Oberflächenwasser für menschliche Nutzung nicht mit Grundwasser zu vergleichen


Die den Antrag stellenden Grundstückseigentümer wenden sich gegen den Planfeststellungsbeschluss vom 24. Februar 2020 zur Errichtung einer Hochwasserschutzanlage. Sie soll zum Schutz vor Binnen-Hochwasser bei Starkregenereignissen in der Gemeinde dienen. Teile der Ortslage der zum Kreisgebiet des Antragsgegners gehörenden Gemeinde liegen im natürlichen Überflutungsgebiet des Gewässers, der Au, heißt es in dem Beschluss zum Sachverhalt. Innerhalb der Ortslage nimmt die Au aus verschiedenen Verbandsgewässern und einem Regenwasserkanal zusätzliches Wasser auf. Sie ist über circa 430 m verrohrt. 


Bei einem der Antragsteller, dem Eigentümer eines Gutes, soll die Teilfläche eines Flurstücks dauerhaft durch den Damm selbst in Anspruch genommen werden. Eine weitere Eigentümerin, deren Gärtnereibetrieb unmittelbar an den geplanten Damm und den dahinterliegenden Polder angrenzt machte geltend,  dass sich die Produktionsbedingungen ihres Gärtnereibetriebs durch gesteigerte Kaltlufteinflüsse verschlechtern könnten. Auch hier ist eine erhebliche Beeinträchtigung möglich und deshalb zu berücksichtigen.


Wasser- und Bodenverband legt Plan für Polderfläche vor


 Wie das OVG weiter berichtet, ist bei Starkregenereignissen die Verrohrung überlastet, so dass Wasser aus den Schächten tritt und über die Straßen in tiefer gelegene Bereiche fließt. Nach dem letzten Hochwasserereignis im September 2011 legte der - als Vorhabenträger beigeladene  - Wasser- und Bodenverband im Dezember 2015 einen Plan vor für die Herstellung einer Polderfläche auf landwirtschaftlichen Flächen – Wiesen - durch die Errichtung eines circa 1.000 m langen Damms zur Bildung einer Hochwasserschutzanlage mit Abflusssteuerung sowie der teilweisen Verlegung des Gewässers vor.


Das von der Au herangeführte Wasser soll bei Erreichen eines kritischen Wasserstandes vor Eintritt in die Dorfleitung abgefangen und im Polder aufgestaut werden, um es dann kontrolliert in diese Dorfleitung abzuführen. Die vorhandenen Entwässerungen werden durch den Damm unterbrochen und auf der Außenseite des Dammes am geplanten Binnenentwässerungsgraben angeschlossen. Die Position des Steuerungswerkes bedingt eine Verlegung der Au innerhalb des Polders. Der Altarm dient weiterhin der Vorflut für die Verbandsleitung 45 sowie der geordneten Abführung überschüssigen Oberflächenwassers über eine Entlastungsschwelle.


Eigentümer machen Verstoß gegen Verbesserungsgebot geltend


 Mit ihrem im März 2020 gestellten Eilantrag machen die Eigentümer geltend, dass angesichts der seit dem letzten Hochwasserereignis verstrichenen Zeit und der Verfahrensdauer ein Eilbedarf für das Vorhaben nicht gegeben sei. Der Planfeststellungsbeschluss verstoße gegen das nach der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) zu beachtende Verbesserungsgebot und enthalte darüber hinaus ein schweres Abwägungsdefizit. Zudem sei der Planfeststellungsbeschluss nicht ordnungsgemäß ausgelegt worden.


OVG: keine aufschiebende Wirkung der Klage


Das Oberverwaltungsgericht hat den Antrag, die aufschiebende Wirkung der gegen den Planfeststellungsbeschluss gerichteten Klage wiederherzustellen, abgelehnt. Ob sich einzelne Drittbetroffene auf Verstöße gegen die Bewirtschaftungsziele des § 27 WHG berufen können, sei im Detail noch nicht abschließend geklärt, könne für das vorliegende Verfahren aber mit einem ausreichenden Grad an Gewissheit verneint werden, stellt das OVG fest. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) habe die ihm vom Bundesverwaltungsgericht vorgelegte Frage teilweise bejaht (Rechtssache C-535/18; EUWID 24.2020). Die deutsche Rechtsprechung war bislang davon ausgegangen, dass dies nicht der Fall sei. Der EuGH hält all diejenigen Mitglieder der Öffentlichkeit vom Verschlechterungsgebot für unmittelbar betroffen, die das fragliche Grundwasser rechtmäßig nutzen, auch wenn sie von der geplanten Maßnahme nicht in ihrem Grundeigentum betroffen sind.


Oberflächenwasser kommt keine mit dem Grundwasser vergleichbare Bedeutung zu


Vor dem Hintergrund des vom Gerichtshof angeführten spezifischen Zwecks der WRRL, das Grundwasser auch als Ressource für die menschliche Nutzung zu schützen, dürfte eine erhebliche Stärkung der Individualklagerechte damit allerdings nicht verbunden sein, heißt es in dem Urteil. Dies zeige sich auch vorliegend. Für den Eigentümer des Gutshofes ergebe sich aus dem Urteilsspruch schon deshalb keine Verbesserung seiner Klage- und Antragsbefugnis, weil es hier um die Bewirtschaftung eines Oberflächengewässers gehe. Diesem kommt dem OVG zufolge keine dem Grundwasser vergleichbare Bedeutung für die menschliche Nutzung zu, die es geböte, von der Rechtsprechung zum nationalen Recht abzurücken, solange die Verstöße von einzelnen Personen und nicht von anerkannten Umweltvereinigungen gerügt werden.


Hochwasserschutz dient dem Wohl der Allgemeinheit


Bei der gebotenen Interessenabwägung stehe das geltend gemachte Aufschubinteresse dem Vollzugsinteresse des Wasserverbandes gegenüber. Dieses werde durch das zugleich bestehende öffentliche Interesse an der Verwirklichung des geplanten Vorhabens verstärkt. Der Gesetzgeber gehe bei planfestgestellten Vorhaben des Hochwasserschutzes davon aus, dass das Vorhaben dem Wohl der Allgemeinheit dient.


Der Vorhabenträger, der beigeladenen Wasser- und Bodenverband, führe das Vorhaben im Rahmen der sogenannten Eigenvorsorge-Verpflichtung des WHG für die Hochwasserbetroffenen und zugleich im Interesse der gesamten Gemeinde aus.


Vollzugsinteresse des Wasserverbandes überwiegt


Das so definierte Vollzugsinteresse des Wasserverbandes überwiege das Aufschubinteresse der beiden anderen Antragstellers, deren den Planfeststellungsbeschluss erhobene Anfechtungsklage nach summarischer Prüfung keine Aussicht auf Erfolg habe. Nach gegenwärtigem Kenntnisstand verstoße der Planfeststellungsbeschluss gegen keine Rechtsvorschriften, deren Verletzung zu einer Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses oder der Notwendigkeit eines ergänzenden Verfahrens führen würde, stellt das OVG fest.


Bedürfnis für Planung besteht bereits, wenn sie vernünftigerweise geboten ist

   

Bei dem streitgegenständlichen Vorhaben handelt es sich um einen planfeststellungsbedürftigen Gewässerausbau nach dem WHG, dessen Planung gerechtfertigt sei. Die Planung von Deich- und Dammbauten sei gerechtfertigt, wenn für das beabsichtigte Vorhaben nach Maßgabe der vom WHG verfolgten Ziele einschließlich sonstiger gesetzlicher Entscheidungen ein Bedürfnis besteht, führt das OVG aus.


Das sei nicht erst bei der Unausweichlichkeit des Vorhabens der Fall, sondern bereits dann, wenn es vernünftigerweise geboten ist. Gemessen daran fehle es in dem Fall nicht an der Planrechtfertigung. Die Errichtung von Hochwasserschutzanlagen und Dämmen zum Schutz vor Hochwasser ist ein vom Wasserhaushaltsgesetz verfolgtes Ziel, was insbesondere seit Inkrafttreten des Hochwasserschutzgesetzes II zum Ausdruck komme. Das streitgegenständliche Vorhaben entspricht diesem gesetzlichen Planungsziel und ist vernünftigerweise geboten, heißt es in dem Beschluss. Die geplante Hochwasserschutzmaßnahme soll die Ortslage zukünftig effektiv vor weiteren Hochwasserereignissen schützen, was nach dem letzten Hochwasserereignis von September 2011 vernünftigerweise geboten sei.


Vorhaben führt zur Minderung der Hochwassergefahr


Verstöße gegen zwingendes Recht ergeben sich nicht. Insbesondere beeinträchtige die planfestgestellte Hochwasserschutzmaßnahme nicht das Wohl der Allgemeinheit. Denn das Vorhaben führe zu einer Minderung der Hochwassergefahr und zerstöre keine natürlichen Rückhalteflächen. Eine mit dem Ausbau verbundene lokale Erhöhung der Stau-, Grund- und Druckwassergefahren stellt im Übrigen keine Beeinträchtigung des Wohls der Allgemeinheit dar, solange der Gewässerausbau insgesamt zu einer Verringerung der Hochwassergefahr führt. Derartige Folgeprobleme einer Hochwasserschutzmaßnahme seien im Planfeststellungsverfahren insbesondere durch die Anordnung von Schutzmaßnahmen zu bewältigen.  

             

Keine wesentliche Beeinträchtigung des Denkmalsbereichs


Auch eine wesentliche Beeinträchtigung des Denkmalbereichs des Gutshofs lässt sich nach Einschätzung des OVG alledem nicht feststellen. So ertrügen auch Baumarten mit geringerer Überflutungstoleranz kurzzeitige Überschwemmungen schadlos. Zudem komme die vegetationsökologische Beurteilung zu dem Schluss, dass hier schon wegen der Höhenlage mit einer Betroffenheit von zukünftig möglichen Überflutungen nicht zu rechnen sei. Zudem weise der mittelalterliche Schlossgraben mit 2,65 mNN eine höhere Mindesteinstauhöhe auf als die zukünftigen maximalen Wasserstände von 1,62 mNN (bei HQ5) bzw. 1,81 mNN (bei HQSept.2011), ohne dass von Beeinträchtigungen berichtet worden wäre, die für die Zukunft befürchtet werden, heißt es in dem Beschluss. Den Streitwert hat das OVG auf 45.925 Euro festgesetzt.