„Wir gehen davon aus, dass unsere Neuausrichtung innerhalb der Windindustrie in Gänze eine Betroffenheit von mehreren Tausend Arbeitsplätzen auslösen wird – bei Enercon selbst, bei Produktionspartnern, nachgeordneten Zulieferern sowie bei regionalen Zeitarbeitsfirmen“, sagt Hans-Dieter Kettwig, Vorsitzender der Enercon Geschäftsleitung.
Der Vergabestopp für Produktionsaufträge betrifft nach Angaben des Unternehmens in erster Linie die Lieferung von Rotorblättern – die Vergabe von Fertigungsaufträgen für weitere Komponenten wird deutlich reduziert. „Enercon hat für die kooperierenden Blattwerke in Aurich und Magdeburg keine Aufträge mehr, da durch verfehlte politische Reformen die Auftragslage für neue Windenergie-Projekte in Deutschland nahezu zum Erliegen gekommen ist.“
Nur 65 Enercon WEA in Deutschland 2019 errichtet – nach 711 im Jahr 2017
Nach der Einführung von Ausschreibungen durch die Bundesregierung hat sich das Marktvolumen 2019 um knapp 90 Prozent im Vergleich zum Vorjahr reduziert, zitiert der Auricher Windenergieanlagenhersteller Analysen der Fachagentur Wind an Land. Enercons Aufbauleistung schrumpfte durch den Kollaps auf das Niveau von vor rund 30 Jahren, als sich die Windindustrie noch im Anfangsstadium befand. In den ersten zehn Monaten 2019 konnte das Unternehmen deutschlandweit lediglich 65 WEA (rund 210 MW) installieren – so wenig wie zuletzt Anfang der 1990er Jahre. Während der Hochphase in 2017 hatte Enercon in Deutschland noch 711 WEA (2004 MW) errichtet.
„Wir bedauern diese Besorgnis erregende Entwicklung in höchstem Maße“, sagt Kettwig. „Die aktuelle Energie- und Klimapolitik gefährdet nicht nur über Jahre aufgebautes Knowhow und Arbeitsplätze in unserer Branche, sondern auch den Klimaschutz und die Energiewende insgesamt.“ Enercon und die Branchenverbände hatten seit Monaten vor den Gefahren gewarnt, dies sei jedoch „ignoriert“ worden. „Schlimmer noch: Nach Vorlage des Klimaschutzpakets der Bundesregierung wird klar, dass die Probleme für uns sogar noch größer werden“, so Hans-Dieter Kettwig. So werde etwa die im Klimapakt vorgesehene pauschale Abstandsregelung den stagnierenden Onshore-Ausbau noch weiter schrumpfen lassen.
Kettwig: „Unser Unternehmen verzeichnet erstmals erhebliche Verluste“
„Unter diesen Bedingungen wird sich der deutsche Onshore-Markt nicht wieder erholen“, sagt Kettwig. „Daran können auch die positiven Anstrengungen von Bundesländern wie Niedersachsen zur Zeit wenig ausrichten, die mit eigenem Klimaschutzgesetz und klarem Bekenntnis zum Onshore-Ausbau Vorreiter bei der Energiewende sind.“
Die Entwicklung habe schwerwiegende Folgen für Enercon. „Unser Unternehmen verzeichnet erstmals erhebliche Verluste“, führt Kettwig aus. „Das bedeutet für uns: Wir müssen jetzt konsequent und schnell die Weichen stellen, um Enercon aus der Krise zu führen und wieder zukunftssicher aufzustellen.“
Enercon reagiere mit einem umfangreichen Turnaround-Programm, um das Unternehmen an die neuen Rahmenbedingungen angepasst neu aufzustellen und wieder in die Gewinnzone zu führen. Neben der deutlichen Reduzierung der Planungen für 2020 gehört dabei die Konzentration auf internationale Märkte, in denen bessere Perspektiven bestehen, zum Kern des Programms.
Auch für das Unternehmen selbst werde es weitreichende Konsequenzen geben: Angesichts des dramatischen Nachfrageeinbruchs sollen die Unternehmensstrukturen angepasst und eine Restrukturierung der Zentralbereiche vorgenommen werden. Ergänzend dazu habe die Geschäftsleitung ein ambitioniertes Spar- und Kostensenkungsprogramm beschlossen, das alle Unternehmensbereiche betrifft, sowie einen Einstellungsstopp verhängt. „Jede Funktion von Enercon wird davon betroffen sein“, sagt Kettwig.
„Wir müssen uns in allen Bereichen internationaler aufstellen“
Mit der Neuausrichtung sind umfangreiche Veränderungen in der Liefer- und Wertschöpfungskette verbunden. „Wir müssen uns in allen Bereichen internationaler aufstellen“, erklärt Jost Backhaus, Mitglied der Enercon Geschäftsleitung und verantwortlich für die operativen Einheiten. Die Optimierung der Lieferketten sei eine wesentliche Herausforderung bei der Neuausrichtung.
„Dies beinhaltet die stärkere Zusammenarbeit mit Produktionspartnern, Dienstleistern und Lieferanten in den Aufbauländern. Nur so können wir local content-Anforderungen erfüllen, mit denen wir in neuen Zielmärkten konfrontiert sind, und unsere Wettbewerbsfähigkeit im internationalen Geschäft sicherstellen.“ Der Kostendruck sei hier immens, man stehe im harten Wettbewerb mit globalen Großkonzernen. „Die Neuausrichtung muss daher auch unter Kostengesichtspunkten erfolgen“, so Backhaus weiter.
„Erhebliche Folgen“ für Produktionspartner in Deutschland
„Uns ist bewusst, was dieser schmerzhafte Schritt für die Beschäftigten in den betroffenen Unternehmen bedeutet“, erklärt Kettwig. Die Geschäftsentscheidung werde „erhebliche Folgen“ für Enercons Produktionspartner in Deutschland und darüber hinaus auf weitere Unternehmen der Branche haben – vermutlich bis hin zur Schließung ganzer Werke. „Uns bleibt keine Wahl: Nur mit der konsequenten Neuausrichtung können wir unsere wirtschaftliche Lage verbessern und unsere Wettbewerbsfähigkeit nachhaltig stärken. Dies ist eine wichtige Voraussetzung für die Rückkehr auf die Erfolgsspur, die wir mit dem Turnaround- Programm anstreben.“