Herr Dr. Faber, welche aktuellen Entwicklungen beobachten Sie im Wasser- und Abwassersektor in den Staaten des Nahen Ostens (die Covid-19-Pandemie ausgenommen)?
Wir sehen eine neue Dynamik: Der Nahe Osten will weg vom Öl, Investitionen anlocken, die (junge) Bevölkerung wächst, und die Infrastruktur hierfür muss nachgezogen werden. Das betrifft insbesondere auch die Wasser- und Abwasserinfrastruktur.
Wir sehen außerhalb des reinen Kanalbaus eine klare Tendenz zu Betreibermodellen und komplexen Öffentlich-Privaten Partnerschaften (ÖPP oder PPP), bei denen ein erfolgreicher Bieter neben dem Bau auch den Betrieb und die Finanzierung über einen langen Zeitrahmen von 20-25 Jahren übernimmt – europäisches Know-how ist dabei sehr gefragt.
Ein weiterer Trend sind komplexe und gleichzeitig innovative Elemente: Beispielsweise wurde ein Desalination-Projekt im Nahen Osten gerade mit einem Solarpark verbunden, das heißt, es entstehen „Hybride“. In Kuwait oder Saudi-Arabien wird der Bau einer Kläranlage mit umfänglichem Kanalbau verknüpft, was die Komplexität erhöht.
Das Abwasserprojekt Umm Al Hayman, das sie als Berater mitbetreut haben, ist ein PPP-Projekt. Inwiefern ist dieses Vertragskonstrukt für Geschäfte im Nahen Osten geeignet?
Das Vertragskonstrukt ist komplex und innovativ zugleich und wird in vielen anderen Ländern des Gulf Cooperation Council (GCC) intensiv diskutiert. Im Nahen Osten gibt es eine große Offenheit für PPPs, wie jetzt erfolgreich in Kuwait umgesetzt. Wir sehen das bei vielen Ausschreibungen, gerade auch im Wasser- und Abwassersektor, beispielsweise in den VAE, Oman oder Qatar sowie zunehmend auch in Saudi-Arabien. Es bleibt spannend, ob sich das auch beim Umm Al Hayman angelegten „Bürgerbeteiligungsmodell“, bei dem sich Bürger nach erfolgreicher Inbetriebnahme des Projektes mit Aktien am Projekt beteiligen können, durchsetzt. Ich finde dies charmant, denn es schafft gesellschaftlichen Nutzen als auch Akzeptanz für Infrastrukturprojekte.
Das Nahostgeschäft deutscher Hersteller von Komponenten und Systemen zur Wasseraufbereitung, Abwasser- und Schlammbehandlung ist laut VDMA im vergangenen Jahr aufgrund des Ausfalls des iranischen Marktes deutlich zurückgegangen. Wie wichtig ist dieser Markt? Welche anderen Teilmärkte sind aus Ihrer Sicht interessant?
Zunächst muss abgewartet werden, ob sich der Verfall des Ölpreises auch auf die Projektpipeline im Nahen Osten negativ auswirkt. Ansonsten wird man um den Nahen Osten als Zukunftsmarkt nicht herumkommen – allein in Saudi-Arabien sind dutzende neue Wasser- und Abwasserprojekte angekündigt, aber auch Oman oder Qatar sind sehr interessante Märkte. Gleiches gilt für Kuwait oder die Vereinigten Arabischen Emirate.