Urteil: Maßgeblich ist, ob Behandlung eines Abwasserteilstroms technisch sinnvoll ist


Mit dem Tatbestandsmerkmal „zu behandelnder Abwasserstrom“ will der Gesetzgeber eine hinreichende Definition und Eingrenzung des durch die Minderungsmaßnahme zu behandelnden Teilstroms gewährleisten, heißt es in dem Urteil. Einen weitergehenden, über die anderen Tatbestandsmerkmale des § 10 Abs. 3 Satz 1 AbwAG (siehe Kasten) hinausgehenden materiellen Gehalt habe dieses Tatbestandsmerkmal dagegen nicht.


Abwasserabgabenbescheid vom Gericht aufgehoben


Mit dem Urteil hat das Gericht den Abwasserabgabenbescheid der beklagten oberen Wasserbehörde, der Struktur- und Genehmigungsdirektion Süd, aus dem Dezember 2016 aufgehoben und sie dazu verpflichtet, die Aufwendungen für die von der Klägerin durchgeführte Minderungsmaßnahme mit der Abwasserabgabe für das Jahr 2013 zu verrechnen und die Rückzahlung der für das Jahr 2013 bereits gezahlten Abwasserabgabe von rund 1,628 Mio. Euro anzuordnen.


Das klagende Chemieunternehmen BASF verlangt eine weitergehende Verrechnung von Aufwendungen zur Schadstoffreduzierung mit der für das Jahr 2013 geschuldeten und gezahlten Abwasserabgabe. Die Abwässer ihres Chemiewerks in Ludwigshafen mit circa 220 abwasserrelevanten Fabriken werden in einer zentralen Kläranlage gereinigt und danach in den Rhein geleitet. Im Januar 2014 erklärte die BASF die Verrechnung von Aufwendungen für Maßnahmen zur Schadstoffreduktion ihres Abwassers mit der Abwasserabgabe für das Veranlagungsjahr 2013. Zu diesen Minderungsmaßnahmen (MIMA) zählten unter anderem eine TOC-Frachtminderung von 92.460 kg/a bzw. um 30 Prozent bei der Formamid-Rückgewinnung unter Aufwendung von 7,7 Mio. Euro.


LfU: Bewertung der Maßnahme nicht mehr auf heutigem Stand


Das Landesamt für Umwelt (LfU) bestätigte 2013, dass die Maßnahme zur Verrechnung anerkannt werden könne, revidierte diese Einschätzung aber Ende 2016 mit der Begründung, dass die frühere Bewertung der MIMA nicht mehr dem heutigen Stand entspreche und die Entlastung der Gewässer zu gering sei, um eine Verrechnung zu gewähren. Die Reduzierung belaufe sich anhand der von BASF vorgelegten Daten zur Inbetriebnahme rechnerisch auf 82 kg/d TOC, d.h. auf 1,1 Prozent des Gesamt-TOC und sei sowohl im Kläranlagenablauf (Minderung TOC-Konzentration Ablauf Kläranlage rechnerisch 0,26 mg/l) als auch im Gewässer analytisch nicht nachweisbar. Die zur Verrechnung angesetzten Kosten in Höhe von 7,7 Mio. Euro stünden in keinem Verhältnis zum erreichten Effekt.


TOC-Emission im Ablauf  soll um 32 Prozent gesenkt werden


Eine weitere Minderungsmaßnahmen, die das LfU als nicht verrechnungsfähig einstufte, betraf die 2014 in Betrieb genommne Minderung der TOC-Belastung durch die Erhöhung und Minimierung des Nebenproduktspektrums im Verfahren zur Herstellung von Pentaerythrittectracyanessigester. Dadurch soll die TOC-Emission im Ablauf dieses Betriebs um 32 Prozent gesenkt werden. Die voraussichtlichen Kosten wurden mit 947.000 Euro angegeben. Die Inbetriebnahme der Maßnahme erfolgte am 1. März 2014. Das LfU erklärte, dass die Beschaffenheit des aus der Kläranlage in den Rhein eingeleiteten Abwassers nicht positiv beeinflusst werde. Der betrachtete Teilstrom habe bereits vor der Maßnahme eine gute Elimination in der Kläranlage aufgewiesen, und die TOC-Restfrachtminderung sei unerheblich.

Schließluch wurde durch eine Maßnahme wurde Anfang 2015 das letzte von insgesamt fünf Belebungsbecken der Kläranlage mit einer Sauerstoffbegasung zur Erhöhung und Sicherstellung der Nitrifikationsleistung des Beckens ausgerüstet. Dadurch soll sich nach Angaben der BASF die aus dem Belebungsbecken abgeleitete NH4N-Fracht um mindestens 20 Prozent und die in den Rhein eingeleitete Stickstofffracht um rund vier Prozent mindern. Die voraussichtlichen Kosten wurden mit drei Mio. Euro angegeben.


Mit Abgabenbescheid vom 19. Dezember 2016 verrechnete die Behörde zwar Aufwendungen für Minderungsmaßnahmen in Höhe von 3,651 Mio. Euro mit der für das Jahr 2013 angefallenen Abwasserabgabe in Höhe von rund 5,279 Mio. Euro, lehnte aber eine weitergehende Verrechnung ab und forderte den Abgabenrest in Höhe von circa 1,628 Euro zur Zahlung an, woraufhin die Klägerin diesen Betrag auch beglich.


Den gegen die Ablehnung einer Verrechnung gerichteten Widerspruch wies die Behörde mit Anfang 2020 zurück.


Voraussetzungen einer Verrechnung sind erfüllt


Das Verwaltungsgericht Neustadt kommt zu dem Urteilt, dass das Unternehmen nach § 10 Abs. 3 Satz 1 AbwAG von der Behörde die Verrechnung der ihr für die Minderungsmaßnahme entstandenen Aufwendungen mit der für das Jahr 2013 geschuldeten Abwasserabgabe verlangen kann. Die Voraussetzungen einer Verrechnung seien bei der Anlage zur Formamid-Rückgewinnung erfüllt, denn die Maßnahme lasse erwarten, dass sich im Abstrom der Anlage die Fracht einer bewertete Schadstoffgruppe um mindestens 20 vom Hundert und die Gesamtschadstofffracht beim Einleiten in das Gewässer mindert, wobei es sich bei diesem Teilstrom auch um einen „zu behandelnden Abwasserstrom“ im Sinne des AbwAG handle.


Nicht nachvollziehen kann das Gericht nach eigenen Angaben in diesem Zusammenhang die Argumentation der Behörde, Zweifel an der Aussagekraft der beiden Abbautests stellten den Nachweis der Minderung der TOC-Fracht im Ablauf der Fabrik in Frage. Die Bestimmung der fraglichen TOC-Belastung des Abwassers beruhe auf Messungen der Klägerin nach Inbetriebnahme der Maßnahme, deren Richtigkeit die Behörde nicht substantiiert in Zweifel ziehe.


Die Maßnahme führe hinsichtlich der TOC-Belastung auch zu einer Minderung der Gesamtschadstofffracht beim Einleiten in das Gewässer. Entsprechend der Vorgaben des Umweltministeriums Rheinland-Pfalz müsse die Minderung der Schadstofffracht im Falle der „Teilstromverrechnung“ nicht im Kläranlagenablauf messbar sein, sondern könne in sonstiger Weise nachgewiesen werden. Das sei hier der Fall.


Behandlung des Teilstroms „technisch objektiv sinnvoll“


Bei dem Abwasser der Fabrik handle es sich auch um einen „zu behandelnden Abwasserstrom“ im Sinne von § 10 Abs. 3 Satz 1 AbwAG, denn dieser Abwasserstrom sei nicht nur auf den zu behandelnden Teil eingegrenzt und damit hinreichend definiert, sondern es sei auch technisch objektiv sinnvoll gewesen, dass dieser Teilstrom eine zusätzliche Abwasserbehandlung erfahren hat. Einen weitergehenden, über die anderen Tatbestandsmerkmale des § 10 Abs. 3 Satz 1 AbwAG hinausgehenden materiellen Gehalt habe das Tatbestandsmerkmal „zu behandelnder Abwasserstrom“ entgegen der Rechtsauffassung des Beklagten dagegen nicht.


Für die Beurteilung der Frage, ob ein „zu behandelnden Abwasserstrom“ im Sinne des AbwAG vorliegt, ist es dem Urteil zufolge nicht maßgeblich, ob die Behandlung des Teilstroms rechtlich geboten ist, sondern vielmehr, ob sie nach technischem Standard objektiv sinnvoll ist. Die Ausführungen der Behörde zu den rechtlichen Anforderungen an ordnungsrechtliche Maßnahmen der Wasserbehörde seien daher nicht zielführend. Entscheidend für die Frage, ob eine Minimierungsmaßnahme einen zu behandelnden Abwasserstrom betrifft, sei nämlich nicht, ob die MIMA ordnungsrechtlich eingefordert werden könnte, sondern, ob sie unter Beachtung des Vermeidungsgebots und des Vorsorgeprinzips technisch objektiv sinnhaft ist.


Reduzierung des TOC-Gehalts ergibt technisch einen Sinn


Dies ist hier dem Gericht zufolge der Fall, denn die Reduzierung des TOC-Gehalts im Abstrom der Fabrik durch die Maßnahme ergebe technisch einen Sinn. Hinzu komme, dass die geplante Kapazitätserweiterung der Fabrik die abwasserabgabenrelevante Belastung des Rheins durch gewässerschädliche oxidierende Stoffe erhöht hätte. Im Hinblick darauf erscheine es nach technischem Standard nicht objektiv sinnwidrig, dass dieser Teilstrom durch die Minimierungsmaßnahme eine zusätzliche Abwasserbehandlung erfährt, die den spezifischen TOC-Gehalt im Abstrom der Fabrik um 43,28 % auf 0,38 kg/100 ME und damit die TOC-Einleitung in den Rhein um 12,006 Tonnen pro Jahr reduziert.


Einen weitergehenden, über die anderen Tatbestandsmerkmale des § 10 Abs. 3 Satz 1 AbwAG hinausgehenden materiellen Gehalt habe das Tatbestandsmerkmal „zu behandelnder Abwasserstrom“ entgegen der Rechtsauffassung des Beklagten nicht, heißt es in dem Urteil.