Kernprinzip sei dabei die sogenannte Sektorenkopplung: Neben dem Wasserstoff, der unter anderem als Treibstoff für Busse im öffentlichen Personennahverkehr sowie für Logistik-Fahrzeuge genutzt werden kann, entstehen als Nebenprodukte Sauerstoff und Abwärme, erläuterte die Stadt Hannover. Die entstehende Wärme will das Stadtwerke-Unternehmen Enercity durch Einspeisung ins Fernwärmenetz nutzen. Einen neuen Aspekt der Wasserstoffproduktion stelle dabei die Nutzung des Sauerstoffs sowie von gereinigtem Abwasser statt Trinkwasser dar. Den Sauerstoff will die Stadtentwässerung im Klärwerksprozess einsetzen. Hierfür seien weitere Forschungsarbeiten in Zusammenarbeit mit der Leibniz-Universität nötig, die Bestandteil des Projektes sind.
Blaupause für alle Kläranlagen mit gleichem Betriebsaufbau
Bei einer erfolgreichen Einbindung des Sauerstoffs in die Klärprozesse stelle das erarbeitete Konzept eine Blaupause für alle Kläranlagen mit gleichem Betriebsaufbau dar, so die Stadt. Mit deutschlandweit mehr als 9.000 Klärwerken sei das potenziell erschließbare Geschäftsfeld enorm. Die Stadtentwässerung Hannover sowie die beteiligten Forschungsinstitute unterstützen einen Wissenstransfer an andere Entwässerungsbetriebe, die Politik sowie an Städte und Kommunen. Die Ergebnisse sollten dokumentiert und in Forschungsarbeiten veröffentlicht werden und als Wegweiser zu einer effektiven Sektorenkopplung an Klärwerken dienen.
Regelbetrieb soll 2025 starten
Für die Umsetzung des Vorhabens sollen nach Angaben der Stadt Fördermittel aus der Wasserstoffförderung des Landes beziehungsweise der Technologieoffensive Wasserstoff des Bundes beantragt und eingesetzt werden. Darüber hinaus sei das Projekt so angelegt, dass sich die Zukunftsinvestitionen wirtschaftlich selbst tragen sollen. Das Projekt hat eine Laufzeit von drei Jahren. Im Falle einer Zuwendung sei geplant, die Produktionsstätte bis 2024 aufzubauen und spätestens im Jahr 2025 den Regelbetrieb zu starten.
Zu Beginn sei die tägliche Produktion von circa 400 Kilogramm Wasserstoff vorgesehen, mit denen beispielsweise etwa 20 Busse am Tag befüllt werden könnten. Das entspreche den Angaben zufolge 150 Tonnen Wasserstoff im Jahr bei einer Elektrolyseleistung von einem Megawatt zu Beginn des Projektes. Im Falle positiver Ergebnisse plane die Stadtentwässerung Hannover die sukzessive Erweiterung auf bis zu 17 Megawatt und somit bis zu etwa 2.500 Tonnen Wasserstoff im Jahr. Damit soll langfristig ein dezentraler Aufbau der Wasserstoffwirtschaft in der Region vorangetrieben und zeitgleich die Energieeffizienz der Kläranlage erhöht werden.
„Klärwerke können Impulse für die Energiewende in Deutschland leisten“
Matthias Görn, der Leiter der Stadtentwässerung Hannover, wies auf den hohen Energieverbrauch der Abwasserreinigung hin, die mit über 20 Prozent des Gesamtverbrauchs einer städtischen Kommune der größte einzelne Stromverbraucher sind. Die Reinigung von kommunalem Abwasser in konventionellen Kläranlagen verbraucht erhebliche Mengen an Energie, hauptsächlich für den elektrischen Antrieb von Gebläsen für die großen Belüfter, die Mikroorganismen mit Sauerstoff versorgen. Allein in Deutschland würden jährlich insgesamt rund 4.400 Gigawattstunden Strom für die Abwasserreinigung verwendet.
„Wir sehen die Abwasserwirtschaft vor einem grundlegenden Wandel und wollen die Energieeffizienz deutlich steigern. Klärwerke der Zukunft können somit wichtige Impulse für die Energiewende in Deutschland leisten. Sauberes Wasser und zukunftsfähige klimaneutrale Energie können so gelingen“, sagte Görn. Die Sektorenkopplung an der Kläranlage durch die Abnahme des Wasserstoffs, des Sauerstoffs und der Abwärme der Elektrolyse ermöglicht die Transformation vom größten kommunalen Energieverbraucher zu einem zukunftsorientierten Umweltbetrieb.
Lies: Sinnvolle Nutzung des Sauerstoffs
Niedersachsens Umwelt- und Energieminister Olaf Lies (SPD) sagte, das Vorhaben zeige, wie neben Wasserstoff auch der anfallende Sauerstoffgenutzt werden könne – eine derart sinnvolle Sauerstoffnutzung gebe es bisher nur in wenigen Vorhaben. „Als Umweltminister freut mich, dass so auch eine bessere Abwasserreinigung ermöglicht wird. Mit dem Vorhaben kann in idealer Weise demonstriert werden, welche Chancen auch jenseits der Wasserstoffmobilität in der Technologie liegen.“
„Die Nutzung von gereinigten Abwasser sowie der Einsatz des entstehenden Sauerstoffs in den Klärprozess sind wirklich innovative Ansätze, mit denen Hannover einen guten Schritt in die Zukunft macht“, sagte Hannovers Oberbürgermeister Belit Onay. Die innerstädtische Produktion von Wasserstoff biete den großen Vorteil, dass der Energieträger auf kurzem Wege hier eingesetzt werden und damit könne eine regionale Energiewende vorangetrieben werden könne.
Projekt als Teil der langfristigen Ausrichtung der Stadtentwässerung
Das Wasserstoffprojekt ist den Angaben zufolge Bestandteil der langfristigen Ausrichtung des hannoverschen Umweltbetriebes. Bis 2035 sollen rund zwei Milliarden Euro in Themenfelder wie Energieeffizienz, Digitalisierung, modernes Prozessmanagement und den Ausbau und die Modernisierung des Kanalnetzes, Erneuerungen der Pumpwerke sowie umfassende Baumaßnahmen an den Klärwerksstandorten Herrenhausen und Gümmerwald umgesetzt werden, wie die Stadtentwässerung vor gut einem Jahr bereits angekündigt hatte.
Die Stadtentwässerung Hannover ist als Eigenbetrieb der Stadt für die Wasserqualität von derzeit rund 750.000 Menschen im Stadtgebiet und den Umlandgemeinden zuständig. Hannover verfüge mit 2.548 Kilometern Länge über das drittlängste Kanalnetz in Deutschland sowie über zwei Großklärwerke mit einer Ausbaugröße von 1.250.000 Einwohnergleichwerten (EW), in denen jedes Jahr rund 60 Millionen Kubikmeter Abwasser gereinigt werden. Mit einem Anlagenwert von 812 Millionen Euro gehören die Entwässerungsanlagen zu den größten Vermögenspositionen der Landeshauptstadt Hannover.
Verbundprojekt der Stadtentwässerung u.a. mit ISAH
Das Vorhaben ist den Angaben der Stadt zufolge ein Verbundprojekt der Stadtentwässerung Hannover gemeinsam mit dem Institut für Siedlungswasserwirtschaft und Abfalltechnik der Leibniz Universität Hannover (ISAH), dem Institut IWAR der Technischen Universität Darmstadt, dem Elektrolyseanlagenhersteller Aspens sowie dem Institut für Elektrische Energiesysteme (IfES).