Die klagende Projektentwicklungsgesellschaft möchte von den Verboten der Wasserschutzgebietsverordnung zum Schutze der Trinkwassergewinnungsanlage des Kreiswasserwerks befreit werden, um acht Windenergieanlagen, zur Durchführung baugrundseitiger Erkundungsarbeiten zu errichten und zu betreiben, so das Gericht zum Sachverhalt.
Nach Vorgesprächen und wiederholten Besprechungen wegen des geplanten Baus der acht Windenergieanlagen war im Jahr 2014 entschieden worden, zunächst ein wasserrechtliches Befreiungsverfahren durchzuführen. Nach einer ablehnenden Stellungnahme des Hessischen Landesamts für Naturschutz, Umwelt und Geologie (HLNUG) lehnte die beklagte Behörde die Anträge auf Erteilung einer Befreiung von den Verboten der Wasserschutzgebietsverordnung ab.
Dem Urteil des Verwaltungsgerichts Kassel zufolge hat die Klägerin keinen Anspruch auf Erteilung die angestrebte Befreiung von den Verboten der Wasserschutzgebietsverordnung. Das Vorhaben der Klägerin verstoße gegen Verbote der einschlägigen Wasserschutzgebietsverordnung. Dem stehe nicht entgegen, dass es sich nach dem Baugesetzbuch (BauGB) um ein sogenanntes privilegiertes Vorhaben im Außenbereich handelt, denn diese Privilegierung betreffe nur das Bauplanungsrecht.
Wasserschutzgebietsverordnung verbietet Bohrungen
Die Wasserschutzgebietsverordnung verbiete in der engeren Schutzzone außerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile Eingriffe unter der Erdoberfläche, wie etwa die Durchführung von Bohrungen, durch die die belebte Bodenzone verletzt und die Deckschicht vermindert wird, führt das Gericht aus. Dies treffe zu auf den Bau der Windenergieanlagen, bei deren Gründung CMC-Säulen gegossen werden sollen, die Errichtung von Zuwegungen, bei der ein Austausch des Bodens erfolgen soll, die Durchführung baugrundseitiger Erkundungsarbeiten, die der Feststellung der Mächtigkeit der einzelnen Untergrundschichten dienen soll, und schließlich bei der Verlegung der Kabeltrasse in 80 cm Tiefe. Da Windenergieanlagen ohne jeden Zweifel den Begriff der baulichen Anlagen erfüllten, falle ihre Errichtung auch unter das entsprechende Verbot der Wasserschutzgebietsverordnung.
Behörde kann nach WHG Befreiung erteilen
Die Verbote der Wasserschutzgebietsverordnung stellen Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Eigentums im Sinne des Grundgesetzes dar und müssten als solche dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechen. Den Verhältnismäßigkeitsausgleich im Einzelfall schafften Befreiungsregelungen. Die zuständige Behörde kann nach dem Wasserhaushaltsgesetz (WHG) eine Befreiung erteilen, wenn der Schutzzweck nicht gefährdet wird oder überwiegende Gründe des Wohls der Allgemeinheit dies erfordern, führt das Gericht aus. Sie habe nach § 52 Abs. 1 Satz 3 WHG eine Befreiung zu erteilen, wenn dies zur Vermeidung unzumutbarer Beschränkungen des Eigentums erforderlich ist und hierdurch der Schutzzweck nicht gefährdet wird.
Grundgesetz schützt nicht die einträglichste Nutzung des Eigentums
Die Befreiung zu erteilen sei aber hier nicht erforderlich, um unzumutbare Beschränkungen des Eigentums zu vermeiden, heißt es in dem Urteil. Der Allgemeinwohlbelang des Schutzes der Trinkwasserversorgung sei besonders hoch anzusetzen. Das Grundgesetz schütze nicht die einträglichste Nutzung des Eigentums. Komme einem Grundstück keine rechtliche Baulandqualität zu, so stelle die Einbeziehung eines solchen, etwa land- oder forstwirtschaftlich genutzten, Grundstücks in ein Wasserschutzgebiet mit Bauverbot, etwa im Hinblick auf eine angenommene künftige Bebaubarkeit, keine Enteignung dar.
Nach diesen Grundsätzen sei in dem Verbot keine unzumutbare Eigentumsbeschränkung zu sehen, weil die Eigentümerinnen und Eigentümer der betroffenen Grundstücke diese nach wie vor – allerdings unter Beachtung der einschlägigen Verbote der Wasserschutzgebietsverordnung – landwirtschaftlich nutzen könnten. Sie könnten auch frei über ihre Grundstücke verfügen. Da eine unzumutbare Beschränkung des Eigentums nicht vorliegt, bestehe kein Anspruch auf die beantragte Befreiung gemäß § 52 Abs. 1 Satz 3 WHG.
Gründe des Wohls der Allgemeinheit liegen nicht vor
Die Klägerin habe aber auch keinen Anspruch auf eine erneute Bescheidung ihres Befreiungsantrages, weil die Voraussetzungen der Ermessensvorschrift des § 52 Abs. 1 Satz 2 WHG nicht erfüllt seien: Eine Befreiung wegen überwiegender Gründe des Allgemeinwohls könne nicht gefordert werden, wenn das Vorhaben auch außerhalb des Wasserschutzgebiets realisiert werden könnte. Da Windenergieanlagen nicht standortgebunden seien, erfordere das Allgemeinwohlinteresse an einer Stromerzeugung aus regenerativen Quellen hier nicht die Befreiung von den Verboten der Wasserschutzgebietsverordnung.
„Am Vorhaben ansetzende abstrakte Gefährdung“ genügt
Dem Gericht zufolge liegt auch keine fehlende Gefährdung des Schutzzwecks vor. Dabei sei zunächst auf den mit der Festsetzung des Wasserschutzgebiets verfolgten Zweck abzustellen. Der Gewässerschutz habe ein allgemein hohes Gewicht, und diese Bedeutung sei beim Grundwasserschutz und beim Schutz der Trinkwasserversorgung noch gesteigert. Bei der Frage, ob eine Gefährdung dieses Zweckes vorliegt, komme es nicht auf einen konkreten Gefahrennachweis an, sondern es genüge „eine am jeweiligen Vorhaben ansetzende abstrakte Gefährdung“, heißt es in dem Urteil.
Gesetz im Hinblick auf Grundwasser „überaus streng“
Ob eine Schutzzweckgefährdung vorliegt, sei nach dem Besorgnisgrundsatz zu bestimmen. Ob eine Besorgnis anzunehmen ist, bemisst sich dem Gericht zufolge nach den konkreten Umständen des Einzelfalls, die von der zuständigen Behörde zu beurteilen seien. Als Kriterien kämen insbesondere die Bodenbeschaffenheit sowie die Tiefe und Fließrichtung des Grundwassers in Betracht. Anders als bei dem ordnungsrechtlichen Begriff der drohenden Gefahr komme es bei der Besorgnis darauf an, dass keine noch so entfernt liegende Wahrscheinlichkeit einer nachteiligen Veränderung des Grundwassers besteht; das Gesetz sei hier als „überaus streng“ anzusehen.
Deshalb sei maßgeblich darauf abzustellen, dass die Möglichkeit des Schadenseintritts nach menschlicher Erfahrung und nach dem Stand der Technik nicht von der Hand zu weisen sein dürfe. Bei der Abwägung der konkreten Umstände sei überdies der Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts im Verhältnis zum drohenden Schadensausmaß zu setzen. Es sei aber zu prüfen, ob die nachteiligen Wirkungen durch Inhalts- und Nebenbestimmungen vermieden oder ausgeglichen werden können.
Ablehnung der Befreiung nicht willkürlich
Angesichts der vielfältigen, umfangreichen und technisch schwierigen Fragen, die mit dem streitgegenständlichen Vorhaben verbunden seien, ist nach Auffassung des VG Kassel, analog zu den vom Bundesverwaltungsgericht zum Atomrecht entwickelten Grundsätzen, von einem Abschätzungsspielraum der zuständigen Behörde auszugehen, dessen gerichtliche Prüfung auf eine Willkürkontrolle beschränkt ist.
Unter Beachtung dieser Grundsätze sei die Ablehnung der beantragten Befreiung nicht willkürlich, sondern von sachlichen Gründen getragen. Zwar habe die Klägerin durchaus alle nach dem Stand von Wissenschaft und Technik möglichen Maßnahmen vorgesehen, um das Risiko des Austretens wassergefährdender Stoffe bei dem Vorhaben so gering wie möglich zu halten.
In dem Gebiet bestünden aber besondere hydrogeologische Verhältnisse, welche die mit dem Vorhaben verbundenen Risiken trotzdem für nicht akzeptabel erscheinen lassen, heißt es in dem Urteil. Der Untergrund bestehe aus einem grundsätzlich dreischichtig aufgebauten Muschelkalk, dem nur eine sehr geringe Retentionswirkung zukomme. Es sei also nicht nur die Reinigungswirkung des Untergrunds als gering anzusehen, sondern es gelangten auch wassergefährdende Stoffe bald nach Eintreten in den Untergrund zur Trinkwasserquelle.
Ersatzwassererschließung nicht möglich
Bei der Quelle handle es sich zudem um die ergiebigste Trinkwasserquelle ganz Hessens, der aufgrund ihrer einzigartigen Quantität überregionale Bedeutung für die öffentliche Wasserversorgung nicht nur in Nordhessen, sondern darüber hinaus auch im benachbarten Westthüringen zukomme. Hinzu komme, dass im Falle einer nachteiligen Veränderung des Grundwassers eine Ersatzwassererschließung nicht möglich sei, was konkret bedeute, dass die betroffene Bevölkerung mit Mineralwasser versorgt werden müsste. Da mithin das Ausmaß des drohenden Schadens besonders hoch sei, seien nur geringe Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zu stellen.
Auch mit Inhaltsbestimmungen nicht unter Restrisiko zu senken
Dabei geht das Verwaltungsgericht davon aus, dass selbst bei Setzung von Inhalts- und Nebenbestimmungen die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts nicht unter die Schwelle des unbeachtlichen Restrisikos zu senken sei. Denn die mit dem Vorhaben verbundenen Eingriffe unter der Erdoberfläche seien zu vielfältig und umfangreich. Dies beginne bereits bei der Schaffung der erforderlichen Zuwegungen. Damit sei ein Bodenaustausch verbunden, der jedenfalls vorübergehend die ohnehin schon geringe Rückhaltefähigkeit des Bodensystems mindere und im Falle einer Havarie der eingesetzten Bautechnik ein noch rascheres Eindringen von Kraft- und Betriebsstoffen in das Grundwasser ermögliche.
Auch bei den erforderlichen baugrundseitigen Erkundungsarbeiten könnten Schadstoffe in das Grundwasser eindringen. Bei der Verlegung der Kabeltrassen, auch wenn diese entlang der Zuwegungen erfolge, komme es zu einem Aufschluss zumindest der belebten Bodenzone, durch den ebenfalls wieder Schadstoffe in das Grundwasser gelangen könnten, schreibt das Gericht.
Das Verwaltungsgericht Kassel hat die Berufung zugelassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung aufweise. Den Streitwert hat das Gericht auf 40.000 EUR festgesetzt.