0194 - OLG Frankfurt zum Überlassen bei gemischt genutzten Anlagen
Das OLG Frankfurt hat geurteilt, dass der Neukonzessionär auf der Grundlage der maßgeblichen Vorschriften nach den EnWG-Novellen 1998 und 2005 einen gesetzlichen Anspruch auf Überlassung von gemischt genutzten Energieverteilungsanlagen im Gemeindegebiet hat. Damit gibt das Gericht seine ursprüngliche, auf der Grundlage der alten Rechtslage vertretene Rechtsauffassung, wonach sich der Überlassungsanspruch nur auf ausschließlich der Versorgung des Gemeindegebiets dienende Anlagen beschränkt, auf. Die Entscheidung ist für Gemeinden bzw. Energieversorgungsunternehmen relevant, die sich um eine Netzkonzession bewerben.
I. Sachverhalt
Die Klägerin, bei der es sich um die Neukonzessionärin handelt macht in dem Berufungsverfahren vor dem OLG Frankfurt a.M. , von dem Beklagten, dem bisherigen Konzessionär, einen Überlassungsanspruch hinsichtlich der gemischt genutzten Energieverteilanlagen im Gemeindegebiet geltend. Daneben streiten die Parteien auch über die Bestimmung der wirtschaftlich angemessenen Vergütung i.S.v. § 46 Abs. 2 S. 2 EnWG bezgl. dieser gemischt genutzten Anlagen. Schließlich streiten die Parteien darüber, ob sich die Klägerin neben der vertraglichen Endschaftsbestimmung auch auf einen gesetzlichen Anspruch zur Überlassung dieser gemischt genutzten Anlage nach § 46 Abs. 2 S. 2. EnWG berufen kann.
II. Aus den Entscheidungsgründen
- gemischt genutzte Anlagen
Hinsichtlich der Überlassung der gemischt genutzten Anlagen kommt das OLG Frankfurt im Rahmen einer Auslegung von § 46 Abs. 2 Satz 2 EnWG zu folgender Auffassung:
Der Regelung sei für diese Situation eine Vorgabe zugunsten des Neukonzessionärs zu entnehmen. Der Begriff der notwendigen Anlagen sei wegen des Gesetzeszwecks, einen effektiven Wettbewerb um das örtliche Verteilnetz zu sichern, grundsätzlich weit auszulegen. Für ein weitgehendes Überlassungsrecht des neuen Konzessionärs spreche neben der Vermeidung einer Zersplitterung der Ortsnetze auch, dass ein grundsätzlicher Verbleib der multifunktionalen Anlagen bei dem Altkonzessionär zu einem Ewigkeitsrecht bezgl. der Anlagen führt, die sich im Gebiet einer Gemeinde befinden, aber der Versorgung mehrerer Gemeinden dienen. Das widerspreche dem § 46 Abs. 2 EnWG, so dass bei für mehrere Gemeindegebiete notwendige Anlagen von einem Überlassungsanspruch derjenigen Gemeinde auszugehen sei, auf deren Gebiet sich die Anlage befindet. Entscheidend sei nicht die ausschließliche Nutzung durch die Gemeinde, sondern dass die Anlage für den Betrieb der allgemeinen Versorgung im Gemeindegebiet notwendig und auf Grund eines Konzessionsvertrags mit der Gemeinde zu deren allgemeiner Energieversorgung betrieben worden sei.
In diesem Zusammenhang stellt das Gericht auch klar, dass es eine vertragliche Endschaftsklausel, die lediglich Aussagen zu Anlagen trifft, die ausschließlich der Verteilung der elektrischen Energie im Gemeindegebiet dienen, nicht den gesetzlichen Überlassungsanspruch nach § 46 Abs. 2 Satz 2 EnWG hinsichtlich weitergehende Ansprüche bezogen auf die gemischt genutzten Anlagen betrifft.
- wirtschaftlich angemessene Vergütung
Hinsichtlich der Bestimmung der wirtschaftlich angemessenen Vergütung i.S.v. § 46 Abs. 2 Satz 2 EnWG der gemischt genutzten Anlagen kommt das Gericht in Auseinandersetzung mit der so genannten Kaufering-Entscheidung des BGH (BGHZ 143, 128 vom 16.11.1999) und des Urteils des OLG München vom 15.11.2005 (Az. U (K) 3325/96) zu folgendem Ergebnis:
Die für die Überlassung der gemischt genutzten Anlagen zu entrichtende Vergütung habe sich nach dem objektivierten Ertragswert zu richten. Dabei führt das OLG Frankfurt aus, dass die Feststellung des BGH in der Kaufering-Entscheidung, die Grenze einer prohibitiven Wirkung sei erreicht, wenn der Sachzeitwert den Ertragswert „nicht unerheblich“ übersteige, nicht zum (generellen) Ansatz eines Erheblichkeitszuschlags führt. Das OLG München hatte in einer Entscheidung eine Überschreitung des Ertragswerts um weniger als 10 Prozent als unerheblich angesehen. Das OLG Frankfurt stellt nun fest, dass daraus nicht umgekehrt folge, dass die angemessene Vergütung jeweils bis zu 10 Prozent über den Ertragswert liege. Der Entscheidung sei vielmehr zu entnehmen, dass der objektivierte Ertragswert regelmäßig die wirtschaftlich angemessene Vergütung bilde.
- gesetzlicher Übereignungsanspruch
Schließlich lehnt das OLG Frankfurt in Fortführung seiner bisherigen Rechtsprechung weiterhin einen gesetzlichen Eigentumsübertragungsanspruch nach § 46 Abs. 2 Satz2 EnWG ab. Der Senat argumentiert wiederum, dass der Gesetzgeber trotz Kenntnis des Meinungsstreits und entsprechender Vorschläge im Gesetzgebungsverfahren von einer unschwer möglichen Präzisierung des Wortlauts abgesehen habe. Dabei beruft sich das Gericht auch auf den gemeinsamen Leitfaden von Bundesnetzagentur und Kartellbehörde.
III. Bewertung
Die Entscheidung ist vor allem mit Blick auf die Aussagen des Gerichts zum Übereignungsanspruch bezüglich der gemischt genutzten Anlagen von besonderer Bedeutung. Bislang gab es im Bereich der obergerichtlichen Entscheidungen allein die ältere Entscheidung desselben Gerichts, die vor dem Hintergrund der bis 1998 geltenden Rechtslage getroffen worden war. Der Senat macht nunmehr deutlich, dass es auf Grund der in den folgenden EnWG-Novellen enthaltenen Konzeption des Wettbewerbs um die Netzbetreibereigenschaft ein Paradigmenwechsel vollzogen hat. Es bleibt abzuwarten, ob sich der BGH, dem die Sache nun zur Entscheidung vorliegt, dieser Auffassung des OLG Frankfurt anschließen wird. In diesem Zusammenhang ist freilich zu bemerken, dass nach der EnWG-Novelle 2011 ein gesetzlicher Eigentumsübertragungsanspruch des Neukonzessionärs besteht. Dieser gilt dann auf der Grundlage der Entscheidung des OLG Frankfurts auch für die gemischt genutzten Anlagen.
IV. Fundstelle
Das Urteil des OLG Frankfurt a.M. vom 14.06.2011 hat das Aktenzeichen 11 U 36/10 (Kart) und ist im Internet in der Entscheidungsdatenbank des Landes Hessen unter
http://www.lareda.hessenrecht.hessen.de/jportal/portal/page/bslaredaprod.psml
abrufbar.
Quelle: (DStGB Aktuell 4211 vom 21.10.2011)
(GStB-Nachricht Nr. 0194 vom 24.10.2011; Az.: 810-00 GF/nm)