Die „Verordnung zur befristeten Ausweitung des Stromerzeugungsangebots durch Anlagen aus der Netzreserve“ erlaubt es Kraftwerken, die mit Öl und Kohle betrieben werden und sich aktuell in der Netzreserve befinden, bis zum Ende des Winters 2022/2023 befristet an den Strommarkt zurückzukehren. Das teilte das Bundeswirtschaftsministerium mit. Das vordringliche Ziel, den Kohleausstieg in Deutschland bis 2030 zu vollenden, bleibe von der befristeten Maßnahme „unangetastet“.
Mit der Verordnung wird eine weitere Maßnahmen aus dem von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) am 19. Juni vorgestellten Paket zur Stärkung der Vorsorge und zur Reduktion des Gasverbrauchs im Stromsektor umgesetzt. Neben der Verordnung arbeite die Bundesregierung weiterhin „mit Hochdruck“ daran, mit den zur Verfügung stehenden 15 Mrd. € die Speicherbefüllung voranzutreiben. Nach Angaben der Bundesnetzagentur liegt der Gesamtspeicherstand aktuell bei 64,6 Prozent (Stand: 13. Juli). Die BNetzA arbeitet laut BMWK gegenwärtig an der Umsetzung des Gasauktionsmodell für Einsparanreize in der Industrie.
„Wir wollen jetzt im Sommer Gas einsparen, um unsere Speicher für den Winter zu füllen. Deshalb erlauben wir Steinkohle- und Ölkraftwerken bis Ende des Winters wieder am Markt teilzunehmen“, sagt Habeck. Sie sollen über den kommenden Winter 5-10 TWh Erdgas in Deutschland und noch einmal eine ähnlich große Menge in Europa einsparen.
Die „Verordnung zur befristeten Ausweitung des Stromerzeugungsangebots“ betrifft Kraftwerke, die bereits in der Netzreserve vorgehalten und nicht mit Erdgas betrieben werden. Die installierte Kapazität beträgt insgesamt etwa 4,3 GW Steinkohleanlagen und 1,6 GW Mineralölanlagen. Hinzu kommen Kohlekraftwerke, für die in den Jahren 2022 und 2023 ein Verbot der Kohleverfeuerung gemäß KVBG-Ausschreibungen wirksam würde. 2022 betrifft dies 2,1 GW installierte Leistung, 2023 weitere 0,5 GW. „Der Betrieb am Strommarkt erfolgt freiwillig“, betont das BMWK. „Chancen und Risiken liegen beim Betreiber.“
„Die Versorgungslage beim Gas ist weiter dynamisch“, sagt VKU-Hauptgeschäftsführer Ingbert Liebing. „Es lässt schwer absehen, wie sie sich entwickelt. Daher ist wichtig, jetzt die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um Gas einzusparen.“ Vor diesem Hintergrund begrüße der VKU die Verordnung. Damit könne Gas im Bereich der Stromerzeugung eingespart werden, was wiederum über einen harten Winter helfen könne. „Klar ist aber: Wir müssen in den nächsten Wochen genau beobachten, ob die Verordnung in ihrer jetzigen Form dafür ausreichende Voraussetzungen bietet.“
VKU und VIK fordern Planungssicherheit für Kraftwerksbetreiber
Problematisch sei, dass der Kraftwerksbetrieb nicht an ein bestimmtes Datum, sondern an die Dauer der Alarm- oder Notfallstufe durch die Bundesregierung gebunden ist. „Damit geht für den Kraftwerksbetreiber ein erhebliches Maß an Unsicherheit einher. Für einen marktlichen Kraftwerksbetrieb braucht es mehr als einen Zuruf der Bundesregierung, sondern es erfordert Planungssicherheit über eine rechtlich klare Definition des Betriebszeitraums.“ Sollten Betreiber von Kohlekraftwerken keine ausreichenden Anreize vorfinden, um sich an der Stromproduktion zu beteiligen, müsse die Verordnung kurzfristig angepasst werden.
Auch der Verband der Industriellen Energie- und Kraftwirtschaft (VIK) fordert mehr Planungssicherheit für die Ersatzkraftwerke. „Sollte der Marktbetrieb direkt mit einem Auslaufen der Alarmstufe enden, ist eine wirtschaftliche Kalkulation des Betriebs kaum möglich.“ Um die Verstromung von Steinkohle als Alternative zur Erzeugung mit Erdgas attraktiv zu gestalten, benötigten die Betreiber eine verlässliche Mindestlaufzeit.
„Wir brauchen eine garantierte Frist für den Betrieb der Kraftwerke, die jetzt den Strom aus Erdgas ersetzen sollen“, sagt Christian Seyfert, VIK-Hauptgeschäftsführer. „Wenn die befristete Teilnahme am Strommarkt jeden Tag mit dem Ende der Alarmstufe nicht mehr zulässig sein könnte, ist dies für viele Betreiber keine echte Option.“