Die Klägerin ist Eigentümerin eines 1.150 Quadratmeter großen Grundstücks. Nachdem im Jahr 2009 ein Wasserzähler eingebaut worden war, wurden für die Gebührenerhebung in den nachfolgenden Jahren durch den beklagten Wasser- und Abwasserverband Zählerstände beispielsweise von 125 Kubikmetern für 2011 oder 280 Kubikmetern für 2014 zugrunde gelegt, heißt es in dem Urteil zum Sachverhalt. Der Wert aus 2011 ergab sich dabei aus einer Ablesung durch die Klägerin selbst, während in den Folgejahren nach 2011 durch den Wasser- und Abwasserverband Schätzungen erfolgten.
Gebühren von 7.079,97 Euro für ein halbes Jahr
Mit einem Gebührenbescheid rechnete der Verband am 1. Oktober 2015 gegenüber der Klägerin für die Zeit vom 1. Januar 2015 bis 23. Juni 2015 Gebühren für die öffentliche Wasserversorgung sowie für die öffentliche Schmutzwasserbeseitigung ab, wobei für diesen Abrechnungszeitraum ein Verbrauch von jeweils 1.653 Kubikmetern zu Grunde gelegt wurde. Der Verband setzte in Summe 7.079,97 Euro für Trinkwasser- und für Schmutzwassergebühren fest.
Verband stellt Rückfragen wegen Diskrepanzen
Mit der Zählerablesung am 23. Juni 2015, die dieser Festsetzung vorangegangen war, wurde der im Jahr 2009 geeichte und bei der Klägerin eingebaute Zähler durch die von dem Verband beauftragte Firma ausgebaut und mitgenommen. Beim Ausbau wurden durch die beauftragte Firma keine Auffälligkeiten am Zähler oder sonst festgestellt.
Bereits im August 2015 stellte der Verband mit Blick auf „Diskrepanzen zwischen dem Austauschstand und den bisherigen Verbrauchsschätzungen“ eine Rückfrage bei der beauftragten Firma, die daraufhin den Zähler nochmals äußerlich untersuchte und erneut keine Auffälligkeiten oder Defizite feststellen konnte. Eine Befundprüfung ordnete der Verband nicht an. Der Zähler verblieb bei der Beauftragten und wurde später entsorgt.
Eigentümerin: Hoher Verbrauch nicht zu erklären
Zur Begründung ihrer Klage beim Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) brachte die Klägerin vor, sie könne sich die Verbrauchshöhe nicht erklären. Diese könne nicht zutreffend sein. Die Klägerin lebe zusammen mit ihrem Lebensgefährten allein auf dem gegenständlichen Grundstück; ihr Sohn sei dort nur gemeldet, wohne jedoch tatsächlich nicht auf dem Grundstück. In den vergangenen Jahren sei der Wasserverbrauch jeweils deutlich unter 100 Kubikmeter geblieben und durch den Beklagten auch immer wieder so geschätzt worden, was den Gewohnheiten eines Zweipersonenhaushaltes entspreche. Auch nach dem Zählerwechsel im Jahr 2015 sei für die Zeit bis Ende 2015 nur ein Verbrauch von 36 Kubikmeter angesetzt worden. Für das Jahr 2016 seien 72 Kubikmeter und für 2017 43 Kubikmeter abgerechnet worden.
Vor diesem Hintergrund geht die Klägerin davon aus, dass der ursprünglich installierte Wasserzähler jedenfalls im Jahr 2015 nicht mehr ordnungsgemäß funktioniert habe und überhaupt nicht den vom Verband angesetzten Verbrauch angezeigt haben könne. Ausdrücklich bestreitet die Klägerin für den Festsetzungszeitraum einen Verbrauch in der vom Beklagten angesetzten Höhe.
Urteil: Gebührenbescheid rechtswidrig
Das Verwaltungsgericht kommt in seinem Urteil zu dem Schluss, dass der Gebührenbescheid rechtswidrig ist, da der Wasser- und Abwasserverband die Höhe der Gebühren nicht zutreffend festgesetzt habe. Zwar habe er den vorgeschriebenen Gebührenmaßstab angewandt, indem er die Gebührenhöhe jeweils anhand des Trinkwasserverbrauchs bestimmte. Die danach der Mengengebührenfestsetzung zugrundeliegende Trinkwassermenge habe der Verband aber zu Unrecht mit 1.653 Kubikmeter bestimmt. Er hätte sich auf den abgelesenen Wert nicht stützen dürfen und gegebenenfalls eine Schätzung vornehmen müssen, stellt das Gereicht fest.
Für Schätzung hat Anlass bestanden
Zwar sei die zugeführte Trinkwassermenge grundsätzlich durch Ablesung am geeichten und durch den Verband zugelassenen Wasserzähler zu ermitteln, und nur in Ausnahmefällen komme eine Schätzung in Betracht, nämlich dann, wenn die Menge auf andere Weise nicht ermittelt werden kann. Allerdings habe für eine solche Schätzung Anlass bestanden, da eine anderweitige Ermittlung der Trinkwassermenge jedenfalls nicht mehr möglich ist. So kann der vom in 2009 eingebauten Wasserzähler angezeigte Wert für die Ermittlung des auf den Festsetzungszeitraum entfallenden Verbrauchs nicht herangezogen werden. Denn der Beklagte konnte auf den angezeigten Durchflusswert nicht abstellen, schreibt das Gericht.
Befundprüfung in solchen Fällen zwingend notwendig
So begründe das Messergebnis eines noch geeichten Wasserzählers zwar einen entsprechenden Anscheinsbeweis bzw. eine entsprechende tatsächliche Vermutung, so dass von einem Durchfluss von 1.933 Kubikmeter für die gesamte Einbaudauer ausgegangen werden könne – aber nur dann, wenn der Wasserzähler auch einer Befundprüfung unterzogen wurde und diese keine Anzeichen einer Fehlfunktion ergeben habe, heißt es in dem Urteil. Der Durchflusswert eines solchermaßen geeichten und befundgeprüften Zählers könne dann nur durch den Tatsachennachweis erschüttert werden, aus denen sich die ernsthafte Möglichkeit ergebe, dass der Zähler doch falsch angezeigt hat.
In dem behandelten Fall sei der Zähler nie einer Befundprüfung unterzogen worden; und aufgrund der Entsorgung des Zählers könne eine solche auch nicht nachgeholt werden. Bei der Anzeige eines ungewöhnlich hohen Durchflusswertes sei durchaus der Frage nachzugehen, ob dieser Wert durch Verhaltens- oder Zustandsänderungen im Bereich des Grundstückseigentümers bestätigt wird; bleibe dies offen, könne auf den angezeigten hohen Durchflusswert nicht abgestellt werden.
Auch Gericht kann Verhaltens- oder Zustandsänderungen
nicht mehr ermitteln
Dem Urteil zufolge ist zudem zu erkennen, dass zu einem Zeitpunkt, zu dem eine weitere Aufbewahrung und auch die Befundprüfung des Zählers noch ohne weiteres möglich gewesen wäre, der Verband selbst einen Ermittlungsbedarf wegen des gegenüber seinen Vorjahresschätzungen ungewöhnlich hohen Verbrauchs binnen des ersten Halbjahres 2015 erkannt hatte.
Da aber der Verband auch dann nicht der Frage nachgegangen ist, ob die „Verbrauchsspitze“ für das erste Halbjahr 2015 sich durch Verhaltens- oder Zustandsänderungen im Bereich des Grundstückseigentümers erklären lässt und auch das Gericht solche Verhaltens- oder Zustandsänderungen heute nicht mehr ermitteln könne, könne der Verband bei seiner Gebührenfestsetzung nicht auf den hohen Durchflusswert abstellen.