Verpflichtende Bürgerbeteiligung an Windparks im Grundsatz zulässig


Den am Donnerstag veröffentlichten Beschluss (Az. 1 BvR 1187/17 v. 23. März 2022) begründen die Verfassungsrichter mit wichtigen Gemeinwohlzielen wie dem Klimaschutz und der Sicherung der Stromversorgung. Diese seien hinreichend gewichtig, um den mit der Beteiligungspflicht verbundenen schwerwiegenden Eingriff in die Berufsfreiheit der Betreiber von Windenergieanlagen aus Art. 12 Abs. 1 GG rechtfertigen zu können.


Das Gesetz über die Beteiligung von Bürgern und Gemeinden an Windparks in Mecklenburg-Vorpommern (Bürger- und Gemeindenbeteiligungsgesetz – BüGembeteilG) verpflichtet die Betreiber von Windenergieanlagen, Windparks nur durch eine eigens dafür zu gründende Projektgesellschaft zu betreiben und Anwohner sowie standortnahe Gemeinden durch den Erwerb von Gesellschaftsanteilen oder stattdessen durch den Erwerb von Sparprodukten durch die Anwohner und die Zahlung einer Abgabe an die Gemeinde mit insgesamt mindestens 20 Prozent an deren Ertrag zu beteiligen. Die Regelung kommt allen im Umkreis von fünf Kilometern zugute. Dadurch soll die Akzeptanz für neue Windenergieanlagen verbessert und so der weitere Ausbau der Windenergie an Land gefördert werden.


Gegen diese bundesweit bislang einmalige Regelung in Mecklenburg-Vorpommern hatte ein Windenergie-Unternehmen geklagt. Das Unternehmen hatte sich unter anderem in seiner Berufsfreiheit verletzt gesehen. Auch die Verfassungsrichter sprechen von einem „schwerwiegenden Eingriff“ – den sie aber für gerechtfertigt halten. Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) forderte, die Bundesregierung müsse „jetzt sehr schnell endlich bundesweit diese Pflicht zur Beteiligung der Menschen vor Ort einführen“.


Unmittelbarer Zweck der Pflichten sei die Förderung des Ausbaus der erneuerbaren Energien, teilte der Erste Senat unter Gerichtspräsident Stephan Harbarth mit. „Damit dient das Gesetz – wie jede Förderung des Ausbaus erneuerbarer Energien – den legitimen Gemeinwohlzielen des Klimaschutzes (…), des Schutzes der Grundrechte vor den nachteiligen Folgen des Klimawandels und der Sicherung der Stromversorgung.“ Wegen des Atomausstiegs bestehe hier erhöhter Bedarf. Außerdem könne Deutschland unabhängiger von Importen werden.


„Teilhabe erstmals hoheitlich auch dort gesichert, wo sie eigeninitiativ nicht zustande kommt“


Gleichzeitig gebe es beim Ausbau der Windenergie offenkundig „Akzeptanzprobleme“, hieß es weiter. Durch kommunale und bürgerschaftliche Teilhabe könnten diese verringert werden. In Mecklenburg-Vorpommern sei diese Teilhabe „erstmals hoheitlich“ auch dort gesichert, „wo sie eigeninitiativ nicht zustande kommt“.


Die Bundesverfassungsrichter halten das nicht nur für grundgesetzkonform – sondern auch für nachahmenswert. „Das Gesetz kann daher als Modell für vergleichbare Regelungen zur Sicherung einer akzeptanzsteigernden bürgerschaftlichen und kommunalen Beteiligung am Ausbau der Windenergie dienen.“ Auch mit Blick auf die Stromversorgung wird an anderer Stelle der „Pilotcharakter der Maßnahme“ erwähnt.


Beanstandet wird nur ein Detail des Gesetzes. Es verpflichtet die Projektträger, den Kommunen unverzüglich nach Erhalt der Genehmigung umfassende Informationen über das Vorhaben und die wirtschaftlichen Rahmendaten zur Verfügung zu stellen. Diesen Aufwand halten die Richter zumindest dann für unverhältnismäßig, wenn sich die Gemeinden ohnehin nicht für Anteile, sondern für die jährliche Abgabe entscheiden.


Kommt verpflichtende Regelung auf Bundesebene?


Schwesig sagte, nun sei die Sorge widerlegt, dass eine verpflichtende Regelung im Bund gegen das Grundgesetz verstoßen könnte. „Unser Land hat mit dem Gesetz zur Beteiligung Neuland beschritten“, teilte sie mit. „Es ist wichtig, dass diese Regelung jetzt rasch bundesweit umgesetzt wird.“ Auch der Schweriner Wirtschafts- und Energieminister Reinhard Meyer (SPD) sagte, einer verpflichtenden Bundesregelung stünden nun keine juristischen Zweifel mehr im Weg.


Auf Bundesebene können Windpark-Betreiber die betroffenen Kommunen seit 2021 auf freiwilliger Basis finanziell beteiligen. Anteile für die Anwohner sind nicht vorgesehen. Die einzelnen Bundesländer können aber weitergehende Regelungen erlassen. In Brandenburg sind Projektträger etwa verpflichtet, Gemeinden in einem Drei-Kilometer-Radius jährlich 10.000 Euro zu zahlen. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte kürzlich ein umfassendes Maßnahmenpaket zum Ökostrom-Ausbau vorgestellt. Darin ist vorgesehen, dass die finanzielle Beteiligung der Kommunen „maßvoll überarbeitet“ und weiterentwickelt wird.