BVerwG: Eigentümer an Gewässer kann gegen Schiffbarkeitserklärung klagen


Dass Fließgewässer nach § 4 Abs. 2 des Wasserhaushaltsgesetzes (WHG) nicht eigentumsfähig sind, ändere daran nichts. Die Regelung des Grundgesetzes, dass, wenn jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt wird, ihm der Rechtsweg offen steht, gebiete es auch unabhängig von etwaigen tatsächlichen Beeinträchtigungen der Gewässersohle, dass ihm die Klagebefugnis für eine gegen die Schiffbarkeitserklärung gerichtete Klage zuerkannt wird.


Die Klägerin, Eigentümerin mehrerer Grundstücke im Gewässer- und Uferbereich dieses Stichkanals,  wandte sich gegen die Zulassung der Schifffahrt auf einem vom Main abgehenden Stichkanal, heißt es in dem Urteil zum Sachverhalt. Sie betreibt dort ein Betonwerk mit angeschlossener Sand- und Kiesgewinnung. Den von ihr hergestellten Stichkanal nutzt sie unter anderem für Transporte mit Lastkähnen. Auf weiteren am Stichkanal gelegenen Grundstücken, die von einem Motor- und Segelboot Club genutzt werden, befinden sich Liegeplätze für Sportmotorboote. Das Bayerische Umwelt- und Gesundheitsministerium ließ 2011 die Schifffahrt auf dem Stichkanal per Bescheid, mit einer so genannten allgemeinen Schiffbarkeitserklärung, zu.


Verwaltungsgericht: Verletzung des Eigentumsrechts möglich


Das Verwaltungsgericht Bayreuth hob den Bescheid auf (Aktenzeichen: VG B 2 K 11.278 vom 16.05.2012). Eine Verletzung des Eigentumsrechts der Eigentümerin aus Art. 14 des Grundgesetzes erscheine möglich. Durch die Zulassung der Schifffahrt auf dem Stichkanal werde ihr unter anderem die Möglichkeit genommen, andere von dessen Nutzung auszuschließen. Die Zulassung der Schifffahrt stelle einen erheblichen Eingriff in das Eigentumsrecht der Klägerin dar, der wegen des relativ geringen Bedürfnisses an der Schiffbarkeit ohne Ausgleich für die ihr entstehenden Nachteile unverhältnismäßig sei.


VGH verweist auf Duldungspflicht


Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) hat diese Entscheidung geändert und die Klage als unzulässig abgewiesen (Aktenzeichen: VGH 8 BV 12.1575 vom 14.07.2015). Zur Begründung hieß es im Wesentlichen, die Klägerin habe keine Klagebefugnis, und die geltend gemachte Verletzung ihrer Eigentumsrechte durch die allgemeine Schiffbarkeitserklärung komme nicht in Betracht. Auch das öffentliche Wasserrecht bestimme mit dem § 4 Abs. 2 WHG, dass Wasser eines fließenden oberirdischen Gewässers nicht eigentumsfähig sei. Danach hätten die Gewässereigentümer die Benutzung durch Dritte zu dulden, soweit für die Benutzung eine behördliche Zulassung erteilt worden oder nicht erforderlich sei. Diese Duldungspflicht umfasse den durch eine Schiffbarkeitserklärung erweiterten Gemeingebrauch. Aufgrund dieser Inhalts- und Schrankenbestimmungen für das Eigentum im Sinne des Grundgesetzes berühre die Widmung des Stichkanals für Zwecke der Schiff- und Floßfahrt die Eigentümerstellung der Klägerin nicht. Eine Rechtsstellung, die bereits der Gesetzgeber nicht gewährt oder entzogen habe, könne nicht erneut durch Verwaltungsakt beseitigt werden, so der VGH.


BVerwG sieht Bundesrecht verletzt


Dieser Auffassung hat das Bundesverwaltungsgericht widersprochen. Die Annahme des BayVGH, Art. 28 Abs. 1 Satz 2 BayWG, dem zufolge das Staatsministerium bestimmt, welche Gewässer schiffbar sind, komme keine drittschützende Wirkung zugunsten des Gewässereigentümers zu, so dass der Klägerin die Klagebefugnis zur Anfechtung der allgemeinen Schiffbarkeitserklärung fehle, verletze Bundesrecht. Die Auffassung des VGH stehe im Widerspruch zum grundrechtlichen Schutz des Eigentums und der Garantie effektiven Rechtsschutzes aus dem GG; sie beruht dem BVerwG auf einem unzutreffenden Verständnis der bundesrechtlichen Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums in § 4 Abs. 2 WHG sowie in § 903 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB).


Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts sei die Klage danach zulässig. Ob sie begründet ist, könne der Senat wegen des Fehlens hinreichender tatsächlicher Feststellungen nicht entscheiden. Deshalb sei das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen.


Das BVerwG stellt fest, dass im Bayerischen Wassergesetz lediglich die Aufhebung der Schiffbarkeitserklärung geregelt sei; danach könne die Landesregierung aus Gründen des Wohls der Allgemeinheit oder wenn das Gewässer seine Bedeutung für die Schiff- und Floßfahrt verloren hat, die Zulassung aufheben. Zu Unrecht nehme der VGH an, die Klägerin könne durch die Schiffbarkeitserklärung nicht in eigenen Eigentumsrechten verletzt sein, weil die Rechtsstellung des Grundstückseigentümers nach § 4 Abs. 2 WHG dort ende, wo das Grundstück auf oberirdisches Wasser stoße.


Nach § 4 Abs. 2 WHG sind Wasser eines fließenden oberirdischen Gewässers und Grundwasser nicht eigentumsfähig. Die Regelung im WHG sei, wie bereits die Überschrift von § 4 WHG „Gewässereigentum, Schranken des Grundeigentums“ deutlich mache, eine Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums im Sinne des Grundgesetzes. Der Bundesgesetzgeber habe § 4 WHG auf seine konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit für das bürgerliche Recht aus dem GG gestützt. Das entzieht dem Bundesverwaltungsgericht zufolge dem Einwand die Grundlage, dass sich die Verneinung der Eigentumsfähigkeit der Fließgewässer im WHG auf die Nutzung in wasserwirtschaftlicher Hinsicht beschränke, nicht aber die Nutzung als Verkehrsweg erfasse. Gegen eine solche Differenzierung spreche überdies, dass das Wasserhaushaltsgesetz dem Gewässereigentümer Unterhaltungslasten auch zur Erhaltung der Schiffbarkeit schiffbarer Gewässer auferlegt.

Falsch sei auch die Auffassung des VGH zur Reichweite von § 4 Abs. 2 WHG. Diese Regelung schließt nur Eigentum an Fließgewässern aus; das Eigentum am Gewässergrundstück und die aus ihm folgenden Abwehrrechte gegen eine Inanspruchnahme des Gewässerbetts und des Raums über dem Gewässergrundstück bleiben unberührt, heißt es im Urteil des BVerwG.


Schifffahrt nimmt auch Gewässerbett in Anspruch


Die Schifffahrt nehme nicht nur die „fließende Welle“, sondern auch das Gewässerbett, in dem sich die fließende Welle bewegt, und - in einer die Interessen des Gewässereigentümers berührenden Höhe - den Luftraum über dem Gewässer in Anspruch, führt das BVerwG aus. Zudem kann das Befahren eines Fließgewässers insbesondere mit motorisierten Schiffen im Gewässerbett zu Sedimentverlagerungen führen. Schiffsbedingter Wellenschlag könne die Stabilität des Ufers beeinträchtigen, und der Gewässergrund werde auch zum Ankern in Anspruch genommen. Ein gesunkenes Schiff bleibe bis zu seiner Bergung auf dem Gewässergrund liegen, und schiffsbedingte Verunreinigungen der fließenden Welle könnten sich auf die Sohle und das Ufer des Gewässers auswirken, heißt es in dem Urteil weiter. Die Schiffbarkeit könne auch mit einer anderweitigen Benutzung des Luftraums über dem Gewässer, z.B. für den Bau einer Brücke, in Konflikt geraten. Ob derartige Gefahren und Konflikte im konkreten Fall tatsächlich zu erwarten sind, ist dem Bundesverwaltungsgericht zufolge für die Frage, ob der Eigentümer des Gewässergrundstücks die Unterlassung einer öffentlich nicht zugelassenen Schifffahrt verlangen kann, ohne Bedeutung.


Rechtsstellung des Gewässereigentümers berührt


Die Zulassung eines Gewässers zur Schifffahrt durch eine behördliche Schiffbarkeitserklärung berührt damit die Rechtsstellung des Gewässereigentümers, stellt das BVerwG fest. War er aufgrund seines Eigentums am Gewässergrundstück bislang berechtigt, Dritte von der Nutzung des Raumes über dem Gewässerbett für die Schifffahrt auszuschließen, verliert er diese Befugnis infolge einer Schiffbarkeitserklärung: Er müsse nun die Nutzung des Gewässers durch Dritte zu Schifffahrtszwecken dulden.


Die Schiffbarkeitserklärung ist darauf gerichtet, die Rechtsstellung des Gewässereigentümers unmittelbar zu beschränken. Der Gewässereigentümer sei dann nicht lediglich mittelbar betroffener Dritter. Belastet werde er nicht nur durch den Verlust seines privatrechtlichen Unterlassungsanspruchs, sondern auch durch die Verpflichtung, die Schiffbarkeit des Gewässers zu erhalten. Dass - wie das Berufungsgericht für das bayerische Landesrecht festgestellt hat - die Übertragung und Aufteilung der Unterhaltungslast möglich ist, ändere daran nichts. Solange eine solche Regelung nicht getroffen worden ist, obliege die Erhaltung der Schiffbarkeit kraft Bundesrechts allein dem Eigentümer des Gewässers.