Die klagende GmbH führt Tiefbauarbeiten aus, u. a. errichtet sie Trinkwasseranschlüsse als Verbindungen vom öffentlichen Trinkwassernetz zum jeweiligen Gebäudebereich, heißt es in dem Urteil zum Sachverhalt. Zu den vertraglichen Beziehungen bei der Erbringung dieser Leistungen in den Streitjahren 2009 bis 2012 hatte das Finanzgericht (FG) Berlin-Brandenburg festgestellt, dass die Auftragsvergabe jeweils vom zuständigen Wasser- und Abwasserzweckverband an die Klägerin erfolgte, die Abrechnung jedoch direkt zwischen der Klägerin und dem jeweiligen Grundstückseigentümer stattfand. Die Rechnungslegung erfolgte getrennt: Für die Herstellung des Anschlusses von der Hauptversorgungsleitung bis zur Grundstücksgrenze gegenüber dem Wasser- und Abwasserzweckverband und von der Grundstücksgrenze bis ins Haus gegenüber dem Grundstückseigentümer oder Bauherrn. In keinem Fall war die Herstellung der Anschlüsse mit weiteren Bauleistungen verbunden.
Für die Herstellung der Trinkwasseranschlüsse erteilte die GmbH den Grundstückseigentümern bzw. den Bauherren in den Streitjahren Rechnungen unter Ausweis von Umsatzsteuer in Höhe von sieben Prozent, weil sie davon ausging, es handele sich bei diesen Leistungen um „Lieferungen von Wasser“ im Sinne des § 12 Abs. 2 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) i.V.m. Nr. 34 der Anlage 2 zum UStG (siehe Kasten).
Das beklagte Finanzamt vertrat demgegenüber in den Umsatzsteuer-Änderungsbescheiden für die Streitjahre im April 2014 die Auffassung, dass es sich um Leistungen handele, die dem Regelsteuersatz von 19 Prozent unterliegen, da es sich bei der klagenden GmbH um ein Bauunternehmen handele.
Die Einsprüche der GmbH, mit denen sie sich darauf berief, dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) und des Bundesfinanzhofs (BFH) die Errichtung eines Trinkwasseranschlusses als „Lieferung von Wasser“ dem ermäßigten Umsatzsteuersatz unterliege, wies das Finanzamt als unbegründet zurück. Nach dem Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 7. April 2009 und Abschn. 12.1 Abs. 1 Satz 3 des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses (UStAE) seien die Grundsätze der Rechtsprechung auf das Legen des Hausanschlusses durch ein Wasserversorgungsunternehmen beschränkt. Für die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes müsse die Erstellung des Hauswasseranschlusses und die Wasserbereitstellung durch ein und denselben Unternehmer erfolgen. Dies sei hier nicht der Fall.
Nachdem das Finanzgericht Berlin-Brandenburg der Klage der GmbH dagegen stattgegeben hatte, brachte das Finanzamt in der Revision vor dem Bundesfinanzhof u. a. vor, das Urteil des Finanzgerichts weiche von der Verwaltungsauffassung ab. Aus dem EuGH-Urteil Zweckverband zur Trinkwasserversorgung und Abwasserbeseitigung Torgau-Westelbien (C-442/05 vom 3.4.2008) folge lediglich, dass die Bundesrepublik Deutschland das Legen eines Hausanschlusses ermäßigt besteuern könne. Dem Mitgliedstaat Deutschland stehe insofern aber ein Ermessen zu. Eine inhaltliche Ausweitung der Steuerermäßigung auf das Legen eines Hauswasseranschlusses habe der deutsche Gesetzgeber nicht gewollt.
Die Finanzverwaltung teile die weiter gehende Auffassung des BFH nach dem Urteil vom 8. Oktober 2008 (Az.: V R 61/03; EUWID 49/2008), dem zufolge das Legen eines Hausanschlusses mit dem ermäßigten Steuersatz zu versteuern, nach wie vor nicht. Vielmehr sei der Anschluss nur dann ermäßigt zu besteuern, wenn er von einem Wasserversorgungsunternehmen als „Teilaspekt“ der gesamten Lieferung erbracht werde. Dies sei hier nicht der Fall.
Aus dem Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) zu dem Thema (Az.: VIII ZR 253/11 vom 18. April 2011; EUWID 23.2012) könne nichts anderes hergeleitet werden, da die Finanzverwaltung an diesem Verfahren nicht beteiligt gewesen und sich daher an die Entscheidung des BGH nicht gebunden fühle.
Der Bundesfinanzhof hat die Revision als unbegründet zurückgewiesen. Das Finanzgericht habe auf die hier erbrachten Leistungen der GmbH zu Recht den ermäßigten Steuersatz angewendet. Nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG ermäßige sich die Steuer auf sieben Prozent für die Lieferungen, die Einfuhr und den innergemeinschaftlichen Erwerb der in der Anlage 2 zum UStG bezeichneten Gegenstände, stellt der BFH fest.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) habe in seinem Urteil zum Zweckverband zur Trinkwasserversorgung und Abwasserbeseitigung Torgau-Westelbien entschieden, dass die Sechste Richtlinie zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern (Richtlinie 77/388/EWG) dahin auszulegen sei, dass unter den Begriff „Lieferungen von Wasser“ auch das Legen eines Hausanschlusses fällt, das in der Verlegung einer Leitung besteht, die ein Wasserverteilungsnetz mit der Wasseranlage eines Grundstücks verbindet. Da der Hausanschluss für die Wasserversorgung der Allgemeinheit unentbehrlich sei, weil ohne den Hausanschluss dem Eigentümer oder Bewohner des Grundstücks kein Wasser bereitgestellt werden könnte, falle er unter den Begriff „Lieferungen von Wasser“ im Anhang H Kategorie 2 der Richtlinie 77/388/EWG, der ein Verzeichnis der Gegenstände und Dienstleistungen, auf die ermäßigte Mehrwertsteuer-Sätze angewandt werden können, bietet.
Auf die Frage, ob es sich bei der Leistung um eine Lieferung eines Gegenstandes oder um eine sonstige Leistung, etwa eine Dienstleistung, handelt, kommt es nach Auffassung des Bundesfinanzhofs nicht an. Es sei unerheblich, ob der Leistungsempfänger der Verlegung des Hausanschlusses identisch mit dem Leistungsempfänger der Wasserlieferungen ist und nicht nur das erstmalige Legen eines Hausanschlusses, sondern auch Arbeiten zur Erneuerung oder zur Reduzierung von Wasseranschlüssen unter die Steuerermäßigung fallen.
Ebenso unerheblich sei es nach der Rechtsprechung des BGH, der sich der BFH anschließe, ob die Leistung von demselben Unternehmer erbracht wird, der das Wasser liefert. Davon ausgehend habe das Finanzgericht zu Recht angenommen, dass - entgegen der Auffassung der Finanzverwaltung - die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes nicht deshalb ausscheide, weil die GmbH kein Wasserversorgungsunternehmen ist.
Soweit das Finanzamt weiter ausführe, die Finanzverwaltung sei nach wie vor anderer Auffassung als die Rechtsprechung, reiche eine derartige Verwaltungsanweisung nicht aus, um den Anwendungsbereichs der Steuerermäßigung einzuschränken, heißt es in dem Urteil.