Statt einer Reform oder einer Anpassung, von der in der Diskussion um die Wasserrahmenrichtlinie immer wieder gesprochen werde, geht es, wie die Analyse zeige, „um nicht weniger als einen Rückfall in alte Zeiten, als Flüsse schonungslos umgebaut wurden und Seen kippten“. Würde man die Referenzbedingungen als Maßstab für die Bewertung des Zustands von Gewässern – wie gefordert – „flexibler“ gestalten, drohte eine allgemeine Abschwächung der Zielvorgaben für alle Wasserkörper.
Orientierung an menschlichen Nutzungsinteressen
Die Ziele würden sich weniger an ökologischen Werten und stärker aber an menschlichen Nutzungsinteressen orientieren. Der ursprünglichen und wissenschaftlich fundierten Vorstellung des „guten ökologischen Zustands“ würde dies klar zuwiderlaufen, so der WWF.
Der WWF hat für die Analyse nach eigenen Angaben Positionspapiere und Stellungnahmen von zwölf nationalen und europäischen Industrieverbänden aus den Bereichen Bergbau, Industrie, Wasser- und Energieversorgung sowie der Landwirtschaft, darunter der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (IHK) sowie der Deutsche Bauernverband (DBV), analysiert, und daraus 14 „negative“ Forderungen abgeleitet, die die Wirksamkeit der WRRL für den Gewässerschutz in Mitleidenschaft zögen.
Die Forderungen der Stellungnahmen betreffen der Analyse zufolge sowohl die Gewässerbewirtschaftung als auch die Genehmigungspraxis und setzen dabei unterschiedliche Schwerpunkte. So kritisierten die Vertreter aus Bergbau und Landwirtschaft u. a. die Referenzbedingungen und den daraus resultierenden Handlungsbedarf. Den Industrieverbänden geht es vorrangig um die Genehmigungsfähigkeit industrieller Aktivitäten, weshalb sie eine Erweiterung der Ausnahmetatbestände und die Lockerung des Verschlechterungsverbots fordern.
Kritik an „zu ambitionierten“ Umweltzielen
In allen berücksichtigten Stellungnahmen werde Kritik an den „zu ambitionierten“ Umweltzielen und dem „One out – all out“-Prinzip - sobald nur ein Kriterium als „mäßig“ eingestuft wird, bekommt das Gesamtgewässer die Note „mäßig - geäußert. Insgesamt zielten die Forderungen daher auf eine deutliche Änderung der WRRL ab. Dabei umfassten sie Änderungen der Referenzzustände mit einem gesenkter Handlungsbedarf, der Umweltziele und Zielfristen, der der Bewertungsansätze und der Darstellung des Gewässerzustands sowie Erweiterungen der Ausnahmetatbestände und Lockerungen des Verschlechterungsverbots über eine vereinfachte Genehmigungsfähigkeit für Gewässernutzungen.
„Gefährdungen würden bewusst in Kauf genommen“
„Wenn die Grenzwerte für chemische Stoffe aus Gründen der Verhältnismäßigkeit gesenkt werden, wird eine Gefährdung von Lebewesen bis hin zum Menschen bewusst in Kauf genommen“, Diana Pretzell, Direktorin Naturschutz Deutschland beim WWF. In Deutschland seien bisher nur rund 8,2 Prozent der Flüsse und Seen in einem guten ökologischen Zustand, wie ihn die Wasserrahmenrichtlinie fordert.
Der Verlust ökologisch intakter Gewässer, weiterhin chemische und gesundheitsschädliche Stoffe wie Nitrat im Grundwasser und somit die Gefährdung für Mensch, Natur, Industrie und Landwirtschaft würden nicht nur billigend in Kauf genommen, und die Umsetzungen der EU-Biodiversitätsstrategie und der EU-Meeresstrategie würden behindert, so der WWF. Es werde geradezu forciert, das eigentliche Ziel, bis 2027 flächendeckend einen ökologisch guten Zustand zu erreichen, unerreichbar zu machen.
Absenkung vieler UQN zu befürchten
Die von der Industrie- und Handelskammer geforderte Berücksichtigung technischer und finanzieller Verhältnismäßigkeit bei der Festsetzung der Umweltqualitätsnormen für chemische Stoffe (UQN) im Gewässer führte geradewegs zur allgemeingültigen Absenkung vieler UQN, heißt es in der Analyse. Zur Festlegung einer UQN werde aber die Toxizität des jeweiligen Stoffes auf verschiedene Arten des Nahrungsnetzes bewertet. Würde man diesen Wert aus Gründen der Verhältnismäßigkeit absenken, nähme man zugleich eine Gefährdung von Lebewesen bis hin zum Menschen in Kauf, so der WWF.
Widerspruch zum Vorsorgeprinzip der Wasserrahmenrichtlinie
Billige man die Forderung, Stoffe auch im „nicht guten“ Zustand eines Gewässers einleiten zu dürfen, solange das keine unmittelbar nachteiligen Folgen hat, so ignorierte man die räumlichen und zeitlichen Verzögerungen von Auswirkungen, unklare Wirkzusammenhänge sowie eine eingeschränkte „Messbarkeit“ von Veränderungen der biologischen Qualitätskomponenten. Die Spekulation auf eintretende oder ausbleibende Folgen bei der Überschreitung von UQN widerspricht deshalb dem auch in der WRRL verankerten Vorsorgeprinzip. Würde man – wie gefordert – ubiquitäre Stoffe pauschal vom „Phasing out“ (Nulleintrag) ausnehmen, würde man z. B. Industrie- und Kläranlagen von weiteren Reduzierungen der Einleitung gefährlicher Stoffe befreien.
Die geforderte Ausweitung des Ausnahmetatbestandes nach Art. 4.7 der WRRL auf stoffliche Veränderungen von Gewässern würde die Schadstoffbelastung in Oberflächen- und Grundwasserkörpern deutlich erhöhen, ohne dass gegen geltendes Recht verstoßen würde, heißt es weiter.
Klare Positionierung von Bundesregierung gefordert
Zum Schutz des Wassers und der Ökosysteme müsse sich die deutsche Bundesregierung auf EU-Ebene für den Erhalt der Richtlinie in der jetzigen Form und gegen eine Öffnung aussprechen, fordert die Umweltschutzorganisation. Flüsse, Seen und Feuchtgebiete seien nach wie vor in keinem guten Zustand und das Grundwasser chemisch stark belastet. Die Bundesregierung müsse sich klar für die in der Richtlinie verankerten Prinzipien der Verbesserungspflicht und des Verschlechterungsverbots für alle europäischen Gewässer einsetzen und darf unhaltbare Vorschläge seitens der Wirtschaft nicht unterstützen“, sagte Pretzell. Gerade angesichts der globalen Klimakrise und zunehmender Wetterextreme sind nach Einschätzung des WWF anstatt einer Novellierung der Wasserrahmenrichtlinie Maßnahmen zur Wiederherstellung ökologisch intakter Gewässer und zum Schutz des Grundwassers als Trinkwasserressource notwendig.