OVG: Pflicht zur Oberflächenwasserabführung entfällt nicht wegen „wichtigerer“ Aufgaben


Die klagende Grundstückseigentümerin machte Beeinträchtigungen ihres Grundstücks durch Niederschlagswasser geltend, das von der Kreisstraße abfließt. Vor dem Grundstück der Klägerin fließt das Niederschlagswasser über ein gemeindeeigenes Grundstück, heißt es in dem Urteil zum Sachverhalt.


Der Verband richtete seinen Antrag auf Zulassung der Berufung gegen die vom Verwaltungsgericht ausgesprochene Feststellung, dass er zum Ersatz des Schadens verpflichtet  sei, welcher der klagenden Eigentümerin durch das seit dem Januar 2013 von der Straße auf ihr Grundstück abgeflossene Niederschlagswasser entstanden ist.


Verwaltungsgericht: Eigentümerin steht Beseitigungsanspruch zu


Das Verwaltungsgericht entschied, dass der Klägerin ein finanzieller Folgenbeseitigungsanspruch hinsichtlich solcher Schäden, die durch das von der Straße auf ihr Grundstück gelangte Oberflächenwasser entstanden seien, grundsätzlich zustehe, allerdings nur für den Zeitraum ab dem 01.01.2013, als dem Verband die Straßenentwässerung übertragen worden war.


Die umfassende Übertragung der Pflicht zur Entsorgung des Straßenoberflächenwassers durch die Gemeinde auf den Zweckverband sei unbedenklich, wenn – wie hier – die Kommune zugleich Träger der Straßenbaulast sei. Dann stelle sich die Frage einer Unterscheidung zwischen wasserrechtlicher und straßenrechtlicher Entwässerungspflicht nicht. Im Bereich des klägerischen Grundstücks sei der Verband seiner Verpflichtung nicht nachgekommen, so das Verwaltungsgericht. Dort existiere weder eine straßeneigene Entwässerungseinrichtung noch eine sonstige öffentliche Niederschlagswasserbeseitigungsanlage. Die im Jahr 2006 von ihm auf dem Grünstreifen zwischen der Fahrbahn der Straße und dem Grundstück der Klägerin errichtete Kastenrinne im Bereich der Zufahrt und der parallel zur Grundstücksbebauung verlaufende Versickerungsgraben seien objektiv nicht ausreichend, um bei stärkeren Niederschlägen auf der Gemeindestraße anfallende Wassermengen aufzunehmen.


Schaffung eines rechtmäßigen Zustandes nicht unmöglich oder unzumutbar


Es sei nicht ersichtlich dass dem Verband die Schaffung eines rechtmäßigen, d. h. dem Grad der früheren Entsorgungssituation entsprechenden Zustandes aus tatsächlichen oder wirtschaftlichen Gründen unmöglich oder unzumutbar gewesen sei. Zwar könne kein absoluter Schutz vor jeglichen Überflutungserscheinungen beansprucht werden. Die Entsorgung  des Wassers müsse aber so beschaffen sein, dass die Anlieger und Nutzer im Rahmen des Zumutbaren vor Überschwemmungen geschützt seien, so das Verwaltungsgericht.


Verband verweist auf Vielzahl dringend zu regelnder Probleme


Der Verband führte aus, ihn treffe kein eigener Pflichtverstoß. Der streitige Zustand bestehe vielmehr bereits seit 2004, als der alte Regenwasseranschluss, der in einen Bürgermeisterkanal entwässert habe, geschlossen worden sei. Seinerzeit sei für die Entwässerung der Straße die Gemeinde als Trägerin der Straßenbaulast zuständig gewesen. Dem Verband sei es nicht zuzumuten gewesen, sofort tätig zu werden. Er sei aus der Eingliederung einer Vielzahl von Aufgabenträgern der Abwasserbeseitigung in den ehemaligen VZW Saalkreis hervorgegangen und habe in den Jahren 2013 und 2014, im Grunde bis heute, eine Vielzahl dringlich zu regelnder Probleme, etwa mit Kläranlagen und vertraglicher Art mit Dienstleistern, die wegen hoher Priorität sofort hätten geregelt werden müssen. Im Zeitpunkt der Klageerhebung sei er gerade eineinhalb Jahre Aufgabenträger gewesen.


OVG: Verband ist rechtswidriger Zustand zuzurechnen


Diese Erwägungen greifen dem OVG zufolge nicht durch. Das Verwaltungsgericht sei zu Recht davon ausgegangen, dass dem Verband ein rechtswidriger Zustand zuzurechnen sei, weil er der ihm nach seiner Verbandssatzung obliegenden Pflicht zur schadlosen Abführung des Straßenoberflächenwassers der Brunnenstraße nicht nachgekommen sei. Bei der Pflichtverletzung, die den Anknüpfungspunkt für den Folgenbeseitigungsanspruch bilde, handle es sich nach der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung nicht um die Außerbetriebnahme der früheren Entwässerung, sondern um das Unterlassen, das auf der Straße anfallende Oberflächenwasser schadlos zu entsorgen.

 

Hinweis auf mögliche Ursache des Vernässungsproblems spricht nicht für Pflichtverstoß


Dem ist der Verband dem OVG zufolge nicht substantiiert entgegengetreten. Allein aus dem Hinweis darauf, dass die Schließung des früheren Regenwasseranschlusses im Jahr 2004 „möglicherweise eine Ursache für ein Vernässungsproblem gesetzt“ habe, lasse sich nicht darauf schließen, dass dem Verband kein Pflichtverstoß durch das Unterbleiben einer ordnungsgemäßen Straßenentwässerung anzulasten ist, heißt es in dem Beschluss. Die gesetzliche Pflicht zur schadlosen Abführung des Straßenoberflächenwassers entfalle nicht dadurch, dass der Pflichtige dringlichere oder wichtigere Aufgaben zu erledigen hat, stellt das Oberverwaltungsgericht in dem Beschluss fest.


Pflicht traf Verband sofort und ohne Übergangsfrist


Die Pflicht zur Entwässerung der Brunnenstraße sei mit der Entstehung des Verbandes zum 01.01.2013 auf diesen übergegangen. Da für die Straßenentwässerung keine Übergangsfrist vorgesehen war, traf den Verband die Pflicht sofort. Der Anspruch auf Beseitigung der Folgen rechtswidrigen Handelns eines Trägers öffentlicher Gewalt entfalle zwar, wenn die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands für den verpflichteten Rechtsträger unzumutbar ist. Unzumutbarkeit liege aber nur vor, wenn mit der Wiederherstellung des früheren Zustands ein unverhältnismäßig hoher Aufwand verbunden sei, der zu dem erreichbaren Erfolg in keinem vernünftigen Verhältnis mehr steht. Vor diesem Hintergrund kann es dem OVG zufolge für die Annahme einer Unzumutbarkeit der Folgenbeseitigung nicht ausreichen, dass der zu einem gesetzmäßigen Handeln verpflichtete Hoheitsträger auch andere Aufgaben wahrzunehmen hat, die von größerer Dringlichkeit oder Bedeutung sein mögen.


Verband war mit Aufgaben nicht unvorbereitet konfrontiert


Aus dem Vorbringen des Verbandes gehe auch nicht hervor, mit welchen konkreten vorrangigen Aufgaben die in Betracht kommenden Mitarbeiter so intensiv befasst waren, dass es ihnen unmöglich war, sich mit der Problematik des Abflusses von Straßenoberflächenwassers auf das Grundstück der Klägerin zu befassen. Im Übrigen trafen den Verband  die ihm nach der Verbandssatzung obliegenden Aufgaben nicht neu und unvorbereitet: Er konnte insoweit auf die Einrichtungen und Kenntnisse seines Rechtsvorgängers zurückgreifen, stellt das OVG fest.


Antrag der Eigentümerin ebenfalls abgelehnt


Der Hauptantrag der klagenden Eigentümerin war demgegenüber darauf gerichtet, den Wasser- und Abwasserverband sowie die Gemeinde zu verurteilen, eine Straßenentwässerung durchzuführen, durch die ein Abfluss von Niederschlagswasser von der einer Kreisstraße auf ihr Grundstück verhindert wird. Die Klägerin mache mit diesen, aus seiner Sicht nicht begründeten Anträgen einen öffentlich-rechtlichen Folgenbeseitigungsanspruch geltend, so das Verwaltungsgericht in seinen vom OVG jetzt bestätigten Ausführungen.


Entwässerung von Kreisstraße ist alleinige Pflichten des Saalekreises


Das Grundstück der Klägerin werde zwar seit der Ende 2004 erfolgten Änderung der Abwasserbeseitigungssituation durch den Rechtsvorgänger des beklagten Wasser- und Abwasserzweckverbandes Saalkreis, den Abwasserzweckverband Saalkreis-Ost, bereits bei ergiebigen Regenfällen und Tauwetter insbesondere durch das von der Fahrbahn der Straße abfließende Oberflächenwasser vernässt. Unter wasserrechtlichen Gesichtspunkten treffe die beklagten Verband aber keine Oberflächenwasserbeseitigungspflicht, weil es sich um eine Kreisstraße handele, deren Entwässerung in den alleinigen Pflichten des Saalekreises zähle. Nach der Satzung des Verbandes sei dieser nicht zur Niederschlagswasserbeseitigung verpflichtet, soweit anstelle des Verbandes Träger der öffentlichen Verkehrsanlagen nach anderen Rechtsvorschriften zur Entwässerung der Anlagen verpflichtet seien.


Die Klägerin könne die geltend gemachten Ansprüche gegen die beklagte Gemeinde auch nicht auf nachbarrechtliche Vorschriften stützen, nur weil diese Eigentümerin eines Flurstücks sei, auf dem sich – neben den Verkehrsflächen der Straße – eine sich an das klägerische Grundstück anschließende und dieses von der Kreisstraße trennende Grünfläche befindet, über die auch die Zufahrt des klägerischen Grundstücks zur Kreisstraße verläuft. Die Vorschrift des § 30 Abs. 2 Nr. 1 NbG LSA (siehe Kasten) sei zwar privatrechtlicher Natur, jedoch auch von der öffentlichen Hand bei Baumaßnahmen an öffentlichen Straßen zu beachten. Die Regelung greife hier aber nicht ein.


Klägerin nicht in nachbarrechtlichen Rechten betroffen


Soweit es sich um Niederschlagswasser handle, das unmittelbar von der Straße über die auf den gemeindeeignen Flächen verlaufende Zufahrt auf das Grundstück gelange, könne die Zufahrt schon aufgrund ihrer Erschließungsfunktion zu der in Trägerschaft eines Dritten stehenden Kreisstraße nicht der Gemeinde in ihrer Eigenschaft als Grundstücksnachbarin zugerechnet werden. Die Klägerin sei nicht in nachbarrechtlichen Rechten betroffen und könne sich allenfalls an den Landkreis wenden. Gleiches gelte für Niederschlagswasser, das unmittelbar von der Straße über Teile der Grünfläche des gemeindeeignen Grundstücks auf das klägerische Grundstück abfließe.


Insoweit fehle es an einem gegenwärtigen „Verstärken“ des Abflusses im Sinne des Nachbargesetzes. Zudem dürfte es der beklagten Kommune infolge fehlender Kompetenzen objektiv unmöglich sein, die mit der Klage erstrebten Maßnahmen zu erreichen, stellt das OVG fest.