Die Klägerin des Verfahrens 9 C 9.20 aus Brandenburg ist Eigentümerin eines bereits am 3. Oktober 1990 an die damalige Schmutzwasserbeseitigungsanlage angeschlossenen Grundstücks in Seddiner See, so das Bundesverwaltungsgericht zum Sachverhalt. Anfang der 1990er Jahre ersetzten die Gemeinde Seddiner See und die Vorgängergemeinden der heutigen Stadt Beelitz ihre Kläranlagen durch eine gemeinsam betriebene zentrale Kläranlage.
Die erste Beitragssatzung der Gemeinde Seddiner See wurde 1994 bekannt gemacht. Beiträge wurden für das Grundstück der Klägerin nicht erhoben. Zum 1. Januar 2006 gründeten die Gemeinde und die Stadt Beelitz den Wasser- und Abwasserzweckverband „Nieplitz“, der die Schmutzwasserbeseitigungsanlage im Wesentlichen unverändert fortführte.
Im Jahr 2013 setzte der beklagte Wasserverband für das Grundstück der Klägerin einen Anschlussbeitrag fest. Das Verwaltungsgericht Potsdam hob den Beitragsbescheid mit der Begründung auf, es verstoße gegen den Gleichheitssatz, dass der Verband gezahlte, nicht aber - wie im Falle der Klägerin - hypothetisch festsetzungsverjährte Herstellungsbeiträge für die früheren gemeindlichen Einrichtungen auf den Anschlussbeitrag anrechne (Aktenzeichen 8 K 149/14 vom 22.02.2017). Im Berufungsverfahren änderte das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg das erstinstanzliche Urteil und wies die Klage mit einem Beschluss ab (Aktenzeichen 9 B 15.17 vom 23.10.2019). Es ging davon aus, dass hypothetisch festsetzungsverjährte Beiträge weder aus Gleichheits- noch aus Vertrauensschutzgründen anzurechnen seien.
BVerwG sieht Vertrauensschutz und Gleichheitssatz verletzt
Das Bundesverwaltungsgericht hat die Berufungsentscheidung wegen einer Verletzung des bundesverfassungsrechtlichen Grundsatzes des Vertrauensschutzes und des Gleichheitssatzes aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg zurückverwiesen.
Der Grundsatz des Vertrauensschutzes gilt dem Urteil des BVerwG zufolge auch bei einem Wechsel des Einrichtungsträgers. Eine Beitragserhebung durch den neuen Einrichtungsträger ist mit diesem Grundsatz nicht vereinbar, soweit sie sich auf Herstellungsaufwand bezieht, für den der Beitragspflichtige durch den früheren Einrichtungsträger nach der in Brandenburg bis zum 31. Januar 2004 geltenden Rechtslage wegen hypothetischer Festsetzungsverjährung nicht mehr zu Beiträgen hätte herangezogen werden können.
Soweit der Verband gezahlte, nicht aber hypothetisch festsetzungsverjährte Beiträge für die frühere Einrichtung angerechnet habe, verstoße dies außerdem gegen den Gleichheitssatz. Ein die Ungleichbehandlung rechtfertigender sachlicher Grund liegt weder in der Vermeidung einer Doppelbelastung noch in der Wahrung der Beitragsgerechtigkeit oder des Haushaltsinteresses des früheren oder jetzigen Einrichtungsträgers, urteilte das Bundesverwaltungsgericht.
Berufungsentscheidung auch in Fall „normaler“ Festsetzungsverjährung aufgehoben
Auch im Verfahren 9 C 10.20 aus Sachsen-Anhalt, bei dem es um eine „normale“ und nicht um eine hypothetische Festsetzungsverjährung geht, hat das Bundesverwaltungsgericht die Berufungsentscheidung des OVG Magdeburg (Aktenzeichen 4 L 134/17 vom 20.08.2019) aus den im Urteil zu dem Fall in Brandenburg genannten Gründen aufgehoben und die Sache an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
Das OVG Magdeburg hatte argumentiert, der grundsätzlich zulässigen nochmaligen Heranziehung zu Herstellungsbeiträgen für Grundstücke, die bereits zuvor an eine öffentliche Einrichtung zur Abwasserbeseitigung angeschlossen waren oder die Möglichkeit zur Anschlussnahme hatten, für die Inanspruchnahmemöglichkeit einer anderen neuen öffentlichen Einrichtung stehe der Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung nicht entgegen. Das Verwaltungsgericht Magdeburg hatte zuvor den entsprechenden Bescheid aufgehoben (Aktenzeichen 9 A 37/15 MD vom 13.06.2017).