OVG NRW ändert seine Rechtsprechung zur Kalkulation von Abwassergebühren


Ein Bürger aus Oer-Erkenschwick hatte gegen die Festsetzung von Schmutz- und Regenwassergebühren für das Jahr 2017 in Höhe von 599,85 Euro geklagt. Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen wies die Klage im Jahr 2020 ab (Aktenzeichen 13 K 4705/17 vom 13.2.2020). Die Berufung des Klägers hatte nun Erfolg - das Oberverwaltungsgericht hat den Gebührenbescheid aufgehoben.


Grundlegende Kalkulationsfehler


Zur Begründung führt das Oberverwaltungsgericht aus, dass die Satzung über die Erhebung von Abwassergebühren in der Stadt Oer-Erkenschwick aus November 2016, die dem Gebührenbescheid für 2017 zugrunde liegt, unwirksam sei. Die Gebühren seien insgesamt um rund 18 Prozent überhöht gewesen. Neben einem geringfügigen Rechenfehler, dem doppelten Ansatz der Abschreibungen für Fahrzeuge und Geräte, lägen nach der nun erfolgten Änderung der bisherigen, 1994 begründeten Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts zwei grundlegende Kalkulationsfehler vor.


Der gleichzeitige Ansatz einer Abschreibung der Entwässerungsanlagen mit ihrem Wiederbeschaffungszeitwert – dem Preis für die Neuanschaffung einer Anlage gleicher Art und Güte - sowie einer kalkulatorischen Verzinsung des Anlagevermögens mit dem Nominalzinssatz einschließlich Inflationsrate sei unzulässig. An der bisherigen anderslautenden Rechtsprechung werde nicht mehr festgehalten, stellt das OVG fest. Diese Kombination von Abschreibungen und Zinsen sei nach dem vom Gericht eingeholten Gutachten zwar betriebswirtschaftlich vertretbar, worauf das Kommunalabgabengesetz (KAG) zunächst abstelle.


Abwassergebühren stellen nicht mehr
als die dauerhafte Betriebsfähigkeit sicher


Aus der Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen ergebe sich aber der Zweck der Gebührenkalkulation, durch die Abwassergebühren nicht mehr als die dauerhafte Betriebsfähigkeit der öffentlichen Einrichtung der Abwasserbeseitigung sicherzustellen. Die Gebühren dürften nur erhoben werden, soweit sie zur stetigen Erfüllung der Aufgaben der Abwasserbeseitigung erforderlich sind. Der gleichzeitige Ansatz einer Abschreibung des Anlagevermögens auf der Basis seines Wiederbeschaffungszeitwertes sowie einer kalkulatorischen Nominalverzinsung widerspreche diesem Kalkulationszweck, weil er einen doppelten Inflationsausgleich beinhaltet, stellt das OVG fest.


Zinssatz von 2,42 Prozent statt 6,52 Prozent


Außerdem sei der von der Stadt in der Gebührenkalkulation - ebenfalls auf Basis der bisherigen Rechtsprechung - angesetzte Zinssatz von 6,52 Prozent sachlich nicht mehr gerechtfertigt. Der hier gewählte einheitliche Nominalzinssatz für Eigen- und Fremdkapital, der aus dem fünfzigjährigen Durchschnitt der Emissionsrenditen für festverzinsliche Wertpapiere inländischer öffentlicher Emittenten zuzüglich eines pauschalen Zuschlags von 0,5 Prozentpunkten für höhere Fremdkapitalzinsen ermittelt wurde, gehe über eine angemessene Verzinsung des für die Abwasserbeseitigungsanlagen aufgewandten Kapitals hinaus.


Das Oberverwaltungsgericht hält es nach eigenen Angaben bei einer einheitlichen Verzinsung für angemessen, den zehnjährigen Durchschnitt dieser Geldanlagen ohne einen Zuschlag zugrunde zu legen. Daraus ergäbe sich für das Jahr 2017 bei der von der Stadt Oer-Erkenschwick ansonsten gewählten Methode ein Zinssatz von 2,42 Prozent.


Das OVG hat die Revision nicht zugelassen. Dagegen kann die Stadt Beschwerde einlegen, über die das Bundesverwaltungsgericht entscheidet.       

   

Bund der Steuerzahler: Auswirkungen auf alle Städte
und Gemeinden in NRW


Der Bund der Steuerzahler Nordrhein-Westfalen (BdSt NRW) sieht sich mit der Entscheidung nach den Worten seines Vorsitzenden Rik Steinheuer in seiner Auffassung bestätigt, dass „Abwassergebühren dazu da sind, die kommunale Abwasserbeseitigung sicherzustellen - und nicht, auf Kosten der Gebührenzahler satte Gewinne abzuschöpfen". Die Entscheidung habe Auswirkungen auf alle Städte und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen, teilte der Steuerzahlerbund NRW mit. Die Kommunen dürften bei der Kalkulation ihrer Abwassergebühren nur die Zinsen der letzten zehn Jahre zugrunde legen und müssten, wenn sie vom Wiederbeschaffungszeitwert abschreiben, die realen Zinsen berücksichtigen.


Die Entscheidung bedeute, dass jetzt alle Kommunen, die ihren kalkulatorischen Zinssatz aus dem Durchschnitt der vergangenen 50 Jahre berechnet und zusätzlich einen Aufschlag genommen haben, ihre Zinssätze neu berechnen müssten. Gebührenzahler, deren aktueller Abwassergebührenbescheid noch nicht rechtskräftig ist, werden dem Steuerzahlerbund zufolge von der Entscheidung für das Jahr 2022 profitieren. Sofern die Gebühren in der jeweiligen Kommune aufgrund der rechtswidrigen Abwassergebührenkalkulation ebenfalls erhöht seien, folge daraus die Rechtswidrigkeit der den Gebührenbescheiden zugrunde liegenden Satzung. Dies führe zur Aufhebung der Bescheide.