Wasserbeitrag: Höchstgeschossflächenzahlen müssen auf ortstypischen Tatsachen beruhen


Die satzungsrechtliche Festlegung von Höchstgeschossflächenzahlen dient dazu, die baurechtlich zulässige Ausnutzbarkeit von Grundstücken im unbeplanten Innenbereich zu bestimmen. In dem behandelten Fall begann die beklagte Stadt Ulrichstein  im Jahr 2002 mit Erneuerungs- und Erweiterungsarbeiten an ihrer Wasserversorgungsanlage, wobei es sich dem VGH zufolge um die Erneuerung eines Teils des Leitungsbestandes als auch um erforderliche Höherdimensionierungen von Rohrleitungen handelte. Im Rahmen der Maßnahme wurden bei einer Gesamtlänge von insgesamt 48,3 Kilometer rund 4,8 Kilometer des Wasserleitungsnetzes erneuert. Zusätzlich errichtete die Gemeinde eine Fernwirkanlage, eine zentrale Anlage, über die der Wassermeister direkt auf Hochbehälter, Pumpstationen und Druckminderungseinrichtungen zurückgreifen kann, wodurch er unmittelbar einen Überblick über das Leitungsnetz und eventuelle Wasserverluste durch Rohrbrüche erhält. Aufgrund einer von einem externen Büro erstellten „Schaffungs- und Ergänzungsbeitragssatzkalkulation“ legte die Stadt in ihrer Wasserversorgungssatzung - WVS - vom 24. November 2008 einen Schaffensbeitragssatz von 1,45 Euro pro Quadratmeter Grundstücksfläche und Quadratmeter Geschossfläche sowie einen Ergänzungsbeitragssatz von 0,42 Euro pro Quadratmeter Grundstücksfläche und Quadratmeter Geschossfläche fest.

Die Stadt zog den klagenden Grundstückseigentümer mit Bescheid vom 9. Oktober 2009 zu einer Vorausleistung in Höhe von 25 Prozent auf den zu erwartenden Ergänzungsbeitrag heran. Sie legte ihrer Berechnung eine Grundstücksfläche von 9.250 Quadratmetern zu Grunde. Zusätzlich errechnete sie nach der Wasserversorgungssatzung (WVS) aufgrund einer Geschossflächenzahl von 0,8 eine Geschossfläche von 7.400 Quadratmetern. Auf diese Weise gelangte sie zu einem Ergänzungsbeitrag in Höhe von 7.482,51 Euro, von dem sie einen Anteil von 25 Prozent, d.h. einen Betrag von 1.870,63 Euro, gegenüber dem Eigentümer als Vorausleistung festsetzte.

Auf die Klage des Eigentümers hin hob hat das Verwaltungsgericht Gießen den Bescheid teilweise auf (Az.: 2 K 85/11.GI vom 19.09.2013). Gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts legten sowohl die Stadt als auch der Eigentümer Urteils Berufung ein.

Nach Auffassung des VGH Hessen ist der Bescheid der Stadt, mit dem der Eigentümer zu einer Vorausleistung auf einen Ergänzungsbeitrag für die Erneuerung der Wasserversorgungsanlage herangezogen werden sollte, entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts insgesamt rechtswidrig. Der Bescheid verfüge nicht über eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage in der Wasserversorgungssatzung der Stadt, heißt es in dem Urteil.

Die Regelungen zur Bestimmung der Geschossfläche orientierten sich an der in der Vergangenheit in den kommunalen Beitragssatzungen üblichen Verweisung auf die Höchstgeschossflächenzahlen, die in der Baunutzungsverordnung (BauNVO) in der Fassung aus dem Jahr 1977 baugebiets- und geschossflächenzahlenbezogen ausgewiesen waren. Eine derartige, rechtlich grundsätzlich zulässige satzungsrechtliche Vermutungsregelung für die zulässige bauliche Nutzung im unbeplanten Innenbereich kann dem VGH zufolge allerdings dem Gleichheitssatz des Grundgesetzes nur genügen, wenn sich die satzungsrechtlichen Vorgaben an den tatsächlichen Verhältnissen im Gemeindegebiet orientieren.

Entferne sich die Vermutungsregelung dagegen deutlich von der tatsächlich im Gemeindegebiet erreichbaren baulichen Ausnutzbarkeit, führe dies zu einer Ungleichbehandlung, die den Anforderungen der Abgabengerechtigkeit im Vergleich mit den beitragspflichtigen Grundstücken der beplanten Gebiete nicht genüge, heißt es weiter. Es sei daher unerlässlich, dass die Kommune, bevor sie die für die Ermittlung der zulässigen Geschossfläche maßgeblichen Geschossflächenzahlen in der Satzung festlegt, sorgfältig prüft, wie sich die bauliche Nutzung im unbeplanten Innenbereich gerade ihres Gebiets nach Art und Maß tatsächlich darstellt und welche Geschossflächenzahlen sich daraus generalisierend für das Gesamtgebiet oder gegebenenfalls für bestimmte Gebietsteile als zulässige Geschossflächenzahlen ableiten lassen. Für den Beleg der Tatsache, dass die in der WVS festgelegten Geschossflächenzahlen die zulässige bauliche Ausnutzbarkeit im unbeplanten Satzungsgebiet der Stadt im Wesentlichen widerspiegeln, also die Vermutung auf den tatsächlichen Verhältnissen im Satzungsgebiet beruht, trage die beklagte Stadt als die Körperschaft, die die Satzungsregelung erlassen hat, die Darlegungslast.

Der VGH äußert Zweifel an der Schlussfolgerung des Verwaltungsgerichts, es seien keine Anhaltspunkte erkennbar, dass die Stadt unbesehen auf diese Geschossflächenzahlen zurückgegriffen habe. So habe der Eigentümer eine Aufstellung von Grundstücken und deren tatsächlicher Geschossflächenzahl vorgelegt - Angaben für 55 Grundstücke im Berufungszulassungsverfahren und weitere im Berufungsverfahren -, die in fast sämtlichen Fällen die satzungsrechtlich zugrunde gelegte Geschossflächenzahl deutlich unterschritten. Damit seien zumindest begründete Zweifel daran geweckt, dass die in der WVS festgelegten Geschossflächenzahlen weitgehend die zulässige bauliche Ausnutzbarkeit in den unbeplanten Innenbereichsgebieten der Beklagten widerspiegeln.

Auch der Vortrag der Stadt, sowohl in der Kernstadt als auch in den Ortsteilen sei - wie in Vogelsbergdörfern üblich - weitgehend eine zweigeschossige Bebauung vorhanden, ist dem VGH zufolge nicht geeignet, die Übereinstimmung der Vermutungsregelung für den unbeplanten Innenbereich mit den tatsächlichen Verhältnissen darzulegen. Denn der Grad der baulichen Ausnutzbarkeit bestimme sich nicht allein nach der Zahl der vorhandenen Geschosse - wie etwa beim Vollgeschossmaßstab -, sondern nach dem Verhältnis der zulässigen Bebauung zur Grundstücksfläche. Da die Stadt deshalb die Wirksamkeit der Verteilungsregelung für den unbeplanten Innenbereich und damit letztlich auch der Beitragssatzregelung nicht habe darlegen können, fehle es für den Beitragsbescheid an einer wirksamen satzungsrechtlichen Grundlage, so dass die Klage dem VGH zufolge bereits aus diesem Grund Erfolg hat.