Unmittelbar nach der Freigabe des Mieterstromgesetzes durch die Europäische Kommission bringen sich die Akteure rund um das Thema Mieterstrom in Position.
In Berlin kooperieren die Stadtwerke künftig mit den sechs kommunalen Wohnungsbaugesellschaften. Eine entsprechende Absichtserklärung wurde jetzt unterzeichnet. „Wir fangen nicht bei Null an, sondern haben alle schon gute Erfahrungen mit Mieterstromprojekten, die wir entweder allein oder auch mit Partnern umgesetzt haben“, sagt Jörg Franzen, Chef der Wohnungsbaugesellschaft Gesobau.
Gerade in Berlin ist der Nachholbedarf in Sachen Mieterstrom groß. „Kaum ein Prozent des Stroms wird heute auf den Berliner Dächern gewonnen, 25 Prozent wären möglich“, heißt es seitens der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe. Auch eine kürzlich veröffentlichte Studie unter Beteiligung des Bundesverbandes Solarwirtschaft (BSW-Solar) stellt der Hauptstadt eine schlechte Note in Sachen Solarstromnutzung aus. So seien im Bundesdurchschnitt 0,51 kWp Solarleistung je Einwohner installiert, in Berlin sind es 0,03 kWp.
Stadtwerke Berlin kooperieren mit kommunaler Wohnungswirtschaft
„Wir wollen, dass die Energiewende Fahrt aufnimmt, und wir wollen die Akteursvielfalt für kreative Ideen und Erfolgsmethoden“, sagt Energiesenatorin Ramona Pop (Grüne). „Daher ermuntere ich weitere Firmen aus der Energie- und Immobilienwirtschaft, dabei zu sein.“
Die Berliner Stadtwerke sollen im Netzwerk als „Katalysator“ agieren und die Kompetenz der Energie-Töchter der Wohnungsbaugesellschaften ergänzen. In der jetzt bekundeten Zusammenarbeit sollen die Potenziale der Immobilien für Photovoltaik (PV) entwickelt, Anlagen gebaut und betrieben und der Strom direkt vor Ort an die Mieter vertrieben werden. Die Wohnungsbaugesellschaften nutzen dabei ihr Know-how über Häuser und Mieter, die Stadtwerke bringen ihr Wissen zur PV-Technik ein.
Entwicklung von Standardverträgen im Fokus
„Der Grundstein ist gelegt“, so Stadtwerke-Geschäftsführer Andreas Irmer. „Jetzt checken gemeinsame Teams der sieben Gründer alle Dächer der Partner auf solare Eignung, entwickeln Standard-Verträge und loten weitere Kooperationsmöglichkeiten aus.“ Hierzu gehörten etwa Modelle für die gemeinsame Nutzung von Strukturen vom Einkauf bis zur Vermarktung und für den Einbezug bereits vorhandener Strommarken der Wohnungsbauunternehmen.
Aber auch jenseits der Hauptstadt scharren die Unternehmen mit den Hufen. Auch hier geht es den Unternehmen der Energiewirtschaft darum, die Immobilien- und Wohnungswirtschaft mit ins Boot zu bekommen. Der Düsseldorfer Ökoenergieversorger Naturstrom hat auf seiner Internetseite www.naturstrom.de/mieterstrom wichtige Fakten für Mieterstrom-Interessierte aus dem Bereich der Immobilienwirtschaft zusammengestellt.
Mieterstrom: Naturstrom bietet “Leitfaden” für Immobilienunternehmen
Mieterstromprojekte seien aktuell noch relativ selten und viele Konstellationen möglich – „entsprechend groß ist häufig noch die Unsicherheit bei den Entscheidern in der Immobilienbranche“.
Naturstrom thematisiert in dem „Leitfaden“ beispielsweise, wie sich Mieterstromprojekte realisieren lassen, ohne den Anspruch auf die erweiterte Gewerbesteuerkürzung zu riskieren. „Der sicherste Weg, sich von der gewerbesteuerlichen Infektion freizuhalten, ist die Betreiberrolle an einen unabhängigen Contractor auszulagern“, heißt es darin. Grundsätzlich empfiehlt Naturstrom die Zusammenarbeit mit einem Energieversorger. Die energiewirtschaftlichen Anforderungen an Mieterstromlieferungen seien „so komplex und aufwändig“, dass man Immobilienunternehmen davon abrate, selbst als Energieversorger aktiv zu werden“.
Polarstern-Mieterstrom-Projekt mit hohem solaren Eigenverbrauch
Dass Mieterstromprojekte und die Nutzung von Strom vom Dach wirtschaftlich attraktiv sind, zeigt ein aktuelles Projekt des Münchner Ökoenergienanbieters Polarstern. Auf den Dächern von drei Häusern einer Passivhaussiedlung in Berlin-Adlershof sowie an einer Hausfassade wird eine 73,02 kWp Solaranlage errichtet. Sie soll ab Frühjahr 2018 insgesamt 38 Wohneinheiten mit rund 80 Bewohnern sowie 17 Ladestellen für Elektroautos und E-Bikes mit lokal erzeugtem Strom versorgen. Zusätzlich wird lauf Polarstern ein Batteriespeicher mit einer nutzbaren Speicherkapazität von 96 kWh installiert, um die Eigenversorgung mit Strom zu steigern.
Auch im Wärmebereich wird Sonnenenergie genutzt. Eine Solarthermieanlage auf den Dächern erzeugt Energie für die Warmwasserversorgung. Wird zu viel Wärme produziert, wird sie in das Fernwärmenetz des Blockheizkraftwerksbetreibers in Adlershof (BTB) eingespeist und dort bilanziell zwischengespeichert. Im Winter, wenn die Siedlung mehr Wärme benötigt als produziert wird, können die Bewohner dementsprechend Wärme aus dem Netz entnehmen.
Solarthermieanlage speist in Fernwärmenetz ein
„Um eine möglichst hohe Stromautarkie zu erreichen, müssen Stromerzeugung und -nutzung ideal aufeinander abgestimmt werden. Das erfordert ein lokales Stromnetz mit Smart Metern und intelligenten Tarifen“, sagt Florian Henle, Geschäftsführer von Polarstern. Die wirtschaftliche Gestaltung des Mieterstromprojekts sei eine Herausforderung für die Stromversorgung der Passivhaussiedlung gewesen. „Aufgrund der KfW-40-Plus-Förderung des Gebäudes wird für den durchschnittlichen Verbrauch im Gebäude eine relativ große Photovoltaikanlage errichtet“, sagt Henle. Damit sei es wirtschaftlich noch einmal wichtiger, möglichst viel vor Ort erzeugten Strom auch vor Ort zu nutzen.
Vor diesem Hintergrund werden die Bewohner mit einem Zwei-Tarif-Modell motiviert, möglichst viel vor Ort erzeugten Strom zu nutzen. Sie bezahlen daher für Lokalstrom einen eigenen Mieterstromtarif, während sie für Strom aus dem öffentlichen Netz das Produkt „Wirklich Ökostrom“ von Polarstern beziehen. Insgesamt liegen die Stromkosten der Bewohner nach Polarstern-Angaben damit 26 Prozent unter dem lokalen Grundversorgertarif.
Smart Metering erlaubt individuelle Tarifgestaltung
„Indem wir Stromerzeugung und -verbrauch mit Smart Metern erfassen – und zwar für jede Erzeugungs- und Verbrauchsstelle – haben die Bewohner am Ende einen individuellen Strompreis der sich aus dem von ihnen genutzten Anteil Lokalstrom und dem Anteil Netzstrom zusammensetzt“, erläutert Henle. Damit werde ein möglichst hoher Direktverbrauch direkt über den Strompreis belohnt.
Nach aktuellem Planungsstand sollen insgesamt über alle Haushalte und Verbrauchsstellen betrachtet rund 70 Prozent der vor Ort erzeugten Solarenergie auch vor Ort genutzt werden.