Das betonten beide Bundesminister in einer gemeinsamen Erklärung zur umstrittenen Taxonomie-Entscheidung der EU. „Ich halte den Rechtsakt in der jetzigen Form für einen großen Fehler, der die Taxonomie als Ganzes stark beschädigt und unsere Klimaziele gefährden könnte“, erklärte Lemke.
Die Bundesregierung werde jetzt beraten, wie sie mit dem Beschluss der EU-Kommission umgehe, hieß es. Bereits im Januar hatten beide Minister deutlich gemacht, dass aus ihrer Sicht Deutschland den Rechtsakt der Kommission ablehnen sollte, wenn er in wesentlichen Punkten unverändert bleibt. „Die für uns notwendigen Veränderungen sehen wir nicht“, bilanzierte Habeck.
Beide Minister bekräftigten erneut ihre klare Ablehnung der Einstufung von Atomkraft als nachhaltige Investition. „Wir haben wiederholt deutlich gemacht, dass wir die Einbeziehung von Atomenergie in die Taxonomie für falsch halten“, sagte Habeck. „Das Ganze konterkariert das gute Konzept der Taxonomie und läuft ihren Zielen zuwider.“
Hintergrund der Kritik ist ein Rechtsakt, den die EU-Kommission am Mittwoch trotz massiver Kritik angenommen hat. Er betrifft eine Neuerung in der EU-Taxonomie, die vorsieht, dass künftig Investitionen in Gas- und Atomkraftwerke in der Europäischen Union unter bestimmten Auflagen als klimafreundlich beziehungsweise nachhaltig gelten sollen.
Lemke: „Brauchen glaubwürdigen Nachhaltigkeitsstandard für Finanzmärkte“
„Wir brauchen einen glaubwürdigen Nachhaltigkeitsstandard für die Finanzmärkte, der Greenwashing effektiv verhindert und die nötigen Investitionen dorthin lenkt, wo wir diese so dringend brauchen: in den raschen Ausbau der erneuerbaren Energien und eine nachhaltige Energiewende“, erklärte Lemke. „Jede Milliarde, die durch diesen Kommissions-Beschluss zusätzlich in die Atomkraft fließt, fehlt dann dafür.“
Ausdrückliche Kritik an der Einstufung von Gas als nachhaltig übten Lemke und Habeck in ihrem Statement nicht. Die EU-Kommission ist in ihrem finalen Rechtsakt dem Wunsch der Bundesregierung nach flexibleren Rahmenbedingungen für Gaskraftwerke entgegengekommen.
Auch in der Energiebranche in Deutschland kommt nur mit Blick auf die Atomenergie eine einmütige Kritik an der Taxonomie, beim Thema Gas gibt es unterschiedliche Auffassungen. Der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) spricht mit Blick auf Gaskraftwerke von „Transformationskraftwerken“, die benötigt würden für den Umbau des Energiesystems. Sie benötigten „noch für einen kurzen Übergang fossiles Erdgas“, später nutzten sie dann CO2-freie Gase, insbesondere Wasserstoff. Die Kommission habe hier auch nachgebessert. Der Wegfall von Zwischenschritten sorge für mehr Flexibilität und mache die Umstellung auf Wasserstoff „praktikabler“.
Liebing: Bedarfsgerechte Förderung und geeignetes Marktdesign erforderlich
„Und dennoch: Leider erschwert die konkrete Ausgestaltung des delegierten Rechtsaktes die Finanzierung notwendiger neuer Kraftwerke: Die vorgeschlagenen Nachhaltigkeitskriterien sind trotz aller Nachbesserungen aus kommunalwirtschaftlicher Sicht zu restriktiv und in der Summe nahezu unerfüllbar“, sagt VKU-Hauptgeschäftsführer Ingbert Liebing. Das gelte vor allem für die von der Kommission vorgeschlagenen Emissionsgrenzwerte sowie für die Kapazitätsgrenzen für neue Kraftwerke. Erforderlich seien nun nationale Regelungen mit einer „bedarfsgerechten Förderung und einem geeigneten Marktdesign“.
Auch der BDEW hält Investitionen in wasserstofffähige Gaskraftwerke für „zwingend notwendig“ auf dem Weg zu einer vollständig klimaneutralen Energieversorgung. Der BDEW begrüßt, dass die geforderte 55-prozentige Treibhausgasminderung beim Ersatz von Kohlekraftwerke durch Gaskraftwerke nun über die Lebensdauer und nicht wie geplant ab Inbetriebnahme gilt. „Letzteres wäre nur mit dem Einsatz großer Mengen erneuerbarer oder dekarbonisierter Gase erreichbar, die in den benötigten Dimensionen jedoch in absehbarer Zeit nicht zur Verfügung stehen.“ Die Betrachtung über die Lebensdauer gelte allerdings „unverständlicherweise“ nur für ungekoppelte Kraftwerke und nicht für KWK-Anlagen. „Diese Ungleichbehandlung ist unlogisch.“
BDEW begrüßt Abkehr der Kommission von „unrealistischen Wasserstoffanteilen“
Eine zweite Verbesserung stelle die Streichung der ursprünglich geforderten „unrealistischen Wasserstoffanteile“ für die Jahre 2026 und 2030 dar. Die Anforderungen sind hier jedoch weiterhin sehr ambitioniert, vor allem der vollständige fuel switch zum 1. Januar 2036 auf erneuerbare und dekarbonisierte Gase als Brennstoff.
Für den Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE) sind Investitionen in fossile Erdgaskraftwerke schlicht nicht nachhaltig. Erneuerbare Energien seien nicht nur günstiger und umwelt- und klimafreundlicher, sie wirkten auch der starken Importabhängigkeit Deutschlands bei Energierohstoffen entgegen. „Aktuell zeigt der Konflikt mit Russland, dass wir auch geopolitisch und energiewirtschaftlich klug beraten sind, das riesige Potenzial unserer heimischen, bürgernahen erneuerbaren Energien in allen Sektoren zu nutzen“, sagt Verbandspräsidentin Simone Peter. „Das spart nicht nur Milliarden Euro bei den Importen ein, sondern erhöht auch die Versorgungssicherheit.“
BEE: Importabhängigkeit senken – ohne neue fossile Gaskraftwerke
Mit einem Mix aus Photovoltaik, Windenergie, Biogasanlagen, Wasserkraft und Geothermie im Strombereich, in Verbindung mit Speichern und Sektorenkopplung, sowie Solar- und Geothermie sowie Wärmepumpen und Bioenergie im Wärmebereich könne eine sichere und bürgernahe Energieversorgung geschaffen werden, die Wertschöpfung in den Kommunen generiert und uns sicher und sauber mit Energie versorgt. Mit der kürzlich vorgestellten Studie „Klimaneutrales Stromsystem“ habe der BEE Lösungsansätze aufgezeigt, die demonstrieren, dass trotz Atomausstieg 2022 und Kohleausstieg 2030 keine weiteren Gaskraftwerke auf Basis fossiler Gase mehr gebraucht würden.