Herr Liebing, welches Zwischenfazit zur Corona-Pandemie ziehen Sie für die kommunale Wasser- und Abwasserwirtschaft?
Wir haben einen sehr guten Job gemacht und diese coronabedingte Ausnahmesituation schnell in den Griff bekommen. Diese Zwischenbilanz lässt sich an dieser Stelle ziehen. Dabei hat uns sicherlich auch geholfen, dass die Wasserwirtschaft als Anbieter kritischer Infrastrukturen auf Krisensituationen besonders vorbereitet ist. Vielleicht könnte man es sogar buchstäblich einen Routine-Vorteil nennen, denn aktiver Infektionsschutz gehört in der Wasserwirtschaft zum Alltag, um auch schon die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor potenziellen Krankheitserregern zu schützen. Gleichwohl ist die Wasserwirtschaft natürlich von der Corona-Pandemie und ihrer Wucht getroffen worden.
Es wurde rasch gehandelt: Die Unternehmen haben ihre Krisenstäbe schnell aktiviert und ihre internen, mehrstufigen Pandemie- und Krisenpläne bezogen auf die gegenwärtige Situation vor Ort angepasst und sie entsprechend der neuesten Erkenntnisse aktualisiert. Auf den Schultern der engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ruht ja die Verantwortung für die Ver- und Entsorgungsleistungen der Daseinsvorsorge.
Letztens Endes müssen die Versorgung mit Trinkwasser in bester Qualität und die zuverlässige Entsorgung von Abwasser jederzeit verlässlich funktionieren. Darauf verlassen sich unseren Kundinnen und Kunden, einfach alle: Verbraucher, Gewerbe, Industrie und Landwirtschaft.
Wie wichtig Daseinsvorsorge ist, spüren die Menschen insbesondere in Krisenzeiten: Die Leistungen der Daseinsvorsorge sind elementar für unsere Gesellschaft und Wirtschaft. Und sie funktionieren bestens und auf einem sehr hohen Niveau. Das zeigt: Auf uns ist Verlass.
Reichen die im schwarz-roten Konjunkturpaket beschlossenen Hilfen und Erleichterungen aus, um kommunale Daseinsvorsorgeleistungen speziell im Wasser- und Abwasserbereich weiterhin auf hohem Niveau anzubieten?
Ich möchte die Frage nicht mit einem einfachen Ja oder Nein beantworten, weil wir das derzeit einfach nicht seriös einschätzen können. Fakt ist: Wir müssen über die Pandemie hinausdenken. Ein Beispiel: Zu den aktuellen und künftigen Herausforderungen der Wasserwirtschaft zählt der Umgang mit dem klimatischen und demografischen Wandel. Während wir im Klimaschutz schon viele Gesetze und Regulierungen haben, fehlt es an Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel.
Dabei müssen Klimaschutz und Klimaanpassung zusammengedacht und endlich gemeinsam angegangen werden. Bund und Länder sollten alle Kommunen dabei unterstützen, Klimaanpassungskonzepte zu erarbeiten und gemeinschaftlich vor Ort umzusetzen. Das Konjunkturprogramm der Bundesregierung bietet eine einmalige Gelegenheit, den notwendigen Schub zu leisten. Hierfür würde sich das vom Umweltbundesamt vorgeschlagene Sonderprogramm Klimavorsorge bestens eignen.
Inwiefern könnte das Konjunkturpaket Ihrer Meinung nach auch dazu beitragen, den vielerorts vorherrschenden Sanierungsstau insbesondere in der Kanalinfrastruktur aufzulösen?
Sicherlich ist es so, dass es mancherorts Nachholbedarf gibt und solche Gelder auch für Sanierungsmaßnahmen sinnvoll eingesetzt werden können. Keine Leitung hält ewig. Irgendwann ist der Zeitpunkt gekommen für eine grundlegende Sanierung oder Erneuerung. Der richtige Zeitpunkt hängt dabei von vielen Faktoren ab. Die technisch und wirtschaftlich sinnvolle Netzerneuerungsrate muss jedes Unternehmen unter Berücksichtigung der örtlichen Gegebenheiten – Rohrnetzmaterial, Netzalter, Schadensraten oder Leckagen – ermitteln.
Entscheidend ist immer die tatsächliche Situation vor Ort: Kanäle sind kein Massenprodukt von der Stange, sondern ein individueller Maßanzug, der angepasst an die örtlichen Rahmenbedingungen vor Ort angefertigt wurde und per se für Jahrzehnte ausgelegt ist. Daseinsvorsorge erledigt sich nicht im Handumdrehen – und gibt es übrigens auch nicht zum Nulltarif. Handlungsbedarf im Sinne von Erneuerung, Aus- oder Rückbau von Netzen und Kanälen besteht mit Blick auf demografische Entwicklung oder den Klimawandel.
Geld ist dabei aber nicht alles: Eine Modernisierung und Weiterentwicklung der Infrastruktur braucht politische Entscheidungen, um durch Rechtssicherheit Innovationen und Investitionen anzureizen, und schnellere Plan- und Genehmigungsverfahren. Und es braucht die erforderlichen Kapazitäten bei den Baufirmen. Wegen der hohen Nachfrage mangelt es mittlerweile an so gut wie allem: Baufirmen mit Kapazitäten, Facharbeitern, technischem Gerät.
Urlaubsorte und Kommunen mit größeren produzierenden Unternehmen verzeichneten während des Lockdowns deutlich geringere Wasserabnahmemengen. Brauchen die dort ansässigen Wasserversorger besondere Unterstützung, um finanzielle Schieflagen durch fehlende Erlöse aus den Wasserentgelten abzuwenden?
Gerade bestimmte Wasserversorger, die aufgrund der regionalen Situation und Lage eine stark touristische Nachfrage bedienen, leiden natürlich dann darunter, wenn aufgrund des Lockdowns über mehrere Monate kein Tourismus stattfindet, weil zum Beispiel Hotels geschlossen sind. Die Kosten bleiben, die Erlöse werden geringer. Dennoch sind die Auswirkungen stark vom Einzelfall und der Situation abhängig. Das hat eine Befragung unter unseren Mitgliedern im Mai gezeigt. Für eine belastbare, faktenbasierte Einschätzung, geschweige denn einen Hilferuf, ist es im Moment noch zu früh. Dazu müssen wir erst sehen und genau beobachten, wie sich die Situation weiterentwickelt.
Welche Hilfen bieten Sie Ihren Mitgliedsunternehmen in Sachen Corona an und wie werden diese angenommen?
Wir haben Mitte März zusammen mit unserem Tochterunternehmen VKU Service GmbH das sogenannte Corona-Portal aufgebaut und innerhalb einer Woche diese Internetplattform aktiv geschaltet, um unseren Mitgliedern eine schnelle Austauschmöglichkeit und Raum für Diskussionen sowie Wissenstransfer zu schaffen. Hier konnten und können sich die Unternehmen untereinander, aber auch mit unseren Wasser-, Rechts- und Kommunikationsexperten austauschen. Eine 360-Grad-Plattform eben. In der Hochphase der Pandemie verging kein einziger Tag, wo es keine Videokonferenzen oder Telefonate mit unseren „Wassergremien" oder einzelnen Unternehmen gab. Mal ging es um rechtliche Fragen, mal ging es um Fragen der Beschaffung von Utensilien. Das Feedback unserer Mitglieder war durch die Bank weg positiv. Das freut uns sehr, dass wir hier die Bedürfnisse richtig eingeschätzt und prompt ein Angebot geschaffen haben, das so gut und positiv angenommen wird.
Zur Person:
Ingbert Liebing ist seit April 2020 VKU-Hauptgeschäftsführer. Seine Leidenschaft für Kommunalpolitik hat der gebürtige Flensburger bereits nach seinem Politikstudium entdeckt. Erste kommunalpolitische Erfahrungen sammelte er in den 80er und 90er Jahren als Mitglied der Ratsversammlung der Stadt Neumünster im Ehrenamt und als stellvertretender Kreisvorsitzender der CDU Neumünster. Als hauptamtlicher Bürgermeister leitete er von 1996 bis 2005 die Politik der Gemeinde Sylt-Ost. 2013 wurde Liebing zum Bundesvorsitzenden der kommunalpolitischen Vereinigung von CDU und CSU gewählt. 2017 erfolgte die Ernennung zum Staatssekretär und Bevollmächtigten des Landes Schleswig-Holstein beim Bund. Von 2005 bis 2017 war Liebing Mitglied des Deutschen Bundestages und in der vergangenen Wahlperiode, vor dem Wechsel in die Landesregierung Schleswig-Holstein, kommunalpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.