In dem Verfahren wendet sich die Behörde gegen die Feststellung des Verwaltungsgerichts Göttingen, dass sie den Betrieb der Wasserversorgungsanlage Steinatalsperre zwar habe unterbrechen dürfen, die Voraussetzungen für eine Unterbrechung „mit sofortiger Wirkung“ allerdings nicht vorlägen (Aktenzeichen: 4 B 47/20 vom 20. Mai 2020), so das OVG zum Sachverhalt. Die Behörde sehe ihre Verfügung vom 21. Januar 2020, mit der sie der Anlagenbetreiberin mit sofortiger Wirkung die Wiederinbetriebnahme der Wasserversorgungsanlage Steinatalsperre untersagt hat, bis durch eine geeignete Aufbereitung die Anforderungen an das Trinkwasser im Sinne der Trinkwasserverordnung erfüllt werden können, durch die Verordnung gerechtfertigt.
Das sieht das OVG anders. Nach § 9 Abs. 3 Satz 3 TrinkwV haben die Unterbrechung des Betriebs und die Wiederinbetriebnahme der betroffenen Wasserversorgungsanlage unter Berücksichtigung der allgemein anerkannten Regeln der Technik zu erfolgen. Diese Bestimmung steuere aber allein den Vorgang der Unterbrechung bzw. der Wiederinbetriebnahme, heißt es n dem Beschluss.
In der Praxis habe sich gezeigt, dass die Unterbrechung der Wasserversorgung und insbesondere auch die Wiederinbetriebnahme großen Einfluss auf die Wasserqualität haben können, so das OVG. Daher müssten beide Vorgänge fachgerecht ausgeführt werden. Um dies sicherzustellen, sei die Forderung nach Beachtung der allgemein anerkannten Regeln der Technik aufgenommen worden. Damit könne auf diese Norm nur die Verpflichtung gestützt werden, die für den Unterbrechungsvorgang bzw. den Vorgang der Wiederinbetriebnahme allgemein anerkannten Regeln der Technik zu beachten.
Eine Forderung, die wieder in Betrieb genommene Wasserversorgungsanlage müsse nunmehr den allgemein anerkannten Regeln der Technik entsprechen, lässt sich dieser Vorschrift dagegen nicht entnehmen, heißt es in dem Beschluss. Dies werde auch daraus deutlich, dass die Erhebung einer derartigen Forderung für den in gleicher Weise geregelten Fall der Unterbrechung keinen Sinn ergäbe, so das OVG.
OVG verweist auf Ausnahmecharakter
Eine sofortige Unterbrechung, der die mit „sofortiger Wirkung“ versehene Untersagung der Wiederinbetriebnahme der Wasserversorgungsanlage gleichzusetzen ist, könne aufgrund ihres Ausnahmecharakters nur unter den Voraussetzungen des § 9 Abs. 3 Satz 2 TrinkwV erfolgen. Demnach sei die Anordnung einer sofortigen Unterbrechung der Wasserversorgung sei nur zulässig, wenn das Trinkwasser im Leitungsnetz mit Krankheitserregern in Konzentrationen verunreinigt ist, die unmittelbar eine Schädigung der menschlichen Gesundheit erwarten lassen, und keine Möglichkeit besteht, das verunreinigte Wasser hinreichend zu desinfizieren, oder durch chemische Stoffe in Konzentrationen verunreinigt ist, die eine akute Schädigung der menschlichen Gesundheit erwarten lassen.
Diese Voraussetzungen seien zum maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheides vom 21. Januar 2020 nicht erfüllt gewesen. Die am 13. Januar 2020 erneut aufgetretene Belastung mit dem Bakterium Clostridium perfringens, die zu einer Einstellung des Betriebs der Wasserversorgungsanlage führte, sei am 16. Januar 2020 nicht mehr nachzuweisen gewesen. In der Beschwerdebegründung führe die Behörde auch keine weiteren Gesichtspunkte an, die eine sofortige Unterbrechung der Wasserversorgung durch die Wasserversorgungsanlage Steinatalsperre rechtfertigten.
Gefahr einer Verunreinigung bei Starkregen reicht nicht aus
Der Umstand, dass diese Wasserversorgungsanlage - auch nach Auffassung des Landesgesundheitsamtes - sowohl hinsichtlich der Wassergewinnung als auch der Wasseraufbereitung nicht mehr den allgemein anerkannten Regeln der Technik entspreche und deshalb insbesondere in Zeiten der Schneeschmelze und bei Starkregenereignissen die Gefahr einer mikrobiologischen Verunreinigung bestehe, reicht dem OVG zufolge dazu nicht aus. § 9 Abs. 3 Satz 2 TrinkwV schreibe lediglich für den Zeitraum einer akuten Gefahrenlage die sofortige Unterbrechung der Wasserversorgung vor. Dies sei im vorliegenden Fall am 13. Januar 2020 augenscheinlich durch die Anlagenbetreiberin selbst vorgenommen worden. Für eine Unterbrechung über den Zeitraum einer akuten Gefährdung hinaus bilde § 9 Abs. 3 Satz 2 TrinkwV keine Rechtsgrundlage.
Allerdings habe das Verwaltungsgericht aufgrund der seit 2007 mehrfach aufgetretenen Verunreinigung des in der Trinkwasserversorgungsanlage Steinatalsperre gewonnenen Rohwassers mit Escherichia coli, coliformen Bakterien, Enterokokken und Clostridium perfringens die Voraussetzungen einer Unterbrechung der Wasserversorgung nach § 9 Abs. 3 Satz 1 TrinkwV bejaht. Aufgrund der erkennbaren Anfälligkeit der Anlage für derartige Verunreinigungen sei durchaus eine Gefährdung der menschlichen Gesundheit zu befürchten.
Gefährdung wäre durch andere Maßnahmen auszuschließen
Diese Gefährdung wäre aber nach § 9 Abs. 2 TrinkwV durch die Anordnung einer anderweitigen Wasserversorgung oder die Auflage, die Anlage soweit zu ertüchtigen, dass sie sowohl im Normalbetrieb als auch bei Akutereignissen wie Schneeschmelze oder Starkregen den Anforderungen der Trinkwasserverordnung genügt, grundsätzlich auszuschließen, heißt es in dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts. Erst wenn dies nicht auf zumutbare Weise möglich ist, komme eine – falls erforderlich, auch dauerhafte - Unterbrechung nach § 9 Abs. 3 Satz 1 TrinkwV in Betracht.
Angemessene Frist erforderlich
In beiden Fällen sei aus Gründen der Verhältnismäßigkeit jedoch eine angemessene Frist zu setzen. Diese Frist habe insbesondere den Grad der Gefährdung und die Möglichkeit der Anlagenbetreiberin zu berücksichtigen, ohne längere Unterbrechung der leitungsgebundenen Trinkwasserversorgung für Abhilfe zu sorgen. Der Aufwand für die Maßnahme und die Schwere der Gefährdung seien dabei sind gegeneinander abzuwägen.
In diesem Zusammenhang könnten aber auch schnell umsetzbare Auflagen für eine vorübergehende Weiternutzung der Wasserversorgungsanlage Steinatalsperre erteilt werden, bis sie ertüchtigt oder die Wasserversorgung auf den Brunnen Bartolfelde II umgestellt ist. Zudem kommt nach Auffassung des OVG im Hinblick auf die vorliegende Gefahr einer mikrobiellen Verunreinigung auch ein gegenüber der betroffenen Bevölkerung auszusprechendes Abkochgebot in Frage.