Forscher der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU) und der Ruhr-Universität Bochum haben nun im Rahmen einer Studie einen neuen Reaktionsmechanismus aufgezeigt, mit dem Cellulose durch den Einsatz von mechanischer Kraft effizient umgewandelt werden kann. Die Ergebnisse sind in der Fachzeitschrift „Angewandte Chemie“ erschienen.
Hintergrund ist, dass bei der Hydrolyse-Reaktion, durch die Cellulose aufgespalten werden kann, bisher einzelne molekulare Bausteine erhalten bleiben. Diese molekularen Bausteine bilden die eigentliche Basis, um Treibstoffe oder chemische Grundstoffe herzustellen. Auf der Suche nach Möglichkeiten, um die Hydrolyse-Reaktion effizienter zu machen, fanden Forscher bereits in früheren Studien experimentelle Hinweise darauf, dass mechanische Kräfte den Prozess der Umwandlung beeinflussen können.
Umwandlung von Biomasse könnte umweltfreundlicher und kostengünstiger werden
Bisher ist es jedoch noch nicht gelungen, auf atomarer Ebene zu zeigen, wie genau dieser Einfluss während der einzelnen Reaktionsschritte aussieht. Allerdings ist es nur so möglich, noch effizientere und ressourcenschonendere Prozesse dieser Art zu entwickeln als bisher. In der nun veröffentlichen Arbeit zeigen die Wissenschaftler, dass der Einsatz von mechanischer Kraft auf die Cellulosemoleküle oberhalb einer Grenze einen signifikanten Einfluss auf die Reaktion hat. Die sogenannte mechano-katalytische Reaktion könnte der WWU zufolge dazu führen, ein umweltfreundliches und kostengünstiges Verfahren für die Umwandlung von Biomasse zu etablieren.
Die Nanowissenschaftler führten dazu sogenannte atomistische Rechnungen durch. Diese ermöglichten es ihnen, die einzelnen Schritte der Hydrolyse-Reaktion im Detail zu verfolgen und gleichzeitig eine Zugkraft auf die Molekülstruktur auszuüben. Die Wissenschaftler erstellten sogenannte Energieprofile, die jeweils den Energieverlauf entlang des Reaktionswegs mit und ohne den Einfluss der mechanischen Kräfte darstellten.
Einzelne Schritte der Hydrolyse-Reaktion im Detail verfolgt
Es zeigte sich: Übten die Forscher mechanische Kraft auf das molekulare Gerüst der Cellulose aus, veränderte das stark die Hydrolyse-Reaktion. Zum einen war die benötigte Energie um ein Vielfaches geringer. Zum anderen machte eine erhöhte Zugkraft zwei von ursprünglich drei Reaktionsschritten sogar überflüssig. „Mithilfe unserer atomistischen Rechnungen konnten wir explizit den Einfluss einer mechanischen Zugkraft auf den Reaktionsmechanismus untersuchen“, erläutert Erstautor Saeed Amirjalayer, Gruppenleiter am Physikalischen Institut der WWU. „Dies ermöglichte es uns, einen bisher unbekannten und vor allem hocheffizienten Reaktionsweg für die Umwandlung von Cellulose aufzuzeigen.“
Die neuen Ergebnisse bestätigen nicht nur die experimentellen Beobachtungen, sondern weisen den Forschern zufolge darüber hinaus das Potenzial auf, molekulare Prozesse mithilfe von mechanischer Kraft zu steuern. „Wir konnten unter anderem zeigen, dass durch mechanische Zugkraft die sogenannte Protonenaffinität in Cellulose regio-selektiv erhöht werden kann“, betont Saeed Amirjalayer.
Auch Entwicklung recycelbarer Kunststoffe möglich
Die Wissenschaftler erhoffen sich, dass diese Arbeit nicht nur ein effizientes und umweltfreundliches Verfahren für die Umwandlung von Cellulose ermöglicht, sondern auch dazu führen kann, neuartige mechano-responsive Verbindungen, zum Beispiel Kunststoffe, zu entwickeln. Diese könnten dann durch mechanische Kräfte nach ihrer Anwendung recycelt werden.
Die Originalveröffentlichung „Understanding the Mechanocatalytic Conversion of Biomass: A Low‐Energy One‐Step Reaction Mechanism by Applying Mechanical Force“ steht unter https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/ange.201811091 zur Verfügung. Unterstützt wurde die Studie von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und dem Exzellenzcluster “Resolv” der Ruhr-Universität Bochum.