Die Verhaltenspsychologie erklärt sie besser als die Wirtschaftswissenschaft: Die Neigung von Haushalten, vor der Kürzung von Einspeisetarifen noch schnell eine Solaranlage zu kaufen. Das zeigt eine aktuelle Studie des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). Demnach ist der Boom vor Kürzungen nicht alleine mit der Wirtschaftlichkeit zu erklären.
Über eine Million Solaranlagen wurden in den vergangenen Jahren auf deutschen Hausdächern installiert, gefördert durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG). Wissenschaftler des DLR-Instituts für Technische Thermodynamik sind der Frage nachgegangen, wie Änderungen bei dieser Förderung die Kaufentscheidung der Hausbesitzer beeinflusst haben. „Wir wollten herausfinden, wann und aus welchen Gründen die Deutschen in den letzten zehn Jahren in Solaranlagen investiert haben“, beschreibt Martin Klein, Doktorand in der Abteilung Systemanalyse und Technikbewertung des Instituts für Technische Thermodynamik, die Ausgangsfrage.
Wirtschaftlichkeit der Anlagen erweist sich nicht als hinreichender Erklärungsansatz
Zunächst rechneten die Forscher aus, wie viel man mit einer Solaranlage verdient hätte und setzten diese Wirtschaftlichkeit ins Verhältnis zum tatsächlichen Zubau. „Unsere Hoffnung war, das Kaufverhalten anhand der Wirtschaftlichkeit der Anlagen nachvollziehen zu können. Dies hat aber insbesondere vor Kürzungen des Einspeisetarifs nicht funktioniert.“ Immer wenn der Gesetzgeber die Förderung reduzierte, gab es einen Investitionssprung – die Leute wollten wohl noch von einem vergleichsweise höheren Einspeisetarif profitieren, selbst dann, wenn die absolute Gewinnerwartung zu diesem Zeitpunkt gar nicht so hoch war.
Was sich intuitiv erklären lässt, zeigte sich in bisher keinem der Modelle: Vor Kürzungen bei der Förderung der Solaranlagen lag der tatsächliche Zubau von neuen Solaranlagen zum Teil zwei bis dreimal höher als vorhergesagt. Relativ genau konnten die Forscher die Investitionssprünge in der Vergangenheit dagegen modellieren, als sie Erkenntnisse aus der Verhaltensökonomie und Kognitionspsychologie mit in die Berechnungen einfließen ließen. Die Investitionssprünge werden dabei mit einer sogenannten „kognitiven Verzerrung“ erklärt, das heißt mit einer systematischen Abweichung davon, was rational zu erwarten wäre. Ein besonderer Kaufanreiz vor einer Kürzung ist demnach die Angst, dass man einen Vorteil, der wegfällt, nicht genutzt hat.
DLR-Wissenschaftler übertragen Erkenntnisse der Nobelpreisträger Kahneman und Tversky auf PV-Kaufentscheidung
Diese so trivial anmutende Erkenntnis wurde unter anderem von den beiden Psychologen Amos Tversky und Nobelpreisträger Daniel Kahneman in Glücksspielexperimenten vermessen und in eine wissenschaftliche Theorie gegossen. In ihrer Studie haben die DLR-Forscher diese Erwartungstheorie in ihr ökonomisches Modell aufgenommen. Damit spielt im Modell nicht nur die absolute Wirtschaftlichkeit bei der Kaufentscheidung eine Rolle, sondern auch deren Änderung bezüglich des Status quo.
„Es ist uns gelungen, die Wertfunktion, die Kahneman und Tversky in einem völlig anderen Kontext bestimmt haben, eins zu eins zu übernehmen“, sagt Klein. „In unserem speziellen Fall heißt das: Menschen investieren schnell noch, mehr, als sie es ohne die angekündigte Kürzung jemals getan hätten, um zu vermeiden, dass sie sich über einen potentiellen Verlust ärgern. Wir waren tatsächlich selbst etwas erstaunt, dass sich diese Theorie auch bei einer vermeintlich rationalen Kaufentscheidung für eine Solaranlage anwenden lässt.”
Erkenntnisse sollen in Gestaltung effektiver Fördersysteme einfließen
Zurzeit nutzen die Forscher diese Ergebnisse, um das Strommarktmodell Amiris weiterzuentwickeln. Mit dem Simulationsmodell lassen sich Auswirkungen verschiedener energiewirtschaftlicher Rahmenbedingungen untersuchen. Diese Analysen sollen helfen, effektive Fördersysteme für den Energiemarkt zu gestalten.