EuGH: Betroffene Personen können Einhaltung der Nitratrichtlinie einfordern


Dann können dem EuGH zufolge natürliche und juristische Personen von den zuständigen nationalen Behörden verlangen, dass diese ein bestehendes Aktionsprogramm ändern oder zusätzliche Maßnahmen oder verstärkte Aktionen nach der Richtlinie erlassen, solange der Nitratgehalt im Grundwasser ohne solche Maßnahmen an einer oder mehreren Messstellen 50 mg/l überschreitet oder zu überschreiten droht.


Nitratgehalt überschreitet 50 mg/l


Mit ihrer Beschwerde beim Verwaltungsgericht Wien wandten sich der Wasserleitungsverband, Nördliches Burgenland, eine Privatperson und die Gemeinde Zillingdorf gegen den Bescheid des österreichischen Umweltministeriums vom 30. Mai 2016, mit dem ihre Anträge auf Änderung der Verordnung Aktionsprogramm Nitrat 2012 als unzulässig zurückgewiesen worden waren. Der Wasserleitungsverband Nördliches Burgenland stellt als viertgrößter Wasserversorger in Österreich die Versorgung von ungefähr 160.000 Menschen sicher, heißt es in dem Urteil zum Sachverhalt.


In seinem Einzugsgebiet besteht für die Eigentümer von bebauten Grundstücken grundsätzlich eine Pflicht zum Anschluss an das Wassernetz. Damit das Wasser als Trinkwasser benutzt werden kann, muss der Nitratgehalt unter 50 mg/l liegen. An einzelnen Messstellen überschreitet der Nitratgehalt des entnommenen Grundwassers diesen Wert aber um mehr als 100 Prozent. Dieses Wasser wird daher vor der Abgabe aufbereitet, um den Nitratgehalt unter 50 mg/l zu senken.


Die Privatperson besitzt einen Hausbrunnen. Das Wasser aus diesem Brunnen wies zum Zeitpunkt der Anträge einen Nitratgehalt von 59 mg/l auf. Im Dezember 2017 wurde zwar der Nitratgehalt von 50 mg/l nicht überschritten, doch schwanken die Werte dem EuGH zufolge erwiesenermaßen, so dass eine Überschreitung des Nitratgehalts von 50 mg/l nicht ausgeschlossen ist.


Brunnenwasser wegen Nitratgehalts nicht trinkbar eingestuft


Die Gemeinde Zillingdorf betreibt einen Brunnen für kommunale Zwecke, dessen Wasser aufgrund des hohen Nitratwerts als nicht trinkbar eingestuft ist. Zum Zeitpunkt der Stellung der Anträge betrug der Nitratgehalt 71 mg/l, und er blieb auch während des Ausgangsverfahrens erhöht.


Der Zurückweisungsbescheid des Ministeriums beruht auf einem Grundsatz des österreichischen Rechts, wonach eine juristische oder natürliche Person in einem verwaltungsbehördlichen oder gerichtlichen Verfahren nur verfahrens- bzw. klage- oder beschwerdebefugt ist, wenn sie Trägerin subjektiver materieller Rechte ist und deren Verletzung geltend macht, erläutert der EuGH. Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts Wien verleihen in dem bei ihm anhängigen Rechtsstreit die einschlägigen Vorschriften des österreichischen Verwaltungsrechts, nämlich das Wasserrechtsgesetz 1959 und das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz, den Beschwerdeführern des Ausgangsverfahrens kein subjektives materielles Recht.


Verwaltungsgericht Wien befragt EuGH


Angesichts dieses rechtlichen Hindernisses nach nationalem Recht hat das Verwaltungsgericht Wien den EuGH gefragt, ob sich die Beschwerdeführer auf das Unionsrecht und insbesondere die Nitratrichtlinie berufen können, um eine Änderung der Verordnung Aktionsprogramm Nitrat 2012 zu erreichen. Denn der Gerichtshof habe anerkannt, dass in Sachen Luftqualität bestimmte Personen die Einhaltung der Grenzwerte geltend machen könnten, wenn sie unmittelbar betroffen seien, insbesondere wegen einer unmittelbaren Gefährdung ihrer Gesundheit. Es sei nicht ausgeschlossen, dass diese Rechtsprechung auch in Bezug auf die Wasserqualität angewandt werden könne.


Mit seiner Frage möchte das Verwaltungsgericht dem EuGH zufolge im Wesentlichen wissen, ob natürliche und juristische Personen wie die Beschwerdeführer des Ausgangsverfahrens, die mit der Sicherstellung der Wasserversorgung betraut sind oder über eine Brunnennutzungsmöglichkeit verfügen, von den zuständigen nationalen Behörden verlangen können, dass diese ein bestehendes Aktionsprogramm zu ändern oder zusätzliche Maßnahmen oder verstärkte Aktionen gemäß der Richtlinie zu erlassen haben, um an jeder Entnahmestelle einen Nitrathöchstgehalt von 50 mg/l zu erreichen.


Berufung von Personen auf Richtlinie nicht grundsätzlich auszuschließen  


Dem EuGH zufolge kann nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden, dass sich betroffene Personen auf die durch eine Richtlinie auferlegten Verpflichtungen berufen können. Insbesondere in Fällen, in denen der Unionsgesetzgeber die Mitgliedstaaten durch eine Richtlinie zu einem bestimmten Verhalten verpflichtet, würde die praktische Wirksamkeit eines solchen Rechtsakts abgeschwächt, wenn die Bürger sich vor Gericht hierauf nicht berufen und die nationalen Gerichte ihn nicht als Bestandteil des Unionsrechts berücksichtigen könnten, um zu prüfen, ob der nationale Gesetzgeber im Rahmen der ihm vorbehaltenen Befugnis, Form und Mittel für die Umsetzung dieses Rechtsakts zu wählen, innerhalb des darin vorgesehenen Ermessensspielraums geblieben ist.


Um festzustellen, ob natürliche und juristische Personen von einer Verletzung der Verpflichtungen aus der Richtlinie 91/676 unmittelbar betroffen sind, sind dem EuGH zufolge die Zielsetzung sowie die einschlägigen Bestimmungen dieser Richtlinie, deren ordnungsgemäße Anwendung vor dem vorlegenden Gericht in Anspruch genommen wird, zu prüfen. Die Richtlinie habe zum Ziel, die durch Nitrat aus landwirtschaftlichen Quellen verursachte oder ausgelöste Gewässerverunreinigung zu verringern und weiterer Gewässerverunreinigung dieser Art vorzubeugen. Zu diesem Zweck bestimme die Richtlinie, dass die Mitgliedstaaten unter den darin vorgesehenen Bedingungen Aktionsprogramme festlegen und erforderlichenfalls zusätzliche Maßnahmen oder verstärkte Aktionen treffen.


Überschreitung behindert rechtmäßige Nutzung des Grundwassers


Bei einem Nitratgehalt, der im Grundwasser 50 mg/l überschreitet oder zu überschreiten droht, ist nach der Richtlinie anzunehmen, dass er die rechtmäßige Nutzung der Gewässer behindern kann, stellt der EuGH fest. Daraus ergibt sich dem Urteil zufolge, dass eine natürliche oder juristische Person, die über ein Grundwasserentnahme- und -nutzungsrecht verfügt, von der Überschreitung oder der Gefahr einer Überschreitung dieses Schwellenwerts unmittelbar betroffen ist, die geeignet ist, das Recht dieser Person einzuschränken, und damit die rechtmäßige Nutzung des Grundwassers behindert.


Im behandelten Fall  würden  die Beschwerdeführer des Ausgangsverfahrens an der Nutzung dieses Wassers behindert, da der Nitratgehalt des betroffenen Grundwassers 50 mg/l überschreitet oder zu überschreiten droht. Die Überschreitung dieses Schwellenwerts könne sie an der Möglichkeit einer normalen Nutzung ihres Brunnenwassers hindern oder sie zumindest zu Ausgaben für die Beseitigung der Wasserverunreinigung zwingen, stellt der EuGH fest.


Natürliche und juristische Personen sind unmittelbar betroffen


Damit seien natürliche und juristische Personen wie die am Ausgangsverfahren beteiligten unmittelbar betroffen, wenn das Hauptziel der Richtlinie wegen einer etwaigen Verletzung bestimmter Verpflichtungen nicht verwirklicht wird. Demnach müssen natürliche und juristische Personen wie die Beschwerdeführer des Ausgangsverfahrens bei den nationalen Behörden – gegebenenfalls unter Anrufung der zuständigen Gerichte – die Einhaltung dieser Verpflichtungen einfordern können, heißt es in dem Urteil.


BDEW begrüßt Ausweitung der Klagemöglichkeiten


Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) hat es begrüßt, dass das nach seiner Auffassung wegweisende Urteil des EuGH die Klagemöglichkeiten bei Verstoß gegen überhöhte Nitratwerte im Grundwasser deutlich ausweitet. „Ähnlich wie bei der Stickoxid-Belastung in Städten haben Betroffene künftig umfassende Klagemöglichkeiten, wenn die Grenzwerte für Nitrat im Grundwasser überschritten werden – schon die Gefahr einer Überschreitung reicht für eine Klage aus“, sagte Martin Weyand, Hauptgeschäftsführer Wasser/Abwasser im BDEW.


Ab sofort könnten betroffene Privatpersonen, juristische Personen und Umweltverbände von den zuständigen nationalen Behörden verlangen, dass sie Aktionsprogramme wirkungsvoll ausgestalten oder zusätzliche Maßnahmen ergreifen, um die Nitratwerte nachhaltig zu reduzieren. Dafür bräuchten die Kläger nicht nachweisen, dass die bereits erfolgten Maßnahmen unwirksam sind. Das Urteil wird nach Einschätzung des BDEW den Druck auf die Verursacher der Nitratverunreinigung des Grundwassers weiter erhöhen. Die industrielle Landwirtschaft und die Bundesregierung wären gut beraten, jetzt endlich ein wirksames Düngerecht zu verabschieden, das einen nachhaltigen Gewässerschutz gewährleistet, sagte Weyand.