Geklagt hatte in dem Fall aus Brandenburg eine Wohnungsbaugesellschaft, die Eigentümerin mehrerer Grundstücke ist, die zu DDR-Zeiten mit Wohnhäusern in Plattenbauweise bebaut worden waren, so der BGH zum Sachverhalt. Auf den Grundstücken befinden sich vor dem 3. Oktober 1990 errichtete Anlagen und Leitungen der Abwasserbeseitigung. Diese dienen als Hausanschlussleitungen teilweise allein der Abwasserentsorgung des Grundstücks; in anderen Fällen wird mit Sammelleitungen auch das Abwasser von benachbarten, ebenfalls im Eigentum der Klägerin stehenden Grundstücken durchgeleitet.
Der im September 1992 gegründete beklagte Wasser- und Abwasserzweckverband betreibt seit 1994 die Abwasserentsorgung; ihm wurde das Leitungsnetzübertragen übertragen, wie es in der DDR betrieben worden war. Die Wohnungsbaugesellschaft verlangt von dem Verband eine Entschädigung nach § 9 Abs. 3 GBBerG (siehe Kasten) für die nach ihrer Auffassung auf ihren Grundstücken kraft Gesetzes begründeten Leitungsrechte.
OLG: Hausanschlussleitungen nicht erfasst
Das Landgericht Potsdam hatte der Klage stattgegeben (Aktenzeichen 1 O 150/10 vom 19.07.2019). Das Brandenburgische Oberlandesgericht (Aktenzeichen 5 U 111/19 vom 19.11.2020) hielt den geltend gemachten Anspruch für nur teilweise begründet. Eine Dienstbarkeit nach § 9 Abs. 1 Satz 1 GBBerG sei lediglich für Leitungen entstanden, die Durchleitungsfunktion hätten, also an einer Stelle in das Grundstück hinein- und an anderer Stelle aus dem Grundstück hinausführten. Das folge daraus, dass der Gesetzgeber in § 9 Abs. 1 GBBerG nicht den Begriff der „Zu- und Fortleitung“ verwendet habe, sondern nur den der „Fortleitung“. Dies sei auch für wasserwirtschaftliche Anlagen maßgeblich. Demgemäß seien Hausanschlussleitungen von § 9 Abs. 1 Satz 1 GBBerG nicht erfasst.
Die Vorschrift finde ferner keine Anwendung, wenn das von der Leitung geschnittene Grundstück lediglich dem Hausanschluss eines angrenzenden Grundstücks diene und beide Grundstücke derselben Person gehörten, entschied das Oberlandesgericht. Die kraft Gesetzes entstehende Dienstbarkeit solle Energiefortleitungsanlagen sichern, die dem öffentlichen Interesse dienten, nicht aber einem Anschlussnehmer ein Entgelt dafür gewähren, dass sein Grundstück über ein ebenfalls ihm gehörendes angrenzendes Grundstück an die öffentliche Abwasserversorgung angeschlossen werde. Die Klage sei daher unbegründet, soweit eine Entschädigung für solche, nur dem Anschluss eigener Grundstücke dienenden Leitungen verlangt werde, so das OLG.
BGH: Erwägungen des OLG halten rechtlicher Prüfung nicht stand
Diese Erwägungen halten dem BGH zufolge einer rechtlichen Prüfung nicht stand. Die Annahme des Oberlandesgerichts, Dienstbarkeiten gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 GBBerG könnten nur für Abwasserleitungen mit Durchleitungsfunktion entstanden sein, sei unzutreffend, stellt der BGH fest. Anders als das OLG meint, dienten zum öffentlichen Leitungsnetz gehörende Abwasserleitungen zur Fortleitung von Abwasser im Sinne des GBBerG; das gelte unabhängig davon, ob die Leitungen Durchleitungsfunktion haben oder nur das Grundstück entsorgen, in dem sie liegen.
Gleiches gelte für die Sammelleitungen. Der Begriff der Fortleitung ist weit zu verstehen; er bedeute allgemein das Fließenlassen von Elektrizität, Gas, Fernwärme, Wasser und Abwasser. Anders als das OLG meint, lässt sich dem BGH zufolge den Gesetzesmaterialien nicht entnehmen, dass nur der Durchleitung dienende Leitungen dinglich gesichert werden sollten. Eine Einschränkung des Anwendungsbereichs von § 9 Abs. 1 GBBerG und damit der Entschädigungspflicht gemäß § 9 Abs. 3 GBBerG lasse sich auch nicht aus dem Sinn und Zweck dieser Vorschriften ableiten.
Ob Teil des Leitungsnetzes Einzelnem dient, steht nicht für immer fest
Das Ziel der Vorschrift des § 9 Abs. 1 GBBerG einer dauerhaften Absicherung bestehender Anlagen der öffentlichen Energie- und Wasserversorgung sowie der Abwasserentsorgung und der Bereinigung der Rechtsverhältnisse würde dem BGH nicht erreicht, wenn bei der Entstehung von Dienstbarkeit und Entschädigungspflicht danach differenziert werden müsste, ob die jeweilige Leitung dem Eigentümer des Grundstücks dient, in dem sie verläuft.
Auch steht dem BGH zufolge nicht für immer fest, ob ein bestimmter Teil des öffentlichen Leitungsnetzes nur einem einzelnen Eigentümer dient. So könne das unmittelbar versorgte Grundstück parzelliert oder das mitversorgte Hinterliegergrundstück an einen Dritten veräußert werden; oder das Versorgungsunternehmen könne Anlass haben, weitere Anlieger an das Teilstück anzuschließen, stellt der BGH fest.
Differenzierung wäre unpraktikabel
Darüber hinaus wäre eine solche Differenzierung unpraktikabel, weil sich nur anhand von Verlegeplänen beurteilen ließe, an welchen Leitungen eine Dienstbarkeit nach dem GBBerG besteht, heißt es in dem Urteil weiter. Vor allem aber widerspräche eine solche Sichtweise der Absicht des Gesetzgebers, eine lückenlose Absicherung der öffentlichen Leitungsnetze zu gewährleisten.
Dieses Regelungsziel des Gesetzgebers habe allerdings zur Folge, dass ein Grundstückseigentümer, auf dessen Grundstück eine allein ihm dienende Hausanschluss- oder Sammelleitung liegt, eine Entschädigung dafür bekommt, dass sein Grundbesitz an die Abwasserversorgung angeschlossen ist. Dies sei jedoch im Interesse der angestrebten umfassenden Absicherung des öffentlichen Leitungsnetzes hinzunehmen.
Nähme man Hausanschluss- und Sammelleitungen aus dem Anwendungsbereich des § 9 Abs. 1 GBBerG aus, bestünde keine Pflicht des Eigentümers, diesen Teil der öffentlichen Anlage auf seinem Grundstück zu dulden, heißt es in dem Urteil. Bei Sammelleitungen träte hinzu, dass die Ausnahme nicht mehr gerechtfertigt wäre, wenn die von der Leitung mitversorgten Grundstücke nicht mehr demselben Eigentümer gehörten; von den jeweiligen Eigentumsverhältnissen könne das Entstehen einer Dienstbarkeit kraft Gesetzes aber nicht abhängen.
Pflicht zur Duldung von Leitungen in Satzung ändert nichts
Etwas anderes ergibt sich dem BGH zufolge nicht daraus, dass die Satzung des Verbandes eine Pflicht des Grundstückeigentümers zur Duldung von Anlagen und Leitungen enthält und dass landesrechtliche Notleitungsrechte bestehen könnten. Denn der Verweis auf die bundeseinheitlich geltenden Versorgungsverordnungen in § 9 Abs. 2 GBBerG zeige, dass es dem Gesetzgeber um die Schaffung einheitlicher Verhältnisse in den neuen Ländern ging und dass Regelungen, die keine bundeseinheitliche Geltung haben, Ausnahmen nicht begründen sollten.
Der Verband werde auch nicht übermäßig belastet, da es ihm nach dem GBBerG freigestanden hätte, rechtzeitig auf die Dienstbarkeiten für Hausanschluss- und Sammelleitungen zu verzichten; hierdurch wäre er nach § 9 Abs. 3 Satz 4 GBBerG von der Zahlungspflicht befreit worden.
Die Höhe der Wertminderung, die die Grundstücke durch die Leitungen erfahren haben und aufgrund derer der Ausgleichsbetrag nach § 9 Abs. 3 Satz 2 GBBerG zu bestimmen ist, ist dem BGH zufolge auf insgesamt 608.171,56 Euro zu bemessen.