Der Deutsche Bundestag hat sich heute in der ersten Lesung mit dem Gesetzentwurf befasst, den das Kabinett im Mai beschlossen hat (Drucksache 19/2439; EUWID 20.2018). Der Entwurf ist nun zur weiteren Beratung an den Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz sowie an den Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur überwiesen worden. DUH und DNR haben die vom Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz für die kommende Woche angesetzte Sachverständigenanhörung begrüßt. Ziel muss es sein, dass die Musterfeststellungsklage allen Umwelt-, Natur- und Verbraucherschutzverbänden zur Verfügung steht.
Der DNR und die DUH sehen den vorliegenden Entwurf in seiner jetzigen Form als „reine Placebo-Maßnahme“ an, da eine Vielzahl hoch qualifizierter Umwelt- und Naturschutzverbände nicht klageberechtigt wären und die Rechte der Verbraucher gegenüber rechtswidrig agierenden Konzernen nicht ausreichend gestärkt würden. Die Abgeordneten sollten sich für deutliche Korrekturen am vorliegenden Entwurf aussprechen.
Mit der Musterfeststellungsklage, deren Einführung im Koalitionsvertrag angekündigt worden ist, sollen Verbände stellvertretend für eine Gruppe von Betroffenen gegen Rechtsverstöße großer Konzerne, beispielsweise aus der Automobil-, Chemie- oder Agrarbranche, vorgehen können. So soll es möglich werden, sich gegen zu hohe Energiepreise, einen zu hohen Pestizidgehalt im Trinkwasser, Umweltgifte in Lebensmitteln oder das Überschreiten von Schadstoffwerten in Energiesparlampen oder Pkw zur Wehr setzen zu können, erläutern die Umweltverbände. Nach dem jetzigen Gesetzentwurf wären jedoch nach Einschätzung von DNR und DUH fast alle Umwelt- und Naturschutzverbände gar nicht klageberechtigt. Hinzu komme, dass nach der Feststellung einer Rechtswidrigkeit der Verbraucher weiterhin einzeln den Rechtsweg beschreiten müsse, um seine Ansprüche geltend zu machen.
Dem Entwurf der Bundesregierung zufolge können dann, wenn in einem Fall viele Verbraucherinnen und Verbraucher betroffen sind, bestimmte Verbände für sie künftig in einem Musterverfahren Grundsatzfragen gerichtlich verbindlich und gebündelt klären lassen. Das sei vor allem bei sogenannten Massengeschäften – wie der Wasser- und Energieversorgung – der Fall. Hier seien die Schäden im Einzelfall häufig relativ gering, und Verbraucher schreckten vielfach davor zurück, ihre Ansprüche einzuklagen.
Dem aktuellen Gesetzentwurf zufolge sollen nur beim Bundesamt für Justiz als „qualifizierte Einrichtungen“ gelistete Einrichtungen klageberechtigt sein. Sie müssen mindestens zehn Verbände oder mindestens 350 natürliche Personen als Mitglieder haben und mindestens vier Jahre als beim Bundesamt für Justiz als „qualifizierte Einrichtungen, die in Deutschland Unterlassungsklagen einreichen dürfen, gelistet sein. Die Einrichtungen dürfen des Weiteren Musterfeststellungsklagen nicht zum Zwecke der Gewinnerzielung erheben und nicht mehr als fünf Prozent ihres Budgets von Wirtschaftsunternehmern erhalten.
Zulässig ist eine Musterfeststellungsklage (MFK) dann, wenn der klagende Verband glaubhaft macht, dass mindestens zehn Verbraucher betroffen sind. Zudem müssen sich zwei Monate nach der öffentlichen Bekanntmachung der MFK mindestens 50 Verbraucher in einem vom Bundesamt für Justiz geführten Klageregister angemeldet haben.
DNR-Präsident Kai Niebert sagte, die Kriterien, die im jetzigen Entwurf zur Musterfeststellungsklage angelegt werden, seien völlig unangemessen. Das Instrument muss allen Umwelt- und Verbraucherschutzverbänden zur Verfügung stehen. Sascha Müller-Kraenner, der Bundesgeschäftsführer der DUH, sagte, besonders kleine Verbände verfügten über eine jahrelang aufgebaute Fachexpertise, so dass gerade sie sich schlagkräftig und fundiert im Rahmen einer Musterfeststellungsklage für die Rechte der Verbraucher stark machen könnten. „Um eine Musterfeststellungsklage durchführen zu können, sollte das Fachwissen ausschlaggebend sein, nicht eine willkürlich gewählte Mitgliederzahl oder Listung beim Bundesamt für Justiz.“
Das Argument, klageberechtige Verbände verfolgten ein kommerzielles Interesse an der Musterfeststellungsklage weisen DNR und DUH als haltlos zurück. Schließlich müssten die Verbraucher nach erfolgreicher Musterfeststellungsklage ihren Schadensersatz in einem weiteren Verfahren individuell einklagen, so dass der jeweilige Verband davon nicht profitiere.
Heute hat sich auch der Bundesrat in einer Stellungnahme zu dem Gesetzentwurf davor gewarnt, dass die bislang vorgesehenen Klagevoraussetzungen nicht zu einer Verengung des Anwendungsbereichs der Musterfeststellungsklage führen dürfen. Des Weiteren regt der Bundesrat die erstinstanzliche Zuständigkeit der Oberlandesgerichte und damit einen zweizügigen Rechtszug für eine effiziente Rechtsdurchsetzung an. Der Regierungsentwurf geht mit der sukzessiven Zuständigkeit von Landgericht, Oberlandesgericht und BGH derzeit von einem dreizügigen Rechtszug aus. Außerdem schlägt der Bundesrat eine Regelung vor, die es auch geschäftsunfähigen und beschränkt geschäftsfähigen Verbrauchern ermöglicht, an dem Musterfeststellungsklageverfahren teilzunehmen. Die Stellungnahme des Bundesrates geht nun an die Bundesregierung. Zusammen mit ihrer Gegenäußerung reicht sie diese an den Bundestag weiter.