Private Erschließung aus haushaltsrechtlicher und kommunalaufsichtlicher Sicht (Oster, 2002)

Private Erschließung aus haushaltsrechtlicher und kommunalaufsichtlicher Sicht (Oster, 2002)

von Rudolf Oster,
Ministerialdirigent, Leiter der Kommunalabteilung im Ministerium des Innern und für Sport Rheinland-Pfalz

(1) Der Beitrag ist in der Verbandszeitschrift "Gemeinde und Stadt", Ausgabe April 2002, erschienen.


1. Einführung

Bauland-Notstand und kein Ende – dieses Bild kennzeichnet in vielen Gemeinden die politische Diskussion um die Wohnungsbaupolitik:

Gestiegene Realeinkommen breiter Bevölkerungsschichten,
die Haushaltsgründungen der geburtsstarken Jahrgänge,
der anhaltende Trend zu Ein-Personen-Haushalten und
ein unerwartet starker Zustrom von Menschen in das Bundesgebiet

haben zu einem kräftigen Anstieg der Wohnungsnachfrage geführt.

Nicht nur die gestiegene Nachfrage, sondern auch die zunehmende Komplizierung und die damit verbundene Verlangsamung von administrativen Handlungsabläufen führen dazu, dass die Beschaffung von Baurecht und Bauland für Investoren und Bauherrn schwieriger und teurer geworden ist.

Hoheitliche Eingriffe in den Grundstücksverkehr, wie z. B. die Ausweitung der gemeindlichen Vorkaufsrechte, sind weitgehend wirkungslos geblieben oder haben das Gegenteil von dem bewirkt, was sie eigentlich bezwecken wollten.

Einseitige gemeindliche Planungshoheit und staatliche “Baupolizei” entsprechen nicht mehr dem Modell des demokratischen Verfassungsstaates, der von der Mitwirkung des “mündigen Bürgers” an Verwaltungsentscheidungen ausgeht. Auch im Bau- und Planungsbereich werden deshalb “obrigkeitsstaatliche” Maßnahmen zunehmend von kooperativen Formen des Verwaltungshandelns abgelöst: Demzufolge gewinnt das Verwaltungshandeln durch Verträge und Absprachen gegenüber hoheitlichen Formen des Handelns immer mehr an Bedeutung.

Formen kooperativen Handelns sind im Rahmen der Baulanderschließung, insbesondere bei größeren Siedlungsprojekten, gang und gäbe .


2. Verträge im Baurecht

Die Ausweisung und Erschließung von Bauland ist grundsätzlich Aufgabe der Gemeinde.
Das ist mit hohen Kosten verbunden.

Die Gemeinde kann sich durch den Abschluss von Verträgen von Kosten entlasten. § 11 Abs. 1 Satz 1 BauGB bestimmt lapidar, dass die Gemeinde städtebauliche Verträge schließen kann.

Damit ist positiv-rechtlich die Rechtsfigur des städtebaulichen Vertrages anerkannt und dem Gedanken der “public-private-partnership” im Städtebaurecht durch eine positive Regelung Rechnung getragen. Es handelt sich insoweit um eine Klarstellung.

Auch ohne explizite gesetzliche Regelung wären städtebauliche Verträge grundsätzlich zulässig.

Auf die in § 11 BauGB normierten städtebaulichen Verträge, nämlich

den Bauplanungsvertrag und den Baureifmachungsvertrag nach § 11 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BauGB,
den Baurealisierungsvertrag nach § 11 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BauGB,
die Folgelastenverträge nach § 11 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 BauGB,
den nicht typisierten städtebaulichen Vertrag nach § 11 Abs. 4 BauGB und
- den Durchführungsvertrag zum Vorhaben – und Erschließungsplan nach § 12 BauGB

kann ich – obwohl das sehr reizvoll wäre – nicht näher eingehen, weil das meinem Auftrag widersprechen und den mir zur Verfügung stehenden zeitlichen Rahmen sprengen würde.


3. Der Erschließungsvertrag

3.1 Bedeutung und Motive

Auftragsgemäß will ich mich nur dem Erschließungsvertrag befassen.

Die Bedeutung des in § 124 BauGB normierten Erschließungsvertrages hat sich in den letzten Jahren deutlich gewandelt.

Hat er noch vor wenigen Jahren seine Bedeutung vor allem dort, wo rasch Bauland oder viel Bauland erschlossen werden sollte, so steht heute eindeutig die finanzielle Entlastung der jeweiligen Stadt oder Gemeinde im Vordergrund. Sind die Gemeinden finanziell und manches Mal personell überfordert, so stellt die mit dem Erschließungsantrag mögliche “Privatisierung” der Erschließungsdurchführung, Finanzierung und Abrechnung eine Möglichkeit der zulässigen Aufgabenverlagerung dar.

Für die Gemeinde ergibt sich einmal der Vorteil, dass auf diese Weise die Vorausfinanzierung der meist nicht unerheblichen Erschließungskosten, die erst mit einer zeitlichen Verzögerung wieder durch den Erlass von Beitragsbescheiden teilweise geltend gemacht werden können, und damit die Bindung von Haushaltsmitteln vermieden werden kann und zum anderen ergibt sich der Vorteil, das sich die Gemeinde am Erschließungsaufwand nicht beteiligen muss. Denn die früher streitige Frage, ob die Gemeinde sich auch bei Erschließungsverträgen an dem Erschließungsaufwand mit 10 % beteiligen muss, wie dies § 129 Abs. 1 BauGB vorschreibt, ist inzwischen klar beantwortet: § 124 Abs. 2 Satz 3
BauGB schreibt ausdrücklich vor, dass der Zwang zur Beteiligung nicht gilt.

Maßgebend für diese Entscheidung des Gesetzgebers war die Erfahrung, dass die bezeichnete gemeindliche Kostenlast angesichts der angespannten Haushaltslage vieler Kommunen oft zur Verzögerung städtebaulich erwünschter Erschließungen führte oder gar dazu, dass diese Erschließungen vollständig unterblieben.

Das heißt:

Motivation für den Abschluss eines Erschließungsvertrages durch Erschließungsträger als gemeindliche Vertragspartner und die damit verbundene Übernahme kostenträchtiger Leistungen ist stets und ausnahmslos, dass damit als Ziel die bauplanungsrechtlich zulässige Realisierbarkeit bestimmter baulicher Nutzungen erreicht werden kann.

Die gemeindliche Motivation zum Abschluss eines solchen Vertrages ist in der durch die zu realisierende Baumaßnahme erreichbaren Erfüllung städtebaulicher Aufgaben und damit gleichzeitig, wenn nicht gar vorrangig, möglichen Kostenentlastung des kommunalen Haushalts zu sehen. Dies kann dadurch geschehen, dass der Vertragspartner bestimmte Kosten trägt, die sonst die Gemeinde zu tragen hat oder durch eigenen Personaleinsatz die Gemeinde insoweit finanziell entlastet.

Denn nach § 124 Abs. 2 Satz 1 BauGB ist der Erschließungsvertrag für alle denkbaren Erschließungsanlagen zulässig; auf die Beitragsfähigkeit kommt es ausdrücklich nach diesen gesetzlichen Regelungen nicht an.


3.2 Inhalt

Die Erschließung ist von entscheidender Bedeutung für die Entwicklung der Gemeinden. Sie ermöglicht erst die bauliche Nutzung der Grundstücke.

Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist die Erschließung Aufgabe der Gemeinde. Sie kann jedoch nach § 124 Abs. 1 BauGB die Erschließung auch sicherstellen, in dem sie sie durch Vertrag einem Dritten überträgt. Die Gemeinde überträgt dann die Erschließung einem Erschließungsträger im eigenen Namen und auf eigene Rechnung. Der Erschließungsträger ist Grundstückseigentümer oder hat mit diesen unmittelbare vertragliche Beziehungen. Ist die Erschließung abgeschlossen und damit der Erschließungsvertrag erfüllt, erfolgt keine Beitragsabrechnung.

Die Erschließungskosten werden vom Erschließungsträger über die Kaufpreise von den Grundstückserwerbern finanziert.

Den Gemeinden werden die fertiggestellten, abgenommenen Erschließungsanlagen übereignet.

Demzufolge kann die Gemeinde einen Erschließungsträger aus einem Erschließungsvertrag, wenn er erst einmal abgeschlossen ist, auch nicht ohne weiteres entlassen und stattdessen selbst die Erschließungsanlagen herstellen und dafür Beiträge erheben. Dies ist natürlich dann etwas anderes, wenn der Erschließungsträger leistungsunfähig wird.


3.3 “Echte” und “unechte” Erschließungsverträge

Bei den Erschließungsverträgen wird zwischen “echten” und “unechten” Verträgen unterschieden.

3.3.1
Die sog. unechten Erschließungsverträge sind im Rahmen der Fremdanliegerproblematik vor folgendem Hintergrund entwickelt worden:

Durch eine vom Erschließungsunternehmer hergestellte beitragsfähige Erschließungsanlage werden auch die Grundstücke der Fremdanlieger erschlossen; sie werden baureif und erfahren dadurch eine erhebliche Wertsteigerung!

Für den Fall, dass der Unternehmer den auf diese Grundstücke entfallenden Anteil am beitragsfähigen Erschließungsaufwand nicht übernehmen will, muss er versuchen, durch den vorherigen Abschluss privatrechtlicher Verträge entsprechende Zahlungsforderungen gegen den Fremdanlieger zu begründen. Gelingt ihm das, so hat es dabei sein Bewenden.

Gelingt ihm das nicht, hat er gegen den Fremdanlieger einen Anspruch auf einen anteiligen Ersatz der Erschließungskosten weder aus GoA (§§ 677 ff. BGB) noch aus ungerechtfertigter Bereicherung (§§ 812 ff. BGB).

Die Gemeinde ihrerseits ist grundsätzlich mangels eigener Aufwendungen nicht in der Lage, die Fremdanlieger zu Erschließungsbeiträgen heranzuziehen.

Nach der Rechtsprechung des BVerwG (NVwZ 1996, S. 795) ist dieser Konflikt so zu lösen, dass sich die Gemeinde in diesen Fällen aber im Interesse einer vorteilsangemessenen Kostenbeteiligung eines Fremdanliegers in dem Erschließungsvertrag verpflichten darf, dem Erschließungsunternehmer die beitragsfähigen Aufwendungen zu erstatten, in dem sie dann ihrerseits Erschließungsbeiträge von dem Fremdanlieger erhebt. Erschließungsbeiträge kann sie allerdings nur in Höhe von 90 % der Aufwendungen erheben.

Anders ausgedrückt:

Im Gegensatz zu einem “echten” Erschließungsvertrag, bei dem der Erschließungsträger die komplette Erschließung eines Gebietes im eigenen Namen und auf eigene Rechnung auf seinen eigenen Flächen durchführt und der Gemeinde die fertiggestellten Anlagen einschließlich der Flächen kostenlos überträgt, übernimmt der Unternehmer bei einem “unechten” Erschließungsvertrag lediglich die technische Herstellung, die Vorfinanzierung und die anfallenden Zinskosten. Alle entstehenden Kosten wird sich der Unternehmer von den Eigentümern oder der Gemeinde erstatten lassen und dies vorher vertraglich absichern.

Die unechten Erschließungsverträge werden daher gelegentlich auch als Vorfinanzierungsverträge bezeichnet.

Doch auch in diesem Fall muss die Gemeinde für die Grundstücke der Fremdanlieger nicht unbedingt den 10%-igen Gemeindeanteil letztlich finanzieren: Die Gemeinde kann vielmehr den gemeindlichen Eigenanteil auf den Unternehmer vertraglich abwälzen. Die Vertragskonstruktion entspricht in der Regel einer Kombination von Vorfinanzierungsvertrag und Ablösevertrag gemäß § 133 Abs. 3 Satz 5 BauGB.

Solche "unechten" Erschließungsverträge sind in der Regel kreditähnliche Rechtsgeschäfte, die nach § 103 Abs. 6 GemO der aufsichtsbehördlichen Genehmigung bedürfen.

Der unechte Erschließungsvertrag oder Vorfinanzierungsvertrag ist kein Erschließungsvertrag im Sinne des § 124 BauGB, er ist gesetzlich nicht geregelt, wird von der Rechtsprechung jedoch als eine mögliche Vertragsgestaltung anerkannt.

Die gegen die vorgetragene Lösung von Driehaus in der 6. Auflage des in der NJW-Schriftenreihe erschienenen Buches "Erschließungs- und Ausbaubeiträge" geäußerten Bedenken können nicht überzeugen. Im Übrigen gehört Driehaus dem 8. Senat des BVerwG nicht (mehr) an, so dass er auf die Rechtsprechung des für das Erschließungsbeitragsrecht zuständigen Senats kaum noch Einfluss ausüben dürfte.

3.3.2
Der echte Erschließungsvertrag begegnet aus haushaltsrechtlicher und kommunalaufsichtlicher Sicht keinen Bedenken.

Im Gegenteil: Die Gemeinde wird von dem 10%-igen Trägeranteil und anderen Kosten entlastet. Die Gemeine wird nicht unmittelbar verpflichtet. Sie muss nur den Vertrag aushandeln und abschließen. Der Haushalt wird entlastet! Die Verwaltung wird entlastet! Genehmigungsvorbehalte bestehen nicht.


3.4 Förderung aus dem Investitionsstock?

Anders als in früheren Jahren werden vom ISM gemeindliche Erschließungsmaßnahmen nicht (mehr) gefördert. Anträge auf Zuweisungen aus dem Investitionsstock werden abgelehnt. In der Ablehnung wird auf die Möglichkeit des Abschlusses eines Erschließungsvertrages gemäß § 124 BauGB verwiesen. Der Einwand mancher mit der Ablehnung unzufriedener Gemeinden, der Abschluss eines Erschließungsvertrages komme deshalb nicht zustande, weil der Gemeinde bzw. dem Erschließungsträger nicht alle Grundstücke gehörten und die Fremdanlieger ihre Mitwirkung verweigerten, bleibt unberücksichtigt, weil die Rechtsprechung mit dem sog. unechten Erschließungsvertrag ein geeignetes Instrument entwickelt hat, um die Fremdanliegerproblematik zu lösen.


4. Treuhandvertrag

Der Erschließungsvertrag ist von dem Treuhandvertrag abzugrenzen.

Treuhandverträge liegen vor, wenn die Gemeinde die Erschließung

in ihrem Namen und auf ihre Rechnung einem Treuhänder oder
in ihrem Namen auf Rechnung des Treuhänders oder
im Namen und auf Rechnung des Treuhänders – dann aber mit Gewährleistungsverpflichtung der Gemeinde – überträgt.

Solche Verträge sind gemäß § 103 Abs. 6 GemO bzw. § 104 Abs. 2 GemO genehmigungspflichtig. Denn die Gemeinde wird in vollem Umfang verpflichtet.

Beim Abschluss bzw. bei der Änderung solcher Verträge sind die Bestimmungen des kommunalen Haushaltsrechts zu beachten.

Die Übertragung der Erschließung und Veräußerung von Grundbesitz auf eine Gesellschaft darf nur so erfolgen, dass die haushalts- und kassenrechtlichen Bestimmungen stets beachtet werden können:

Die Einnahmen und Ausgaben der kommunalen Gebietskörperschaft sind auch bezüglich dieser Erschließung in voller Höhe und getrennt voneinander im Haushaltsplan zu veranschlagen (§ 7 Abs. 2 GemHVO).

Kreditaufnahmen zu Lasten der Gemeinde sind in die Haushaltssatzung aufzunehmen und bedürfen der Genehmigung der Aufsichtsbehörde (§ 103 Abs. 2 GemO).

Der Haushaltsplan ist unter der Verantwortung des Bürgermeisters nach den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit auszuführen (§ 93 GemO).

Alle Einnahmen und Ausgaben sind grundsätzlich über die Gemeindekasse abzuwickeln und rechnungsmäßig nachzuweisen. Sie unterliegen der Prüfung durch den Gemeinderat bzw. Stadtrat und sind in die Beschlussfassung über die Entlastung einzubeziehen (§§ 110 und 114 GemO).

Vertragsentwürfe mit Gesellschaften, die mit diesen Vorschriften und Hinweisen nicht in Einklang stehen, werden von der Aufsichtsbehörde gemäß § 121 GemO beanstandet.