Nicht definierter Rechtsbegriff „Wohneinheit“ in Satzung ist kein Bestimmungsmangel


In dem behandelten Fall wandte sich die beklagte Stadt mit ihrer Berufung dagegen, dass das Verwaltungsgericht Chemnitz die Festsetzung von Abwassergrundgebühren aufgehoben hatte, heißt es in dem Urteil zum Tatbestand. Der Kläger ist Eigentümer eines Grundstücks, das mit einem Wohnhaus bebaut ist, das sich im Veranlagungszeitraum in sanierungsbedürftigem Zustand befand.


Frage der Wohneinheiten auf dem Grundstück streitig


Nachdem eine früher für leerstehende Wohneinheiten gewährten Befreiung von der Abwassergrundgebühr zum Jahresanfang 2007 weggefallen war, ist zwischen den Beteiligten  - neben der Frage der Wirksamkeit der Abgabensatzung - streitig, wie viele Wohneinheiten sich auf dem Grundstück befinden.


Die Erhebung der Abwasserabgaben erfolgte durch den Ende 2018 aufgelösten Abwasserzweckverband (AZV), dessen Mitglied die Stadt war. Am 1. Januar 2007 trat die 2. Abwassergebührensatzung des Verbandes in Kraft. Diese Änderungssatzung legte unter anderem eine Grundgebühr nach Wohneinheitengleichwert (WE-GW) von 5,11 Euro im Monat fest, wobei einer WE-GW eine Jahresabgabe bis zu 100 Kubikmeter entspricht.


Änderungssatzung definiert „Wohneinheit“


Mit der 4. Änderungssatzung vom 17. Oktober 2013, die rückwirkend zum 1. Januar 2007 in Kraft trat, wurde in die Abwassergebührensatzung 2007 eine  Begriffsbestimmung eingefügt, der zufolge als Wohneinheit (WE) „zum dauernden Aufenthalt von Menschen bestimmte oder genutzte Räume“ gelten, „die entweder nach ihrer Anordnung (beispielsweise durch eine Wohnungsabschlusstür) oder, wenn eine Wohnungsabschlusstür fehlt, nach ihrem tatsächlichen Gebrauch zusammen genutzt werden“. Zur Mindestausstattung einer Wohneinheit gehören der Satzung zufolge u. a. eine Koch- und Waschgelegenheit sowie mindestens die Mitbenutzungsmöglichkeit einer Etagen- bzw. Außentoilette.  Räume, die als Wohneinheit oder Gewerbeeinheit anzusehen sind, verlieren der Satzung zufolge nicht dadurch ihre Eigenschaft als Wohneinheit oder Gewerbeeinheit, dass sie vorübergehend ungenutzt sind oder leer stehen.


Befreiungsmöglichkeit für Gebühren bei Leerstand entfällt


Das Wohnhaus wurde auf Grundlage der Baugenehmigung des Rates der Stadt aus dem Jahr 1968 rekonstruiert und ausgebaut. Nachdem der Abwasserzweckverband mit einem Informationsbrief vom 16. Februar 2007 auf den Wegfall der Befreiungsmöglichkeit für Gebühren bei Leerstand hingewiesen hatte, teilte der Eigentümer mit, dass er die ursprünglich vorgesehene Aufteilung in mehrere Wohnungen mit sofortiger Wirkung aufgehoben habe und das Objekt fortan als Einfamilienhaus gelte.


Der Abwasserzweckverband erhob vom Kläger aber im September 2007 per Bescheid Abwassergebühren für den Zeitraum Juli bis Dezember 2006 in Höhe von insgesamt 34,97 Euro (davon 9,42 Euro Verbrauchsgebühren und 25,55 Euro Grundgebühren) sowie für den Zeitraum Januar 2007 bis Juli 2007 in Höhe von insgesamt 152,35 Euro (davon 9,27 Euro Verbrauchsgebühren und 143,08 Euro Grundgebühren). Die gewährte Grundpreisbefreiung sei aufgehoben worden, und die Anzahl der zu berechnenden Wohneinheiten ändere sich von einer auf vier, so der Verband.


Verband verweist auf Auskunfts- und Mitteilungspflicht des Eigentümers


Gegenüber der Widerspruchsbehörde erklärte der Abwasserverband, dass die Zahl der Wohneinheiten nicht bereits für das Abrechnungsjahr 2007 auf drei verringert worden sei, da dem Eigentümer eine Auskunfts- und Mitteilungspflicht obliege. Erst nach Erhalt des Gebührenbescheids habe der Kläger mitgeteilt, dass sich die Zahl der Wohneinheiten verringert haben solle. Aufgrund einer Vor-Ort-Begehung durch den Abwasserzweckverband im Oktober 2007 habe erstmals nachvollziehbar festgestellt werden können, dass sich auf dem Grundstück nur noch drei Wohneinheiten befinden.


Verwaltungsgericht hebt Gebührenfestsetzung auf


Das Verwaltungsgericht Chemnitz gab der Klage des Eigentümers statt und hob die Grundgebührenfestsetzung auf, soweit für den Zeitraum Januar bis Juli 2007 mehr als 35,77 Euro festgesetzt worden sind, weil die in diesem Zeitraum geltende Abwassergebührensatzung des Verbandes insgesamt nichtig sei (Aktenzeichen: 1 K 1217/08 vom 19.11.20139). Denn der dort für die Bemessung der Grundgebühren verwendete Begriff der Wohneinheit - wie auch der Begriff der Gewerbeeinheit – sei nicht definiert und auch sonst nicht bestimmbar. Es gebe keinen allgemein üblichen Begriff der Wohneinheit. Daran ändere auch die rückwirkend in Kraft gesetzte 4. Änderungssatzung nichts, weil eine Satzung, die sich aufgrund der Unwirksamkeit einer wesentlichen Norm insgesamt als nichtig erweise, als rechtlich nicht existente Satzung nicht geändert und deshalb auch nicht durch eine bloße Änderungssatzung geheilt werden könne, sondern neu erlassen werden müsse, so das Verwaltungsgericht.


Erfolgreiche Berufung der Stadt vor dem OVG


Die Berufung der Stadt vor dem OVG hat Erfolg. Das Verwaltungsgericht habe der Klage zu Unrecht stattgegeben, heißt es in dem Urteil. Die Regelungen der Abwassergebührensatzung 2007 zur Grundgebührenerhebung seien bereits vor der Einführung der Legaldefinitionen mit der 4. Änderungssatzung vom hinreichend bestimmt gewesen.


Ein Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot durch die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe liege erst dann vor, wenn es wegen der Unbestimmtheit nicht mehr möglich ist, objektive Kriterien zu gewinnen, die eine willkürliche Handhabung durch den Aufgabenträger ausschließen. Dies schließt es dem OVG zufolge nicht aus, in der Abgabensatzung unbestimmte Rechtsbegriffe zu verwenden, die nach objektiven Kriterien auszulegen und im vollen Umfang gerichtlich nachprüfbar sind. Die Auslegungsbedürftigkeit einer Vorschrift als solche nimmt dieser nicht die rechtsstaatlich notwendige Bestimmtheit. Der Bestimmtheitsgrundsatz erfordere auch nicht, dass jeder Zweifel über das Auslegungsergebnis ausgeschlossen ist. Es genüge den Anforderungen an die Bestimmtheit einer Satzungsvorschrift, wenn Auslegungsschwierigkeiten mit herkömmlichen juristischen Methoden bewältigt werden könnten.


Auslegungsschwierigkeiten mit herkömmlichen Methoden zu bewältigen


Daran gemessen begründe die Verwendung des nicht legal definierten Begriffs „Wohneinheit“ keine unzureichende Bestimmtheit der Satzung, weil die Auslegungsschwierigkeiten bezüglich dieses Rechtsbegriffs mit herkömmlichen Methoden bewältigt werden könnten. Es liegen hinreichende objektive Kriterien vor, die eine willkürliche Handhabung durch den Aufgabenträger ausschließen, heißt es in dem Urteil.


Kein einheitliches Verständnis des Rechtsbegriffs möglich


Dabei sei ein übergreifend einheitliches Verständnis des Rechtsbegriffs der Wohnung oder der Wohneinheit weder geboten noch möglich. Maßgeblich für das Verständnis des Rechtsbegriffs im Kontext der vorliegenden Satzung sei vielmehr der allgemeine Sprachgebrauch unter Berücksichtigung der spezifisch abwassergebührenrechtlichen Regelungsbezüge. Danach sei, weil der Rechtsbegriff der „Wohneinheit“ hier Anknüpfungspunkt für die Erhebung von Abwassergrundgebühren ist, mit denen die Bereitstellungs- und Vorhalteleistung bezüglich der Abwassereinrichtung entgolten wird, für die Auslegung insbesondere von ausschlaggebender Bedeutung, ob eine Wohneinheit die Lieferungs- und Betriebsbereitschaft der Abwassereinrichtung auslöst.


Betriebsbereitschaft für Abwasseranfall ist vorzuhalten


Dies sei auch bei aktuellem Leerstand dann der Fall, wenn sie ihrer Beschaffenheit nach zum Eigengebrauch oder zur Vermietung als Wohnung genutzt werden darf, da unter diesen Umständen der Gebührenpflichtige objektiv die Wohnnutzung jederzeit wieder aufnehmen und damit sofort den Anspruch auf Abwasserabnahme wieder erwerben kann. Dann müsse für einen möglichen Abwasseranfall die Betriebsbereitschaft vorgehalten werden.

Aber selbst wenn man unterstellen würde, dass in der zunächst fehlenden Legaldefinition der Rechtsbegriffe Wohneinheit und Gewerbeeinheit ein zur Gesamtnichtigkeit der Abgabensatzung führender Bestimmtheitsmangel liege, wäre dieser jedenfalls durch die rückwirkend zum 1. Januar 2007 in Kraft gesetzte 4. Änderungssatzung aus dem Oktober 2013 behoben worden, heißt es in dem Urteil.