Einer Analyse von McKinsey zufolge sieht Deutschland aktuell einem Mehrbedarf von 200 GW aus erneuerbaren Energien entgegen.
Um diesen Mehrbedarf decken zu können, muss der Ausbau von Wind- und Solarenergie bis 2030 viel schneller erfolgen als bisher. Die Ausbaugeschwindigkeit von Windenergieanlagen an Land muss sich in den nächsten acht Jahren auf 100 GW (4,9 GW p.a.) verdoppeln, auf See auf 30 GW (2,5 GW p.a.) verdreifachen und die von Photovoltaikanlagen auf 200 GW (15,7 GW p.a.) vervierfachen.
Im Energiewende-Index vom Frühjahr 2022 analysiert McKinsey, ob und welche der Indikatoren in ihrer Zielerreichung realistisch sind. Das aktuelle Fazit lautet: Nur noch drei der 15 untersuchten Indikatoren sind in ihrer Zielerreichung stabil realistisch – sieben stehen auf der Kippe, fünf sind unrealistisch. Mögliche Auswirkungen des Krieges in der Ukraine auf die Energieversorgung in Deutschland sind dabei noch nicht berücksichtigt.
„Um den Wegfall von Stromkapazitäten durch den bislang geplanten Ausstieg aus Kohle- und Atomkraft zu kompensieren und weiterhin Versorgungssicherheit zu gewährleisten, wird zudem der Bau von zwei bis drei neuen, flexibel einsetzbaren Kraftwerken pro Jahr nötig sein“, sagt McKinsey Senior Partner Thomas Vahlenkamp. Hierfür kämen vor allem Gas- bzw. mittelfristig Wasserstoffkraftwerke in Betracht; ein Teil der Kapazität könnte allerdings auch durch den Neubau von Biomassekraftwerken gedeckt werden, so Vahlenkamp.
Die konsequente Umsetzung der neuen Klimaziele erhöht den Analysten zufolge auch den Strombedarf in den Wirtschaftssektoren. Die Bundesregierung hatte zuletzt ihre Strombedarfsprognose für 2030 von 520 TWh auf 715 TWh nach oben korrigiert. Verkehr, Wärme und Industrie sind McKinsey zufolge die Industriesektoren mit dem größten zusätzlichen Strombedarf in diesem Jahrzehnt. Bis 2030 strebt die Bundesregierung 15 Mio. vollelektrische Pkw an. Damit kommt der Sektor auf einen zusätzlichen Strombedarf von über 40 TWh (plus 7 Prozent gegenüber 2021).
Verkauf von Wärmepumpen müsste auf eine halbe Million ansteigen
Die Hälfte des Wärmebedarfs soll nach den Plänen der Bundesregierung bis 2030 mit erneuerbaren Energien gedeckt werden. Hier sieht McKinsey noch großen Handlungsbedarf. So lag der Anteil Erneuerbarer in diesem Segment im Jahr 2020 bei knapp 15,6 Prozent. Um die Lücke zu den geplanten 50 Prozent zu schließen, müssten mehr Gebäude saniert und mit Wärmepumpen ausgestattet werden. Der Absatz von 154.000 Stück im Jahr 2021, wie ihn der Bundesverband Wärmepumpe meldet, reiche bei Weitem nicht aus. McKinsey zufolge müsste der Verkauf auf jährlich fast eine halbe Million ansteigen, wenn das Ziel des Bundeswirtschaftsministeriums von 4,1 bis 6 Mio. Wärmepumpen in 2030 erreicht werden soll. Der zusätzliche Strombedarf, der hierdurch entsteht, läge nach ersten Schätzungen bei über 20 TWh (plus 4 Prozent gegenüber 2021).
Die Auswirkungen auf den Stromverbrauch in den energieintensiven Industrien halten die Analysten für relativ schwer abzuschätzen – hauptsächlich auf Grund ihrer heterogenen Struktur und unterschiedlicher Dekarbonisierungspfade in den einzelnen Branchen. Tatsächlich könnte die Dynamik des Sektors und der damit verbundene Strombedarf noch deutlich größer ausfallen als aktuell angenommen, heißt es. So gehe der Verband der Chemischen Industrie davon aus, dass der Verbrauch seiner Mitglieder um das 11-fache von aktuell 54 TWh auf über 600 TWh in 2050 steigen werde. Allein die chemische Industrie könnte dann mehr Strom verbrauchen als Deutschland gegenwärtig insgesamt.
Solarausbauziel ambitioniert, aber umsetzbar
Aktuell sind Solaranlagen mit einer Gesamtkapazität von rund 59 GW in Deutschland installiert. Die neue Bundesregierung strebt nun eine Vervierfachung auf 200 GW bis 2030 an. Um dieses Ziel zu erreichen, wäre ein Ausbau der Solarkapazität von über 15 GW pro Jahr nötig. In den vergangenen zehn Jahren waren es im Durchschnitt etwa 4 GW. Das Gesamtpotenzial für häusliche Solaranlagen in Deutschland wird auf ungefähr 240 GW geschätzt. Prinzipiell umsetzbar wäre das ambitionierte Solarausbauziel demnach schon, meinen die McKinsey-Analysten, jedoch nur, wenn das Solarpotenzial der Privathäuser wesentlich stärker als bisher ausgeschöpft werde und zugleich auch bislang ungenutzte Gewerbe- und Freiflächen einbezogen würden.