"Gezielter Einsatz synthetischer Brennstoffe und Ausstieg aus Öl und Gas"


Damit die gegenwärtig sehr hohen Kosten für die Herstellung solcher strombasierten Energieträger sinken, sollte frühzeitig und kontinuierlich in den Bau von Erzeugungsanlagen investiert werden, empfehlen Agora Energiewende und Agora Verkehrswende. Es gehe um „eine internationale 100-Gigawatt-Herausforderung“ und um einen „Öl- und Gaskonsens“, heißt es in einer gemeinsamen Analyse der beiden Stiftungs-Initiativen.


Aus erneuerbarem Strom erzeugtes Gas wird langfristig für die Rückverstromung benötigt, um bei vorübergehend geringer Einspeisung von Strom aus Windenergie und Photovoltaik („Dunkelflaute“) die klimaneutrale Elektrizitätsversorgung zu sichern. Synthetisches Gas oder synthetisch hergestellter flüssiger Kraftstoff seien darüber hinaus aber auch als Ergänzung der direkten Erneuerbaren-Energien- und Stromnutzung für eine sehr weitgehende Dekarbonisierung des Verkehrs, der Industrie und der Wärmebereitstellung „aus heutiger Sicht unverzichtbar“, schreiben die Think Tanks.


Synthetische Brennstoff wie „Joker beim Kartenspiel“ einsetzen


Allerdings sollten synthetische Brennstoffe nur sehr gezielt genutzt werden – „wie ein Joker beim Kartenspiel“, so die Metapher, die Patrick Graichen, Direktor von Agora Energiewende, wählt. „Dort, wo sie wirklich Vorteile bringen und nicht durch bereits vorhandene Trümpfe ersetzbar sind. Vor allem im Flug- und Schiffsverkehr, bei chemischen Grundstoffen und für Hochtemperaturwärme.“ Wo Strom direkt genutzt werden könne, etwa im Gebäudesektor, „sollten wir das tun“. Es werde immer günstiger und effizienter sein als die Nutzung synthetischer Brennstoffe.


Synthetischer Kraftstoff alles andere als ein ‘Wunderdiesel’


Christian Hochfeld, Direktor von Agora Verkehrswende dämpft die Hoffnung, dass synthetische Kraftstoffe für Pkw mit Verbrennungsmotor eine Brücke ins Zeitalter der Klimaneutralität seien. „Ein mit synthetischem Sprit fahrendes Verbrenner-Fahrzeug benötigt für die gleiche Strecke rund fünfmal so viel Strom als Ausgangsprodukt wie ein batteriebetriebenes Elektroauto. Das ist nicht nur extrem ineffizient, sondern auch teuer. Synthetischer Kraftstoff ist deshalb alles andere als ‚Wunderdiesel‘“, sagt Hochfeld. „Er kann eine Ergänzung zur E-Mobilität sein, keine Alternative.“


Von 100 kWh Strom bleiben in Verbrenner-Pkw nur 13 kWh Fahrleistung übrig


Synthetische Brennstoffe werden aus elektrischer Energie erzeugt. Hierzu wird mittels Elektrolyse zunächst Wasserstoff und anschließend durch Hinzufügen von Kohlenstoffmolekülen Methan oder flüssiger Kraftstoff produziert. Im Vergleich zur direkten Stromnutzung liegt der Vorteil synthetischer Brennstoffe in ihrer hohen Energiedichte, ihrer guten Speicherbarkeit und der zum Teil bereits vorhandenen Verteil-Infrastruktur. Allerdings ist die Produktion mit hohen energetischen Umwandlungsverlusten verbunden: So könnten von ursprünglich 100 kWh Strom beispielsweise in einem Verbrenner-Pkw nur 13 kWh unmittelbar für die Fortbewegung verwendet werden.


Überschussstrom bietet keine ausreichende Basis für wirtschaftlichen Betrieb


Der in Deutschland kurz- und mittelfristig anfallende Überschussstrom von Solar- und Windparks bietet laut der Studie der beiden Thinktanks „rein mengenmäßig keine ausreichende Basis für den wirtschaftlichen Betrieb“ von Anlagen zur Erzeugung synthetischer Brennstoffe. Vielmehr müsse der Strom dafür in eigens errichteten Anlagen erzeugt werden; synthetischer Brennstoff habe deshalb die Vollkosten der benötigten Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien zu tragen. „Daher ist eine Kilowattstunde davon anfänglich mit 20 bis 30 Eurocent rund fünfmal so teuer wie beispielsweise fossiler Dieselkraftstoff.“


Langfristig ließen sich allerdings Kostensenkungen erzielen, wenn synthetische Brennstoffe dort hergestellt werden, wo sich erneuerbarer Strom über viele Stunden pro Jahr besonders billig erzeugen lässt, wie beispielsweise in Marokko, in Saudi-Arabien oder auch in Windparks in der Nord- oder Ostsee. Das geht aus dem zweiten Teil der Studie hervor, der im Auftrag von Agora Energiewende und Agora Verkehrswende von dem international tätigen Beratungsunternehmen Frontier Economics angefertigt wurde.


Kosten für synthetisches Gas könnten auf 10 ct/kWh sinken


Die Kosten für synthetisches Gas, das aus Nordafrika importiert wird, könnten danach bis Mitte des Jahrhunderts auf etwa 10 Cent pro Kilowattstunde fallen. Werden synthetische Brennstoffe importiert, um in Deutschland zur Emissionsminderung beizutragen, müsse in besonderem Maße darauf geachtet werden, dass die Herstellung in den Herkunftsländern Nachhaltigkeitskriterien gerecht werde. Unter anderem ist sicherzustellen, dass der erneuerbare Strom für die synthetischen Energieträger zusätzlich erzeugt und gegebenenfalls benötigter Kohlenstoff der Luft entnommen wird. Außerdem dürften in den Herkunftsländern Strategien zur Energieversorgung und zum Klimaschutz nicht beeinträchtigt werden.


Agora Energiewende und Agora Verkehrswende warnen davor, fossiles Öl und Gas eins zu eins durch synthetische Brennstoffe zu ersetzen. Die Bedingungen für den Ausstieg aus den fossilen und den Einstieg in synthetische Brennstoffe sollten „in einem Öl- und Gaskonsens zwischen Politik und Wirtschaft vereinbart werden“, heißt es weiter.


Die Studie mit dem Titel: „Die zukünftigen Kosten strombasierter synthetischer Brennstoffe“ kann unter www.agora-energiewende.de abgerufen werden. Dort findet sich auch ein Excel-Tool, mit dem sich die Gestehungskosten von synthetischen Brennstoffen in Abhängigkeit von verschiedenen Annahmen berechnen lassen.