Altmaier hebt Prognose für Bruttostrombedarf im Jahr 2030 auf 645 bis 665 TWh an


Demnach rechnen die beauftragten Gutachter von Prognos für das Zieljahr mit einem Stromverbrauch zwischen 645 und 665 TWh. Altmaier verwies in einer Pressekonferenz darauf, dass sich die Rahmenbedingungen seit Verabschiedung des EEG verändert hätten, wodurch die Korrektur notwendig geworden sei. Aus Sicht der Erneuerbaren-Branche ist die angehobene Prognose noch immer zu tief angesetzt.


Die Sektorkopplung verlagere zunehmend Aufgaben aus den Sektoren Wärme, Verkehr und Industrie in den Stromsektor,erläuterte Altmaier. So rechne man inzwischen für das Jahr 2030 mit 14 Millionen Elektroautos auf den deutschen Straßen. Auch die Elektrifizierung der Wärmeversorgung über Wärmepumpen werde die Stromnachfrage nach oben treiben. Im Bereich der Industrie spiele insbesondere die Nutzung von Wasserstoff eine wachsende Rolle. Die erforderlichen Mengen an grünem Wasserstoff werde man in Deutschland nicht produzieren können, „hier ist Raum für Importe“, sagte Altmaier. Es gebe aber auch etwa bei der Stahlproduktion elektrifizierte Prozesse, der künftige Strombedarf hänge demnach auch von der eingesetzten Technologie abhängig.


Noch vor der Bundestagswahl will Altmaier innerhalb der Bundesregierung einen Konsens finden, wie hoch der Strombedarf tatsächlich ausfällt. Dies könne dann Entscheidungsgrundlage sein für Koalitionsverhandlungen sein, sagte er.


Altmaier „Wir sind sehr unzufrieden mit dem Ausbau der Windenergie an Land“


Der Wirtschaftsminister erläuterte, dass es in den Technologiebereichen Wind und Solar schnellere Fortschritte geben müsse. „Wir sind sehr unzufrieden mit dem Ausbau der Windenergie an Land“, sagte Altmaier. Hier müssten die Flächenpotenziale erhöht werden. Auch die Bundesländer seien hier in der Pflicht, es werde zwar unterschiedliche Ausbauprofile geben, in Summe müsse daraus aber das anvisierte Ausbauvolumen auf Bundesebene resultieren.


Im Bereich der Offshore-Windenergie werde man prüfen, ob die bestehenden Ausbauziele früher erreicht werden könnten und für den gegenwärtig definierten Zeithorizont entsprechend angehoben werden könnten. Zu den Zielkonflikten im Bereich der Nutzung von Offshore-Flächen auf dem Meer merkte Altmaier an, dass es hier letztlich um die Prioritätensetzung gehe.


Ausbau der Dach-PV mit energetischer Gebäudesanierung verzahnen


Auch bei der Photovoltaik müsse ein stärkerer Zubau erreicht werden. Gerade der Bereich der Aufdach-PV biete noch ungenutzte Potenziale. So sollten aus seiner Sicht öffentliche Liegenschaften von Bund und Ländern mit Aufdach-PV-Anlagen ausgestattet werden. Aber auch die Verzahnung der energetischen Gebäudesanierung mit dem Ausbau der Photovoltaik sei ein wichtiger Hebel. Hier sei das Ordnungsrecht aber der falsche Weg. Anreize zur Dachflächennutzung müssten über andere Instrumente geboten werden.


Mit Blick auf den Netzausbau verwies Altmaier auf Angaben der Übertragungsnetzbetreiber, nach denen die drei aktuell errichteten Stromautobahnen bis 2028 fertig sein sollen. „Mein Ziel ist es, dass wir für neue Stromautobahnen von Planung bis Realisierung nur acht Jahre brauchen“, so der Unionspolitiker. Er geht davon aus, dass es auch nach dem Abschluss der drei großen HGÜ-Projekte noch Bedarf an „ein, wenn nicht zwei“ Stromautobahnen geben wird.


BEE-Präsidentin Peter: Für 65-THG-Minderungsziel werden 100 TWh mehr Strom benötigt


Nach Einschätzung der Präsidentin des Bundesverbands Erneuerbare Energie (BEE), Simone Peter, wird auch die angehobene Stromverbrauchsprognose dem Markthochlauf von Sektorenkopplungstechnologien in Deutschland nicht gerecht. „Hierfür sind für ein THG-Minderungsziel von 65 Prozent rund 100 TWh mehr nötig“, sagt Peter.


Die Dekarbonsierung aller Sektoren sei ein entscheidender Schritt auf dem Weg zur Klimaneutralität, weshalb jetzt Planungssicherheit für Klimaschutztechnologien zu schaffen sei. Je länger mit dem beschleunigten Ausbau der Erneuerbaren Energien gewartet würde, desto eher drohe eine Ökostromlücke. Kommendes Jahr wird der Atomausstieg abgeschlossen und Kohlekraftwerke seien aufgrund hoher CO2-Preise kaum mehr rentierlich. „Die erneute Verschiebung der Festlegung konkreter Ausbauziele ist die gleichzeitige Negierung der nun getroffenen Annahmen“, so Peter weiter. „Klimaschutz, Industriestandort und die sichere Energieversorgung verlieren wichtige Monate.“ Spätestens ein erstes 100-Tage-Programm einer neuen Bundesregierung müsse „den Erneuerbaren-Turbo in allen Sektoren und für die Sektorenkopplung einschalten, zusammen mit den Ländern mehr Flächen und Genehmigungen bereitstellen und eine Akzeptanzoffensive mit und für die Bürgerinnen und Bürger starten“, so die BEE-Präsidentin.


BDEW-Hauptgeschäftsführerin Andreae: Bundesregierung hätte Prognose viel früher anpassen können


Auch Kerstin Andreae, Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung beim BDEW, bemängelt die Verzögerungen. „Die Bundesregierung hätte ihre Prognose schon viel früher anpassen können.“ Die neuen CO2-Minderungsziele des novellierten Bundes-Klimaschutzgesetzes hätten den Handlungsdruck allerdings noch einmal deutlich verschärft. So geht der BDEW von einem Strombedarf in Höhe von etwa 700 TWh aus. „Aus unserer Sicht ist zudem ein höherer Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung von 70 Prozent bis 2030 erforderlich, wenn die Klimaziele erreicht werden sollen.“ Dadurch werde eine Anhebung der Ausbaupfade im EEG notwendig: Dies könnte für 2030 etwa 100 GW für Windenergieanlagen an Land, 11 GW für Biomasse und mindestens 150 GW für PV (Dach und Freifläche) bedeuten.


„Dass wir mehr Tempo beim Erneuerbaren-Ausbau brauchen, dürfte allen klar sein“, so Andreae weiter. Es müssten endlich die Hemmnisse für Wind an Land beseitigt und ein PV-Boom ausgelöst werden. „Welche Herausforderung vor uns liegt wird deutlich, wenn wir den Anteil der erneuerbaren Energien am gesamten Primärenergiebedarf in Deutschland betrachten: Hier haben regenerative Energien erst einen Anteil von 17 Prozent.“


Der Bundeswirtschaftsminister habe die Notwendigkeit des Netzaus- und Umbaus betont. Nur ein konsequenter Netzausbau stelle sicher, dass grüne Energie jederzeit dorthin gelangen kann, wo sie gebraucht wird, so die BDEW-Chefin. „Hierfür werden Milliarden-Investitionen erforderlich sein.“ Die notwendigen Netz-Investitionen müssten für Investoren und Kapitalgeber attraktiv bleiben. Die Bundesnetzagentur als zuständige Regulierungsbehörde hatte kürzlich angekündigt, die Eigenkapitalrendite für Netzinvestitionen senken zu wollen. In den kommenden Jahren drohe damit eine „empfindliche Verschlechterung des Investitionsklimas“, so Andreae weiter. „Dies steht in klarem Widerspruch zu dem steigenden Aus- und Umbaubedarf der Netze.“


Um die Versorgungssicherheit auf dem aktuell sehr hohen Niveau zu halten, müssten zudem alle Flexibilitätspotenziale beispielsweise über Lastmanagement und Speicher gehoben werden. „Unabdingbar für die erforderliche gesicherte Leistung ist ein Zubau von Gaskraftwerken, die Wasserstoff-ready sind und zunehmend mit klimaneutralen Gase betrieben werden“, sagt Andreae.