Bereits im laufenden Jahren erreichten tausende Windenergieanlagen in Deutschland ihre Auslegungsdauer von meist 20 Jahren erreichen „und müssten stillgelegt werden“, heißt es seitens des TÜV Nord. In vielen Fällen lohne sich aber ein Weiterbetrieb über die ursprünglich kalkulierte Laufzeit hinaus. Voraussetzung dafür ist ein Weiterbetriebsgutachten, betont der TÜV Nord.
Die Frage nach Stilllegung oder Weiterbetrieb ist eine grundsätzliche Frage für Anlagenbetreiber, die sich schon aus wirtschaftlichen Gründen in der ab 2021 anstehenden Post-EEG-Phase stellt. Die Eingaben des TÜV Nord betreffen aber bereits heute viele Anlagen: Nach einer Studie der Deutschen Windguard erreichten 6.000 bis 8.000 Altanlagen spätestens 2020 ihr zwanzigstes Betriebsjahr und müssten gemäß ihrer Typenprüfung nach Ablauf der Betriebsdauer stillgelegt werden.
Die Anlagen seien aber abgeschrieben und meist noch gut erhalten, weswegen Vieles für den Weiterbetrieb spreche. Der Betreiber sei zudem mit Technik, Windverhältnissen und Servicepersonal vertraut. „Ein weiterer Grund für den Weiterbetrieb kann sein, dass ein Repowering, also der Austausch gegen eine neuere Anlage am gleichen Standort, wegen Auflagen oder neuen Abstandsregelungen nicht möglich ist“, heißt es weiter.
Weiterbetriebsanalyse umfasst theoretischen und praktischen Teil
Eine Weiterbetriebsanalyse kläre darüber auf, ob die Altanlage technisch in einem so guten Zustand ist, dass sie sicher weiterlaufen kann. „Das Gutachten besteht dabei aus einem analytischen und einem praktischen Teil“, erläutert Silvio Konrad, verantwortlicher Geschäftsführer für den Energiesektor im Geschäftsbereich Industrie Service bei TÜV Nord. Im ersten Teil der Prüfung muss ein unabhängiger Gutachter wie TÜV Nord unter anderem die Standsicherheit nachweisen. Wind- und Umgebungsbedingungen des Standorts sowie die Angaben des Herstellers bezüglich Windklasse und Lebensdauer fließen dabei mit in das Gutachten ein.
Experten prüfen, ob irreparable Risse in Maschinenträgern oder im Fundament existieren
Die abschließende Bewertung des ersten Teils erfolgt dann anhand einer theoretischen Lastberechnung. Die Prüfer könnten die tatsächlich erfolgte Belastung der Anlage während ihrer Betriebszeit auf Grundlage der entsprechenden Daten ableiten. Aus der Analyse gehe hervor, welche Bauteile der Anlage besonders stark beansprucht wurden und wo mögliche Schwachstellen liegen. Dies vereinfacht dann auch die Vor-Ort-Prüfung im praktischen Teil der Anlagenbewertung. Hier muss die technische Funktion von sicherheitsrelevanten Bauteilen überprüft werden. Dabei gehe es unter anderem um irreparable Risse in Maschinenträgern oder im Fundament, unübliche oder nicht vermerkte Reparaturen oder um sicherheitsrelevante Anbauten, wie zum Beispiel eine Rotorblattverlängerung. Auf Grundlage dieser Untersuchungen lege TÜV Nord anlagen- und standortspezifisch das Potenzial des Weiterbetriebs fest.
Stellt der oder die unabhängige Sachverständige vor Ort im praktischen Teil der Analyse erhebliche Mängel fest, kann es zur Empfehlung des Rückbaus der Anlage nach 20 Jahren kommen. „Ist es jedoch möglich, die beschädigten Bauteile fachkundig zu reparieren oder auszutauschen, befürworten wir den Weiterbetrieb unter Auflagen“, so Konrad weiter.
Das Gutachten nach 20 Jahren sei nicht mit der wiederkehrenden Prüfung zu vergleichen, sondern als eigenständige Analyse zu verstehen, da es weitaus aufwändiger ist, betont der TÜV Nord. Betreiber von Altanlagen sollten sich dementsprechend rechtzeitig mit der Frage des Weiterbetriebs und den daraus resultierenden Anforderungen auseinandersetzen. Für die Prüfung benötigen Betreiber alle erforderlichen Dokumente zur Anlage – auch die des Herstellers und des Wartungsunternehmens.