit in der Öffentlichkeit der Kern des Problems und seine Ursache in den Mittelpunkt gerückt wird und das System der Abwasserentsorgung nicht in einem falschen Licht erscheint. „Möglicherweise sind Netzbetreiber an dieser Stelle nicht die Täter, sondern die Opfer“, gab Haacker zu bedenken. Vereinzelt hätten Unternehmen berichtet, dass fest geplante Sanierungsprojekte wegen einer Corona-bedingten Haushaltssperre auf Eis gelegt wurden. „An dieser Stelle sollten sich die Verantwortlichen in den Landesregierungen und in der Bundesregierung über die strukturelle Unterfinanzierung von kommunalen Haushalten Gedanken machen“, forderte Haacker.


Haacker: Wachsenden Investitionsbedarf verantwortungsvoll angehen


Es könne nicht sein, dass Kämmerer dazu regelrecht gezwungen werden, auf Gelder zuzugreifen, die für die Aufgaben der Daseinsvorsorge zweckgebunden einzusetzen sind. Wenn Abschöpfungen durch die städtischen Haushalte flächendeckend geschehen, gelte es, dies zu beheben. Wichtig bleibe bei aller Diskussion, dass der wachsende Investitionsbedarf im Abwassernetz klar wird. Dieser müsse verantwortungsvoll angegangen werden.


Dass die Instandhaltung der Netze über zweckgebundene Gebühren finanziert wird, ist nach Aussagen des RSV-Vorstandsvorsitzenden „ein echter Segen“, der sich gerade jetzt in der Krise bewährt. „Netzverantwortliche haben unsere volle Unterstützung, wenn sie sagen, dass Netze in Abhängigkeit mit ihren geografischen und hydrografischen Gegebenheiten deutliche Unterschiede bei den Betriebsaufwendungen aufweisen. Hier ist immer eine differenzierte Betrachtung erforderlich – eine pauschale Einschätzung etwa über ein ganzes Bundesland entspricht nicht den tatsächlichen Gegebenheiten“, machte Haacker deutlich. Er hoffe auf ein gestiegenes Verständnis der Öffentlichkeit für die Notwendigkeit funktionierender Infrastrukturen – auch durch die Corona-Krise. Das Einsparen von Leistungen verlagere die Probleme auf die kommenden Jahre und Generationen. Die daraus resultierenden Aufwendungen fielen dann unverhältnismäßig höher aus. „Die Folgen für die Umwelt offenbaren sich zeitverzögert und oftmals irreparabel“, warnte er.


RSV weist auf Fremdwasserproblematik aus schadhaften Anschlussleitungen hin


Nach Ansicht Haackers rückt im Zuge der aktuellen Diskussion auch die in der DWA-Umfrage thematisierte Fremdwasserproblematik aus schadhaften Anschlussleitungen in den Hintergrund. Rund zwei Drittel des Netzes sind laut DWA davon betroffen. Das Problem sei auch dem RSV bekannt. „Aufgrund von Undichtheiten in den bestehenden Grundstücksentwässerungsanlagen kommt es vielfach zu einer Drainagewirkung ins bestehende Netz“, sagte Haacker. Auch ein sanierter Hauptkanal schütze nicht vor Fremdwassereintrag aus defekten Anschlussleitungen. „Wenn es nach einem Regenguss aus allen Löchern in den Kanal fließt, wird es für alle teuer. Ich gehe davon aus, dass die meisten Grundstückseigentümer sich über den Effekt der Infiltration nicht im Klaren sind – und möglicherweise auch so mancher Politiker“, so Haacker.


Am Ende fließe verdünntes Abwasser in für diesen Zweck überdimensionierte Kläranlagen, die eine Reinigung nur mit einem hohen Energieaufwand betreiben könnten. „Ein Kanalnetz, das Abwasser ohne Fremdzuflüsse führt, kann bezüglich seiner Instandhaltungskosten einschließlich der Reinigungskosten des Abwassers langfristig zu einer deutlichen Gebühreneinsparung beitragen“, betonte Haacker.