„Basierend auf den begrenzt verfügbaren Informationen scheint Mikroplastik im Trinkwasser auf dem jetzigen Niveau kein Gesundheitsrisiko darzustellen“, so die WHO-Expertin Maria Neira. Andere Verunreinigungen des Wassers seien aus heutiger Sicht wesentlich bedeutsamer, sagte WHO-Experte Bruce Gordon.
Es gelte in jedem Fall, die Wissensbasis zu erweitern und vor allem das Wachsen des weltweiten Plastikmüllbergs zu stoppen. „Mikroplastik ist überall in der Umwelt, auch im Wasserkreislauf“, heißt es in dem WHO-Report. Wichtige Quellen seien Regen- oder Schmelzwasser und Abwasser. Insgesamt seien die verfügbaren Studien aber zu lückenhaft, um das jeweilige Ausmaß dieser Zuflüsse genauer zu bestimmen oder die Quellen noch exakter zu erfassen. „Darüber hinaus kann eine Verschmutzung auch bei anderen Prozessen wie der Behandlung, der Verteilung und dem Abfüllen passieren.“
Im Jahr 2017 seien weltweit rund 348 Millionen Tonnen Plastik, ohne Berücksichtigung der Produktion von Fasern, angefallen. Diese Menge werde sich angesichts des Bevölkerungswachstums, des Verbrauchs und des Wegwerfverhaltens bis 2025 verdoppeln und bis 2050 wohl verdreifachen, schätzt die WHO. Der Markt sei riesig. Allein in Europa stellten 60.000 Firmen mit 1,5 Millionen Beschäftigten und einem Umsatz von 355 Milliarden Euro Plastik her.
Mit einer fachgerechten Abwasserreinigung könnten 90 Prozent des Mikroplastiks entfernt werden. Das gelte auch für die Behandlung von Trinkwasser, so die WHO weiter. Das Problem sei, dass ein großer Teil der Weltbevölkerung aktuell nicht in den Genuss einer adäquaten Wasseraufbereitung und Abwasserbehandlung komme.
WHO rät von routinemäßiger Überwachung von Mikroplastik im Trinkwasser ab
Eine routinemäßige Überwachung von Mikroplastik im Trinkwasser sei derzeit nicht zu empfehlen, heißt es in dem Bericht. Es sei wichtiger, Krankheitserreger zu entfernen, da diese nach wie vor das größte Risiko für die menschliche Gesundheit darstellten. Wasserversorger sollten hierfür wirksame Kontrollmaßnahmen durchführen. Zudem sollten sie Wasseraufbereitungsprozesse für die Entfernung von Partikeln und Krankheitserregern optimieren, rät der Bericht. Das verbessere auch die Entfernung von Mikroplastik.
In der Forschung wäre es zweckmäßig, gezielte, gut konzipierte und qualitätskontrollierte Untersuchungen durchzuführen, um die Quellen und das Vorkommen von Mikroplastik im Grund- und Trinkwasser, die Wirksamkeit verschiedener Behandlungsverfahren und Prozesskombinationen sowie die Bedeutung möglicher Mikroplastik-Einträge in die Umwelt besser zu verstehen, lautet eine weitere Empfehlung des Berichts. Es sollten auch Maßnahmen ergriffen werden, um die Handhabung von Kunststoffen zu verbessern und den Einsatz von Kunststoffen zu reduzieren, um Verunreinigungen zu minimieren.
Mikroplastik muss in der gesamten Wasserversorgungskette besser untersucht werden
Um die Risiken für die menschliche Gesundheit besser einschätzen zu können und Maßnahmen zu verbessern, müssen eine Reihe von Forschungslücken geschlossen werden, fordert die WHO. So bestehe etwa die Notwendigkeit, das Auftreten von Mikroplastik in der gesamten Wasserversorgungskette besser zu verstehen, indem qualitätsgesicherte Methoden eingesetzt werden, um die Anzahl, Form, Größe, Zusammensetzung und Quelle von Mikroplastik zu bestimmen und die Wirksamkeit der Wasseraufbereitung besser zu beschreiben. Forschung sei unter anderem auch notwendig hinsichtlich der Frage des Eintrags von Mikroplastik durch behandlungsbedingte Abfallströme.
Menschen nehmen nach Angaben australischer Forscher täglich Mikroplastik zu sich - durch Nahrung, Trinkwasser oder durch bloßes Atmen. Bis zu fünf Gramm der winzigen Teilchen kommen so pro Woche in den Körper - abhängig von den Lebensumständen. Die Untersuchung basiert auf Daten zu Mikroplastik in der Atemluft, im Trinkwasser, in Salz, Bier und in Schalentieren.
In deutschem Leitungswasser sei erheblich weniger Mikroplastik entdeckt worden als in Mineralwasser, sagte Martin Wagner von der Norwegian University of Science and Technology (NTNU) in Trondheim. Es sei davon auszugehen, dass Kläranlagen den Großteil der Plastikpartikel entfernen. „Das Problem hierbei ist allerdings, dass sich das Mikroplastik dann im Klärschlamm befindet und wieder in die Umwelt gelangt, wenn der Klärschlamm zur Düngung in der Landwirtschaft verwendet wird.“ Über die gesundheitlichen Auswirkungen von Mikroplastik könne man noch keine generellen Aussagen machen.
BUND: „WHO-Studie gibt zu früh Entwarnung“
Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) kritisierte die von der WHO aus der Studie gezogenen Schlussfolgerungen. „Die WHO-Studie gibt zu früh Entwarnung“, sagte Nadja Ziebarth, Mikroplastik-Expertin des BUND. „Die von der WHO eingeräumte unzureichende Kenntnis der Auswirkungen müsste viel mehr zur Vorsicht mahnen, statt Entwarnung zu geben. Beispielsweise wurde nicht untersucht, wie hoch die Gesundheitsrisiken durch das Einatmen von Kunststoffen sind. Damit missachtet die WHO den eigenen Vorsorgeansatz.“
Ziebarth bezeichnete die Empfehlung der Studie, dass eine routinemäßige Überwachung von Mikroplastik im Trinkwasser nicht erforderlich sei, als „mehr als fahrlässig“. In Deutschland sei nur eine einzige Untersuchung von Leitungswasser durchgeführt worden, auf die sich die WHO-Studie beziehe. Es gebe auch offene Grundwassersysteme, die Mikroplastik enthalten könnten. „Daher sollte Trinkwasser selbstverständlich regelmäßig auf Mikroplastik untersucht werden“, forderte die BUND-Expertin.
Die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen forderte die Bundesregierung auf, wirksame Maßnahmen zu ergreifen, um den Eintrag von Mikro- und Nanoplastik auf allen Eintragspfaden zu stoppen. Es brauche viel mehr Forschung in diesem Bereich, betonte die Sprecherin der Fraktion für Umweltpolitik und Umweltgesundheit, Bettina Hoffmann.
Überfällig sei ein generelles Verbot von Mikroplastik in allen Kosmetikprodukten sowie in Wasch- und Reinigungsmitteln. Das müsse auch für flüssiges oder gelartiges Mikroplastik gelten, das beispielsweise in Cremes, Lippenstiften oder Haarspray eingesetzt wird. Zudem erwarten die Grünen von der Bundesregierung weiterhin einen umfassenden Vorschlag zur Reduzierung von Plastikabfällen.