„Damit die Abstimmung und Optimierung zwischen Erzeugern und Verbrauchern ununterbrochen versorgungssicher funktioniert, ist es unabdingbar, dass die Kommunikation zwischen allen Akteuren weitgehend in Echtzeit und dabei gleichzeitig zuverlässig abläuft“, sagt Wolfram Axthelm, Geschäftsführer des Bundesverbands Erneuerbare Energie (BEE). Am Markt angekommen sind viele smarte Technologien aber noch nicht, was teils der Regulierung geschuldet ist. Hinderlich ist aber auch, dass sich die möglichen Kunden smarter Technologien über ihre eigene Rolle für eine störungsfreie, nachhaltige Energiewende noch gar nicht wirklich im Klaren sind.
Der BEE hat jetzt ein Diskussionspapier mit dem Titel „Smarte Sektorenkopplung, Digitalisierung und Distributed Ledger Technologien“ veröffentlicht (Download als pdf). Je größer der Anteil erneuerbarer Energien, desto wichtiger werde die bedarfsgerechte Abstimmung zwischen Erzeugung, Speicherung und Verbrauch, stellt der Dachverband der Erneuerbaren-Branche fest. Den dabei erforderlichen Prozessen liege die gemeinsame Nutzung des Stromnetzes zu Grunde. Die große Chance dabei: „Mit Hilfe der Digitalisierung kann der Einsatz von Flexibilitäten und das Auslastungsmanagement von Verteilungsnetzen wesentlich verbessert werden.“
„Erfolg der Energiewende hat seine Basis auch in digitaler Vernetzung“
Aus Sicht des BEE spielt vor diesem Hintergrund die Vernetzung von Erneuerbare-Energien-Anlagen und Sektorkopplungstechnologien eine große Rolle. „Um die komplexer werdenden Netz- und Marktprozesse gut zu steuern, wird das optimierte Zusammenspiel aller Komponenten erforderlich“, sagt Axthelm. „Der Erfolg der Energiewende hat seine Basis auch in digitaler Vernetzung.“ Eine optimierte Organisation der Nutzung der Netzinfrastruktur schaffe darüber hinaus Spielraum beim weiter erforderlichen Ausbau, besonders auf der Verteilnetzebene.
Im Rahmen der Sektorkopplung helfe smarte Digitalisierung, um Erzeugung, Verbrauch, Energiespeicherung und Netzbetrieb für ein stabiles und effizientes System zusammenzuführen. Die Akteure der Erneuerbaren-Branche hätten hierfür bereits gute technische Lösungen entwickelt, würden aber unter anderem durch die restriktive Architektur der Smart-Meter-Gateways und des Messstellenbetriebes am Aufbau leistungsfähiger Kommunikationskanäle gehindert.
Gesetz zur Digitalisierung bietet keinen geeigneten Rahmen für datengetriebene Geschäftsmodelle
„Im Fokus des Gesetzes zur Digitalisierung der Energiewende stand, neben der Neuorganisation des Messstellenbetriebs, vor allem der Faktor Sicherheit der Daten – nicht aber deren Verwendung in datengetriebenen Geschäftsmodellen“, heißt es hierzu im Diskussionspapier. Indem aber neue Geschäftsmodelle durch die gegenwärtige SMGW-Architektur unattraktiv werden, bremse die dadurch vollzogene „Schein-Digitalisierung“ der Energiewirtschaft eine umfassende digitale Transformation des Energiesystems aus bzw. verzögert diese.
Diese Bremswirkung führe zu Wettbewerbseffekten an unerwünschter Stelle: So gelangten schon jetzt große Technologie-Unternehmen z.B. mittels einer Reihe von Smart-Home-Anwendungen „gewissermaßen unreguliert und ‚durch die Hintertür’ an die Energiedaten von Endkunden, ohne den Umweg über das regulierte SMGW zu nehmen“, merkt der BEE an. „Dadurch geraten diese Unternehmen zunehmend in einen Wettbewerbsvorteil gegenüber den etablierten energiewirtschaftlichen Akteuren.“ Ihre rein datengetriebenen Produkte und Angebote bildeten Parallelstrukturen, ermöglichten einen unregulierten Informationsvorsprung und drohten energiewirtschaftliche Praxis und Regulierung vor vollendete Tatsachen zu stellen. „Schleichend entstehende Quasi-Standards könnten entstehen, die wiederum immer mehr definieren, was ein Energiedienstleistungsunternehmen in Zukunft ausmacht.“
Blockchain-Technologien könnten Digialisierungsstrategien sicher und resilient ergänzen
Wie an so vielen Stellen in der Energiewende sei auch mit Blick auf den Rahmen der Digitalisierung die Politik gefragt. Es gehe darum, den gesetzgeberischen Rahmen so zu gestalten, dass die Industrie ihr Know-how einsetzen kann – mit modernen Digitalisierungstechnologien und innovationsfreundlichen Regeln. „Für die digitale Transformation des Energiesystems müssen die Energiemärkte umgestaltet und eine leistungsfähige Strategie zur Digitalisierung entwickelt werden“, so Axthelm.
Eine Rolle könne hier auch Blockchain-Technologie spielen. „Neue Digitalisierungsansätze, wie z.B. Blockchain- und Distributed Ledger Technologien können grundsätzlich das Potenzial haben, die Digitalisierungsstrategie in der Energiewirtschaft sicher und resilient zu ergänzen“, schreibt der BEE in seinem Diskussionspapier. Sie könnten als zusätzliche Ebene digitaler Infrastruktur innerhalb der energiewirtschaftlichen Kommunikation wirken, „müssen jedoch auch Qualitätskriterien genügen, wie zum Beispiel einem geringen Energiebedarf“.
Spannungsfeld zwischen technisch Möglichen, regulativ Gewünschtem und am Markt Nachgefragtem
Die smarten Technologien befinden sich mithin im Wechselspiel zwischen dem technisch Möglichen, dem regulativ Gewünschten – und dem am Markt Nachgefragten. Eine Smart-Energy-Studie von Bearing Point identifiziert auf Seiten der Bevölkerung zwar ein großes Interesse an zusätzlichen Dienstleistungen von Energieanbietern wie Smart Metering, Smart Home oder auch Einspeise- bzw. Lastmanagement. Genutzt würden entsprechende Möglichkeiten bislang aber nur wenig.
Die Management- und Technologieberatung BearingPoint befragte mehr als 800 Haus- bzw. Wohnungsbesitzer aus ganz Deutschland zu ihren Erwartungen und Meinungen zum Thema „Energieversorger der Zukunft“. Zwischen Interesse und tatsächlicher Nutzung liege dabei eine große Kluft: Für die Nutzung des Smart Meter interessierten sich beispielsweise 80 Prozent aller Befragten. Aktuell verwendeten aber nur sieben Prozent die digitale Messeinrichtung. Produkte und Services zum Einspeisen von selbsterzeugter Energie – beispielsweise mit eigener Photovoltaik-Anlage – für Haushaltsgeräte finden der Umfrage zufolge 74 Prozent der Befragten interessant, die Nutzungsrate liegt aber auch hier bei lediglich sieben Prozent.
BearingPoint: Interesse und tatsächliche Nutzung smarter Technologien fallen auseinander
Smart Home wird im Vergleich häufiger genutzt als andere Energiedienstleistungen (21 Prozent). Ob die Befragten die Technologien tatsächlich nutzen, hängt von ihrem Alter ab: Die Anwender der energienahen Leistungen sind vorwiegend zwischen 20 und 45 Jahre alt.
„Auch wenn bisher nur wenige Verbraucher die digitalen Energiedienstleistungen in Anspruch nehmen, ist das Potenzial riesig – Energiekosten werden mit der aktuellen Umweltdiskussion weiter steigen und damit auch das Interesse an entsprechenden Produkten und Services“, meint Marion Schulte, Partnerin und Leiterin Utilities Deutschland bei BearingPoint. Energieversorger, die ihren Kunden frühzeitig bedarfsgerechte und innovative Lösungen anbieten, würden langfristig Kunden gewinnen.
Hohe Kosten und Sorge vor Datenmissbrauch behindern Marktdurchdringung
Danach gefragt, warum sie bisher keine „smarten“ Energiedienstleistungen in Anspruch nehmen, geben 39 Prozent der Befragten an, die hohen Anschaffungspreise zu scheuen. Tatsächlich sei die Anschaffung beispielsweise von Smart-Metering-Lösungen deutlich teurer, als die Deutschen zu zahlen bereit seien. Sie liege etwa Zweidrittel über dem Preis, den die Befragten als akzeptabel angegeben haben. Für die Bereitstellung von Flexibilität aus Energieanlagen und Elektroautos erwarten Verbraucher hingegen wesentlich mehr Geld, als üblicherweise gezahlt wird.
Neben den Anschaffungskosten sind Sicherheitsaspekte eine Barriere für die Verbraucher: 21 Prozent nutzen die Angebote nicht, weil sie mögliche Hackerangriffe fürchten, 20 Prozent haben Angst vor Datenmissbrauch. Und jeder Fünfte erkennt gar keinen Mehrwert in den Services und Produkten rund um Energie.
Smarte Energiedienstleistungen: Stadtwerken und großen EVU wird höchste Kompetenz zugesprochen
Weil sich viele Verbraucher im Zuge der Energiewende immer mehr mit dem Thema Energieversorgung beschäftigen, sei künftig mit einer größeren Nachfrage nach Energiedienstleistungen zu rechnen. Jeder zweite Befragte sieht aktuell eine große bis sehr große Relevanz zur Sicherstellung einer störungsfreien Energieversorgung – also mit Blick auf solche Fragestellungen, wie sie das BEE-Diskussionspapier adressiert. Stadtwerken und großen Energiekonzernen wird in der Umfrage nach wie vor die größte Kompetenz hinsichtlich des Angebots der energienahen Dienstleistungen zugesprochen, auch wenn beide im Vergleich zur Vorgängerstudie aus 2017 an Zuspruch verloren haben.