Sollte sich die Rechtsauffassung des VGH durchsetzen, könnte ein Trend zur Privatisierung der Wasserversorgung die Folge sein, so Geselle. Das sollte nicht zugelassen werden. Die Versorgung mit Wasser sei Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge, „ohne Wenn und Aber“, so der Oberbürgermeister. Bundesweit sei zu Recht der Trend zu beobachten, die Wasserversorgung in Bürgerhand zu halten oder zurückzubekommen. Deshalb poche die Stadt auf eine juristische Grundsatzentscheidung, führe das Verfahren aber nicht zum Nachteil der Kasseler Gebührenzahler.
Rechtsstreit soll nicht auf dem Rücken der Bürger austragen werden
Der Hessische Verwaltungsgerichtshof (VGH) hatte Mitte Dezember 2018 geurteilt, dass die Konzessionsabgabe „nicht zu den auf die Gebührenpflichtigen umlegungsfähigen Kosten“ zählen dürfe (Aktenzeichen: 5 A 1307/17 vom 11.12.2018) und die Gebühren damit rechtswidrig seien. Die schriftliche Begründung des Urteils liegt bislang nicht vor.
„Wir sind von unserer Position überzeugt, aber wir werden diesen Rechtsstreit finanziell nicht auf dem Rücken unserer Bürgerinnen und Bürger austragen.“ Deshalb würden die Abgabenbescheide auch für das Jahr 2019 weiterhin mit einem Vorläufigkeitsvermerk versehen, damit die Gebührenpflichtigen wie schon seit Juni 2017 keine Widersprüche einlegen müssen, um in jedem Fall ihre Rechte zu wahren. Damals hatte das Verwaltungsgericht Kassel in erster Instanz zu Ungunsten der Stadt Kassel entschieden (Aktenzeichen: 6 K 412/13.KS vom 27.03.2017). Sobald endgültige Rechtssicherheit bestehe, könnte eine etwaige Rückzahlung veranlasst werden, so der OB.
Gebühren ab 2020 vorläufig ohne Konzessionsabgabe kalkuliert
Zudem werde nun die kürzlich von der Stadtverordnetenversammlung beschlossene Kalkulation der Trinkwassergebühren ab Januar 2020 neu berechnet. In diesem Zuge würden die Gebühren vorläufig ohne Konzessionsabgabe kalkuliert, kündigte Geselle an.
Der Kasseler OB verweist darauf, dass das Verwaltungsgericht Düsseldorf in einem gleich gearteten Fall anders als der VGH Hessen entscheiden hat. Dabei hatten die Richter in ihrem rechtskräftigen Urteil zu Gunsten des Wasserversorgers entschieden und die Konzessionsabgabe in der Gebührenkalkulation ausdrücklich als zulässig erachtet (Aktenzeichen 5 K 15795/16; vom 27.02.2018; EUWID 23.2018)). Bei der Konzessionsabgabe handelt es sich laut VG Düsseldorf nicht deshalb um überflüssige oder übermäßige Mehrkosten, weil sie durch die Organisationsform der Wasserversorgung verursacht sind.
„Wir erwägen auch eine Verfassungsbeschwerde“
Die Stadt erwägt Geselle zufolge auch eine Verfassungsbeschwerde. Denn es sei nicht einleuchtend, warum Konzessionsabgaben ohne weiteres in ein privatrechtliches Wasserentgelt einbezogen werden könnten, dagegen aber im Rahmen einer öffentlich-rechtlichen Gebühr ausgeklammert werden müssten, sagte der OB. Dadurch würde die Wasserversorgung in öffentlich-rechtlicher Organisation in Hessen gegenüber privatrechtlichen Organisationsformen benachteiligt. Darin sehe die Stadt einen nicht hinnehmbaren Eingriff in die verfassungsmäßig geschützte kommunale Selbstverwaltungshoheit.
Geselle verweist dabei auf den Artikel 28 des Grundgesetzes zur kommunalen Selbstverwaltung, dem zufolge den Gemeinden das Recht gewährleistet sein muss, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Die Gewährleistung der Selbstverwaltung umfasst laut Grundgesetz auch die Grundlagen der finanziellen Eigenverantwortung
Bindung an europäisches Beihilferecht
Der Oberbürgermeister verwies zudem auf Bindungen ans europäische Beihilferecht. Die Stadt sei dazu verpflichtet, die Konzessionsabgabe auf die Einräumung der Wegenutzungsrechte wie auch bei anderen leitungsgebundenen Energieträgern wie Strom und Gas zu erheben. Eine kostenfreie Überlassung wäre nicht zulässig. Insbesondere würde eine unentgeltliche Wegenutzung eine beihilferechtlich verbotene Quersubventionierung darstellen, die andere Marktteilnehmer diskriminiert, die ihrerseits Konzessionsabgaben oder Sondernutzungsentgelte entrichten. „Einerseits verpflichtet uns das europäische Recht, die Konzessionsabgabe zu erheben, andererseits soll sie bei der Gebührenkalkulation nicht berücksichtigt werden. Das passt nicht zusammen. Die Stadt hat bei der Gebührenkalkulation alle ihr entstehenden Kosten einzuberechnen“, sagte Geselle aus. Ansonsten wäre die Refinanzierung der Wasserversorgung in kommunaler Hand wirtschaftlich nicht tragfähig.